Frage an Wilko Zicht von Andreas H. bezüglich Recht
Hallo Herr Zicht,
als Werder-Fan aus der Ostkuve stelle ich auch fest, das immer mehr dieser Ultras von Leuten politisiert werden, die eine gewisse Militanz gegenüber der Polizei hegen. Da frage ich mich ob politische Parolen beim Fußball überhaupt was zu suchen haben?
Die Fantrennung der Gästefans sehe ich auch mit Skepsis. Oft sieht man die Fans in einem regelrechten polizeilichen Wanderkessel, vom Bahnhof zum Stadion, sodaß für sie keine Möglichkeit besteht eine Toilette aufzusuchen, eine Bratwurst zu essen oder sich die Stadt anzusehen. Das grenzt an einem kurzen Polizeigewahrsam unter freiem Himmel.
Freundliche Grüße
Andreas Heinzelmann
Hallo Herr Heinzelmann,
auch wenn Ihre Anfrage schon etwas älter ist, möchte ich sie nicht unbeantwortet lassen. Ich freue mich, dass wir in Sachen Fantrennung einer Meinung sind. Was die „politischen Parolen“ angeht, sehe ich das aber etwas als Sie. Selbstverständlich ist ein Fußballstadion nicht der passende Ort für allgemeinpolitische oder gar parteipolitische Auseinandersetzungen. Wenn es aber um Rassismus, Sexismus, Homophobie und andere Diskriminierungsformen geht, finde ich es gut und wichtig, wenn die aktive Fanszene hier ganz klar Stellung bezieht.
Ich engagiere mich im bundesweiten Bündnis aktiver Fußballfans, aber auch hier vor Ort seit vielen Jahren gegen menschenfeindliche Tendenzen unter Fußball-Fans. Trotzdem war es uns in meiner Fan-Generation nicht gelungen, den früheren Konsens nachhaltig in Frage zu stellen, wonach in der Fanszene jeder willkommen sei, „egal ob links oder rechts“. Diese scheinbar tolerante Rechtsoffenheit hat leider dazu geführt, dass frauen-, schwulen- und ausländerfeindliche Sprüche und Gesänge sowohl in der Kurve als auch auf gemeinsamen Auswärtsfahrten gang und gäbe waren. In einer solchen Atmosphäre konnten sich die Betroffenen natürlich nicht wirklich wohl fühlen.
Es ist das große Verdienst der jüngeren Fan-Generation, zuvörderst der Ultra-Gruppen, hier gegenzusteuern und klare Kante gegen rechts zu zeigen. Nicht zuletzt dank dieses tollen und manchmal nicht ungefährlichen Engagements gibt es sehr viel mehr Frauen und Mädchen im Stadion als früher - nicht nur im Publikum generell, sondern auch in der aktiven Fanszene. Auch ein fest in die Bremer Fanszene integrierter schwuler Fanclub wäre noch vor wenigen Jahren absolut undenkbar gewesen.
Aufgrund dieser großartigen Entwicklung sollte es m. E. leicht fallen, darüber hinwegzusehen, wenn die Jugendlichen vielleicht auch einmal übers Ziel hinaus schießen und zum Beispiel bei Spruchbändern den alten Grundsatz „Manchmal ist weniger mehr“ aus den Augen verlieren.
Freundliche Grüße
Wilko Zicht