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Wilhelm Priesmeier
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Frage von Andreas S. •

Frage an Wilhelm Priesmeier von Andreas S. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrter Herr Dr. Priesmeier.

In Deutschland erhält ein Conterganopfer z. B. 728 Euro laut Punktetabelle, ein Betroffener mit der selben Schädigung erhält in England 2200 Euro. In Deutschland liegt der Höchstsatz bei 1090 Euro, in Italien gar bei 4200 Euro.

Was gedenken Sie als Mitglied des Deutschen Bundestages und die SPD-Bundestagsfraktion gegen diese offensichtliche Benachteiligung deutscher Conterganopfer zu tun?

Mit freundlichen Grüßen
A. Sudhoff
(Conterganopfer)

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Sudhoff,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Die Lebenssituation der Contergangeschädigten ist heute nach 50 Jahren zunehmend durch sehr schmerzhafte Auswirkungen ihrer Behinderung geprägt, ihre Lebensqualität ist erheblich eingeschränkt. Oft drohen Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung. Das belastet die Menschen, die sich unter größten Mühen jahrzehntelang ein Stück Unabhängigkeit erkämpft haben.

Für die Milderung dieser Belastungen mussten Lösungen gefunden werden. Deshalb steht die SPD-Bundestagsfraktion seit rund einem Jahr in einem sehr engen Dialog mit den Betroffenen, der Firma Grünenthal und der Contergan-Stiftung für behinderte Menschen. Außerdem hat im Mai der Bundestagsausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine öffentliche Anhörung unter breiter Beteiligung der Geschädigten und ihrer Verbände durchgeführt. Wir haben gemeinsam nach Lösungen gesucht -- und wir haben nach meinem Dafürhalten einiges erreicht.

So wurden die Entschädigungsleistungen nicht nur um die ursprünglich vorgesehenen fünf Prozent erhöht, sondern verdoppelt. Seit dem 1.7.2008 beträgt der Höchstsatz 1.090 Euro -- und nicht mehr wie bis dahin 545 Euro. Das bedeutet für die am schwersten Geschädigten zusätzliche Leistungen in Höhe von 6.540 Euro jährlich. Außerdem haben wir geregelt, dass die Entschädigungsleistung nicht auf andere Zahlungen, wie z.B. Erwerbsminderungsrenten, SGB-II-Zahlungen oder Sozialgeld angerechnet wird.

Durch die Verdoppelung bringt der Bund künftig jährlich 31 Mio. Euro allein für die Entschädigungsleistungen auf. Insgesamt hat der Bund hierfür in den Jahren 1972 bis 2007 437,84 Mio. Euro bezahlt. Daneben stehen den Betroffenen selbstverständlich Leistungen aus dem SGB V (Krankenkassen), SGB IX (Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe), SGB XI (Pflegeversicherung), SGB XII (Sozialleistungen), SGB II (Leistungen im Falle von Arbeitslosigkeit), SGB VI (Erwerbsminderungsrenten) zu.

Außerdem wird die SPD zusammen mit ihrem Koalitionspartner in den nächsten Wochen einen Gesetzentwurf zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes einbringen, der es ermöglicht, den Conterganopfern ab dem Jahr 2009 zusätzlich lebenslang eine jährliche Sonderzahlung von ca. 3.000 Euro auszuzahlen (die Höhe der Einmalzahlung richtet sich nach dem Schweregrad der Schädigung). Das Geld wird aus dem Stiftungsvermögen der Conterganstiftung aufgebracht, in die der Bund aus dem Kapitalstock 50 Mio. Euro einbringt. Weitere 50 Mio. Euro wurden von der Firma Grünenthal zur Verfügung gestellt. Obwohl durch den 1971 zwischen den Eltern der Contergangeschädigten, der Firma Grünenthal und der Bundesregierung geschlossenen Vergleich jeder weitere Anspruch gegenüber der Firma ausgeschlossen ist, haben sich die Eigentümer --nicht zuletzt aufgrund des öffentlichen Drucks - zur Beteiligung an weiteren Verbesserungen für die Situation der Geschädigten bereit erklärt.

Weitere Maßnahmen sind geplant: Der Deutsche Bundestag wird die Bundesregierung auffordern, Forschungsprojekte zu den Spätfolgen der Schädigung zu initiieren, eine interministerielle Arbeitsgruppe arbeitet an Vorschlägen zur Verbesserung der Kostenübernahme von Behandlungen bei Conterganschäden durch die Gesetzliche Krankenversicherung, das Bundesgesundheitsministerium versucht, durch Gespräche mit den verschiedenen Organisationen des Gesundheitswesens sicherzustellen, dass Contergangeschädigte alle Leistungen erhalten, die medizinisch geboten sind. Außerdem haben wir den Geschädigten zu ihrem längst überfälligen Anrecht auf einen Behindertenparkplatz verholfen.

Mit all diesen Maßnahmen haben wir die Probleme der Contergan-Geschädigten aufgegriffen und für konkrete Lösungen gesorgt. Dabei ist uns bewusst, dass alle Leistungen den Schaden für die Gesundheit und die seelische Belastung der Betroffenen nicht ausgleichen können. Wir wollen aber einen Beitrag leisten, das Leben mit einer schweren Behinderung besser meistern zu können.

Mit den genannten Mitteln haben wir einen wirklichen Fortschritt für die contergangeschädigten Menschen erreicht. Die am schwersten Geschädigten erhalten aus Bundes- und Stiftungsmitteln ab 2009 jährlich Aufwendungen in Höhe von ca. 16.000 Euro -- steuerfrei und zusätzlich zu ihren sonstigen Einkünften -, die sie für Maßnahmen verwenden können, die die Sozialversicherungen nicht übernehmen.

Auch wenn Betroffene noch weitergehende Maßnahmen fordern -- wofür ich Verständnis habe -- muss ich ganz klar sagen, dass der Bund keine weiteren finanziellen Leistungen mehr übernehmen wird - nicht zuletzt aus Gründen der Gleichbehandlung gegenüber Menschen mit ähnlichen Behinderungen, die nicht durch die Einnahme von Thalidomid verursacht wurden, aber unter vergleichbaren Folgen einer Behinderung leiden.

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass bei Vergleichen mit anderen Ländern nicht nur die Entschädigungen, sondern auch die zuvor beschriebenen zusätzlichen Sozialleistungen berücksichtigt werden müssen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Wilhelm Priesmeier