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Winfried Hermann
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Frage von Dittmar S. •

Frage an Winfried Hermann von Dittmar S. bezüglich Verkehr

Sehr geehrter Herr Hermann,

Die Verträge zum Bahnprojekt Stuttgart 21 lassen einen Ausstieg aus dem Projekt bis Ende des Jahres zu, wenn es zu Kostensteigerungen kommt. Der neue Bahnchef Grube sieht die Kosten realistischer als sein Vorgänger Mehdorn. Herr Grube will bis Jahresende Klarheit bei den Kosten dieses Projekts haben. Auch bei der Hochgeschwindigkeitsstrecke von Wendlingen bis Ulm soll die Rentabilität bewertet werden.

Um realistische Kosten ermitteln zu können, muss m.E. vor Jahresende klar sein, wie sich z.B. Entscheidungen des Eisenbahnbundesamtes auf die Kosten des Projekts auswirken. Die Bahn hat u.a. eine Ausnahme von der EU-Richtlinie zur Fluchtwegelänge in Tunneln beantragt und u. will nur alle 1000 m, anstatt wie von der EU vorgesehen, alle 500 m einen Fluchtweg bauen. Sollte also die EU-Vorgabe auch bei diesem Projekt Gültigkeit haben, wofür die EU sicher sorgen wird, dann werden schon allein deshalb die Kosten für das Bahnprojekt höher ausfallen. Es gibt auch noch andere Anträge der Bahn beim o.g. Amt, die Kostenrelevanz haben (z.B. verminderte Tragfähigkeit d. Tunnel).

Es gilt Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Als Schaden sehe ich, wenn die wahren Kosten nicht beziffert werden bzw. höhere Kosten erst bekannt werden, wenn der 31.12.2009 vorbei ist u. wenn die Sicherheit der Bahnkunden nicht gewährleistet ist.

Ich bitte Sie daher um Mitteilung, was Sie u. Ihre Partei unternehmen werden um sicherzustellen, dass verbindliche EU-Richtlinen zur Fluchtweglänge in Tunneln auch bei diesem Projekt eingehalten werden und um das Eisenbahnbundesamt dazu zu bringen, dass deren Entscheidungen noch vor Jahresende getroffen und publik werden sowie dafür zu sorgen, dass die Bahn ihren Sanierungsbedarf (der aus jahrelanger Nicht- bzw. Schlechtwartung resultiert) offenlegt.Ich bin mir sicher, dass die Bahn wegen letzterem kein Geld für S21 übrig hat.

Mit freundlichen Grüßen

Dittmar Schock

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schock,

vielen Dank für Ihre Anfrage vom 17. November.

Ich teile Ihre Ansicht, dass es zum gegenwärtigen Zeitpunkt unverantwortlich ist, mit dem Bau der Großprojektes Stuttgart 21 zu beginnen.

Stuttgart 21 ist und bleibt eine gigantische Fehlentscheidung mit milliardenschweren Folgen. Stuttgart 21 ist verkehrspolitisch kontraproduktiv. Milliarden für einen unterirdischen Bahnengpass. Milliarden dafür, dass die Stadt sich mit Stuttgart 21 unsichtbar macht. Stuttgart 21 schadet dem Nah- und Regionalverkehr. Dem Güterverkehr nützt es nicht. Es ist unwirtschaftlich und ein finanzpolitisches Desaster. Ein unterirdischer Schwabenstreich der ganz besonderen Art.

1. Die aktuellen Zahlen belegen die Befürchtungen der Kritiker und die Prognose des Bundesrechnungshofes für das Großprojekt Stuttgart 21. Statt ursprünglich 2,5 Mrd. soll der unterirdische Tunnelbahnhof nun schon vor Baubeginn bereits mehr als 4 Mrd. Euro kosten. Die Mittel des Risikoschirms werden für die Kostensteigerungen schon vorab verbraucht.

2. Die aktuellen Zahlen sagen (wiedermal) nicht die ganze Kostenwahrheit, denn die zusätzlichen Baukostenrisiken, die mit derartigen Großprojekten einhergehen sind nun nicht mehr abgesichert. Zum Vergleich: Die Baukostenschätzungen für die Neubaustrecke Frankfurt-Köln betrugen zu Baubeginn 2,9 Mrd. Euro, die realen Kosten waren jedoch doppelt so hoch. Im Fall des Berliner Hauptbahnhofs stiegen die Kosten von geplanten 700 Mio. auf 1,2 Mrd. Euro bei Fertigstellung an. Das heißt, für Stuttgart 21 sind Baukosten in Höhe von 5 bis 7 Mrd. Euro realistisch.

3. Ähnlich risikobehaftet sind die Kostenschätzungen für die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm. Statt 2 Mrd. wird diese wohl eher 4 Mrd. Euro kosten. Rund 50 Prozent der rund 85 Kilometer langen Strecke verlaufen in Tunneln. Doch die Kostenkalkulation basiert weiterhin auf den DB-Zahlen aus dem Jahr 2004 und berücksichtigt weder die jährlichen Preissteigerungsraten noch die hohen Kostenrisiken, die in den letzten Jahren insbesondere bei Tunnelbauten im Eisenbahnverkehr festgestellt wurden. Aktuelle Vergleichszahlen der Strecke Ingolstadt-Nürnberg belegen, dass Tunnelbauten mit ähnlich schwierigen Gesteinsformationen mindestens das Doppelte kosten, als für die Strecke Wendlingen-Ulm bisher veranschlagt wird.

4. Die Deutsche Bahn AG bestätigte, dass für die beiden technisch zusammenhängenden Projekte Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm spätere Kostensteigerungen nicht ausgeschlossen werden könnten. Niemand wisse, wie sich die Baupreise in fünf oder sechs Jahren entwickeln würden, äußerte der DB-Infrastrukturvorstand Dr. Volker Kefer am 16.12.2009 im Verkehrsausschuss des Bundestages.

5. Die Projektpartner setzen sich über maßgebliche vertragliche Zusicherungen der Rahmenvereinbarung von 1995 hinweg. Laut § 6 der Rahmenvereinbarung kann die Finanzierungsvereinbarung „für das Gesamtprojekt“ nämlich erst getroffen werden, wenn alles planfestgestellt ist. Weder für Stuttgart 21 noch für die Neubaustrecke trifft dies zu.

6. Die Wirtschaftlichkeit bzw. Unwirtschaftlichkeit der beiden Großprojekte ist nach wie vor für die Öffentlichkeit nicht nachvollziehbar. Eine realistische Nutzen-Kosten-Rechnung ist beim jetzigen Planungsstand nicht möglich. Planfeststellungsverfahren und Ausschreibungsverfahren sowie die Kostenermittlungen der DB AG für die Neubaustrecke sind noch nicht abgeschlossen und auch die Ergebnisse der Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Neubaustrecke durch den Bund werden wenn überhaupt erst im Frühjahr 2010 vorliegen.

7. In einem Sachstandsbericht zum Projekt Stuttgart 21 verweist die Bahn zudem darauf, dass eine „ausgeglichene Wirtschaftlichkeit bis zu einem Gesamtwertumfang von maximal 4.769 Mio. EUR gegeben“ sei. Sollte der Bundesrechnungshof, der die Kosten für das Projekt mit 5,3 Milliarden Euro kalkuliert, in seiner Einschätzung Recht bekommen, wird mit Stuttgart 21 auch ein aus Bahnsicht unwirtschaftliches Projekt gebaut.

8. Ein eigenwirtschaftliches Projekt der Deutschen Bahn AG ist Stuttgart 21 nur im orwellschen Sprachgebrauch. Nichts ist eigenwirtschaftlich. Nahezu alle Mittel stammen aus öffentlichen Kassen bzw. Vermögen: Allein die öffentlichen Hände in Baden-Württemberg übernehmen ohne Zuständigkeit Verbindlichkeiten und Risiken im Umfang von mindestens 2,5 Mrd. Euro für den Tiefbahnhof und die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm. Dazu kommen zusätzliche Geschenke der öffentlichen Hand an die Deutsche Bahn AG in Form von Bahnflächen und Bahnimmobilien aus dem Bundesbesitz (ca. 450 Mio. Euro), Gemeindeverkehrsfinanzierungsmittel (ca. 280 Mio. Euro), verlorenen Zinseinnahmen der Stadt für die erworbenen Bahnflächen (ca. 500 Mio. Euro), die Teilfinanzierung für die Neubaustrecke durch das Land (ca. 950 Mio. Euro) sowie die Laufzeitmehrkosten für den Verkehrsvertrag im Schienenpersonennahverkehr (ca. 600 Mio. Euro). Die Deutsche Bahn AG setzt lediglich 300 Mio. Euro für „vermiedene Ersatzinvestitionen“ aus Bundesmitteln dafür ein und spart damit auch noch doppelt. Denn die Sanierung des Kopfbahnhofs hätte sie aus Eigenmitteln bestreiten müssen.

9. Die Entscheidung für Stuttgart 21 wird die Bahnkunden im Raum Stuttgart schon vor der Inbetriebnahme teuer zu stehen kommen. Denn die DB AG bestätigte, dass die Trassen- und Stationspreise möglicherweise schon ab nächstem Jahr steigen würden, um diesen Projekt mitzufinanzieren.

Fatale Folgen:

1. 10 bis 15 Jahre Bau- und Verkehrschaos in Stuttgart.
2. Zerstörung eines funktionierenden Kopfbahnhofs mit integriertem Taktfahrplan.
3. Stattdessen Errichtung eines unterirdischen Bahnengpasses mit nur 8 Bahnsteigen und vier Ab- und Zulaufstrecken. Der Cannstatter Vorortbahnhof mit 10 Gleisen ist dann größer, als der 5 Mrd. teure Hauptbahnhof.
4. Preissteigerungen oder Zugabbestellungen im Nah- und Regionalverkehr.
5. Nachteile für die Nah- und Regionalverkehrskunden (90%) beim Aus- und Umsteigen zugunsten von geringen zeitlichen Vorteilen für einige wenige Durchgangsreisende im Fernverkehr (10%).
6. Stuttgart 21 und Neubaustrecke schlucken für die nächsten 10-15 Jahre alle Mittel, so dass diese im ÖPNV, Regionalverkehr und bei kleineren Schienenausbauprojekte fehlen werden.

Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen hat deshalb ein Moratorium für das Projekt Stuttgart 21 (Bundestagsdrucksache 17/125) beantragt, bis die Wirtschaftlichkeit des gesamten Projektes einschließlich der Neubaustrecke Wendlingen - Ulm eindeutig geklärt ist. Der Deutsche Bundestag, der sorgsam und sparsam mit den Steuergeldern der Bürgerinnen und Bürger umgehen soll, ist gut beraten, unserem Antrag für ein Moratorium zuzustimmen.

Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Winfried Hermann

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