Frage an Winfried Hermann von Susanne M.
Sehr geehrter Herr Kretschmann,
Sie haben unter dem Motto "gleiches Recht für alle" die verbindliche Grundschulempfehlung abgeschafft. Durch persönliche Erfahrung und Gespräche mit verschiedenen Lehrern, ist deutlich zu sehen, dass viele Kinder auf Schulen sind, auf die sie nicht gehören. Dies bestätigen die jährlich ansteigenden Zahlen der Sitzenbleiber in den fünften und sechsten Klassen. Aufgrund der immer größeren Bandbreite der zu unterrichtenden Schüler geht dies auch klar zu Kosten der Qualität des Unterrichts. War die Abschaffung der Grundschulempfehlung nicht ein Fehler?
Sehr geehrte Frau M.,
wir haben die Grundschulempfehlung abgeschafft, um den Leistungsdruck und die Versagensängste für Kinder und Familien, aber auch die Lehrenden zu mindern. Zugleich haben wir die Eltern gestärkt, die jetzt nach umfassender Beratung durch die Grundschullehrerinnen und -lehrer selbst entscheiden, welche Schule sie für ihr Kind wählen. Damit sind nicht allein die Noten das ausschlaggebende Kriterium. Stattdessen wird das Kind mit seinen individuellen Fähigkeiten und Begabungen in den Mittelpunkt gerückt.
Die individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler – leistungsschwachen wie leistungsstarken – ist Kernaufgabe der Lehrkräfte in ihrem pädagogischen Alltag. Zu Beginn des 5. Schuljahrs werden wichtige Informationen zum Lernstand der neuen Schülerinnen und Schüler mit dem auf den bundesweiten Standards der Primarstufe basierenden „Lernstand 5“ erhoben. Abhängig vom erreichten Ergebnis der einzelnen Schülerinnen und Schüler werden Fördermaterialien angeboten, die passgenau für einzelne Testbereiche und Stufen entwickelt worden sind.
Das Kultusministerium hat die Zahlen für Nichtversetzungen im Schuljahr 2014/2015 erhoben. Die Aufstellung finden Sie in der Antwort auf Anfragen an den Landtag: http://www.landtag-bw.de/files/live/sites/LTBW/files/dokumente/WP15/Drucksachen/7000/15_7989_D.pdf. Die Aufstellung der früheren Jahre finden Sie hier: http://www.landtag-bw.de/files/live/sites/LTBW/files/dokumente/WP15/Drucksachen/7000/15_7311_D.pdf
Laut Statistik des Kultusministeriums gibt es keinen Zusammenhang zwischen der Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung und dem Anstieg von Nichtversetzungen. In Jahren mit einer verbindlichen Grundschulempfehlung gab es teilweise deutlich höhere Zahlen.
Die Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung mindert den Leistungsdruck und die Versagensängste und stärkt die Beratungskompetenz der Lehrenden sowie die Entscheidungskompetenz der Eltern. Deshalb halte ich es auch nicht für einen Fehler, sie abgeschafft zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Winfried Hermann