Frage an Winfried Hermann von Joachim S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Hermann,
in Abwandlung an die Frage "was darf Satire": Was darf das Internet? Was waren Ihre Bewegunggründe gegen das Gesetz zu stimmen?
Mich interessiert besonders die Einschätzung, ob es Ihrer Ansicht nach wirksame Selbstregulative im Netz gegen Rassistische, sexistische und kinderpornographische Inhalte oder deren Verbreitung gibt?
Sehr geehrter Herr Seitz!
Vielen Dank für Ihre Frage und Ihr Interesse an unserer Position. Sie fragen insbesondere nach meinen Beweggründen für die Ablehnung des Gesetzes. An erster Stelle steht: Der sexuelle Missbrauch von Kindern ist ein besonders widerwärtiges menschenverachtendes Delikt, das gilt auch für die Verbreitung der Bilder in Heften oder in elektronischen Netzen. Kinderpornografie muss auf allen Ebenen verfolgt und bestraft werden. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum; das Internet ist aber auch kein bürgerrechtsfreier Raum.
Wir sind der Auffassung, die Bekämpfung mit rechtsstaatlichen Mitteln ist möglich. Der von der großen Koalition vorgelegte Entwurf eines „Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen“ wird diesem Anliegen nicht gerecht. Auch die Sachverständigenanhörung im Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestages am 27. Mai hat unsere Vorbehalte bestätigt. Die rechtlichen und technischen Probleme bei den geplanten Internetsperrungen sind nach wie vor ungelöst. Es bringt gar nichts, jetzt überstürzt und ohne ausreichende Beratung ein handwerklich derart schlechtes Gesetz zu verabschieden. So wirft der Gesetzentwurf der Bundesregierung eine ganze Reihe schwerwiegender rechtlicher Fragen auf, die alle Bürgerinnen und Bürger betreffen, die das Internet nutzen. Etwa führt die jetzt vorgeschlagene Lösung nicht etwa zu einer Löschung der Seiten. Faktisch geht es um eine Umleitung der Benutzer auf ein Stoppschild – die Kinderpornografieseite selbst bleibt im Netz und mit einigen einfachen Tricks auch weiterhin auffindbar. Das Bundeskriminalamt geht davon aus, dass mit einem solchen Stoppschild rund 80 Prozent Gelegenheits- oder Zufallskonsumenten von entsprechenden Seiten ferngehalten werden können.
Wir Grüne sehen die Chancen, aber auch die Risiken des Internets als weltweite Kommunikationsbörse. Für die Bekämpfung verbotener Inhalte helfen solche Scheinlösungen nicht. Das Gesetz bietet keine geeignete Grundlage für eine erfolgreiche Bekämpfung der Kinderpornographie. Die Initiative der Bundesfamilienministerin erweckt den Eindruck, als ob die Internetanbieter bisher beim Thema Kinderpornographie die Hände in den Schoß gelegt haben. Das ist falsch. Zum Beispiel arbeitet die deutsche Internetwirtschaft mit der Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle (FSM) bereits seit vielen Jahren nach Kräften daran, die Verbreitung solcher Inhalte zu unterbinden. Im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit zwischen Beschwerdestellen und Behörden über das internationale Beschwerdestellen-Netzwerks INHOPE ist es in den vergangenen Jahren immer wieder gelungen, umfangreiche Verfahren einzuleiten und eine Vielzahl von Beschuldigten zu ermitteln. Neben der Arbeit der Beschwerdestellen und der Strafverfolgung ist es ausgesprochen wichtig, an Staaten, aus denen häufig Kinderpornografieangebote kommen (u. a. Russland, Staaten der ehemaligen Sowjetunion) auch politische Forderungen nach konsequenter Ächtung solcher Websites und Verfolgung der Verantwortlichen zu richten. Wir verlangen von der Bundesregierung, dass sie die Vorschläge für eine wirksame Bekämpfung von Kinderpornografie im Internet sorgfältig prüft, und bestehende Projekte wirkungsvoller unterstützt, statt sich noch kurz vor Ende der Wahlperiode an populistischen Schnellschüssen zu erfreuen.
Mit freundlichen Grüßen
Winfried Hermann