Frage an Wilhelm Priesmeier von Michael R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr D. Priesmeier,
haben sie den vollständigen Text des "Lissabon-Vertrags" gelesen?
Und verstanden?
Sehr geehrter Herr Rost.
Danke für Ihre Anfrage vom 27.5.2008, die wirklich sehr kurz gehalten ist. Sicherlich wollen Sie mich fragen, wie ich zum Lissabon-Vertrag stehe. Ich möchte vorausschicken, dass ich den Prozess der europäischen Integration für historisch unabdingbar und wirtschaftlich für überaus wichtig halte. Gerade angesichts unserer historischen Verantwortung setze ich mich nachdrücklich für ein Europa ein, dass sich politisch, gesellschaftlich aber auch wirtschaftlich besser verzahnt. Nur ein geeintes Europa wird dauerhaft für Frieden und den Wohlstand seiner Bürgerinnen und Bürger sorgen können.
Ich habe am 24. April 2008 für das Gesetz zur Ratifizierung des Vertrages von Lissabon gestimmt, weil ich der Meinung bin, dass wir diesen Vertrag benötigen, um in der Europäischen Union mehr Handlungsfähigkeit, mehr Demokratie und mehr Transparenz zu erreichen. Seit der letzten Anpassung der EU-Verträge in Nizza im Jahr 2001 sind zwölf Staaten der EU beigetreten. Die EU hat sich dadurch von 15 auf 27 fast verdoppelt. Ein effektives und effizientes Handeln wurde der EU dadurch erschwert. Es ist leicht verständlich, dass 15 Staaten Entscheidungen einfacher treffen können als 27 Staaten. Zumal die EU vor allem auf Grund des Beitritts der zehn ost- und mitteleuropäischen Staaten heute heterogener ist als noch vor vier Jahren. Durch den Lissabon-Vertrag wird die Grundrechtecharta rechtsverbindlich, das Europäische Parlament (EP) wird in der Gesetzgebung gleichberechtigt, und die nationalen Parlamente bekommen eine eigenständige Rolle in Subsidiaritätsfragen. Dies sind drei wichtige Fortschritte.
Das Thema Reform der EU stand mit der Debatte über eine EU-Verfassung seit Jahren auf der europapolitischen Tagesordnung und erfuhr große Aufmerksamkeit. Dennoch -- das zeigen Umfragen -- ist die Europapolitik in den Medien weit weniger präsent als nationale Themen wie die deutsche Gesundheitsreform. Außerdem verstehen immer weniger Menschen, wie die EU funktioniert -- auch wenn die Zustimmung zur EU Ende 2007 so hoch war wie seit zehn Jahren nicht mehr. In der Bevölkerung besteht demnach großer Erklärungsbedarf, trotz einer grundsätzlich positiven Einstellung zur EU.
Zur Verständlichkeit des Vertrages von Lissabon: Ich gebe zu, der Vertragstext selbst ist nicht leicht zu lesen. Es handelt sich um einen Änderungsvertrag, in dem lediglich die Änderungen der geltenden Verträge aufgeführt sind. Eine konsolidierte Fassung der geänderten EU-Verträge in der Fassung von Lissabon ist für jeden zugänglich, was ich sehr begrüße. Der Vertragstext hat zum Ziel, Entscheidungen so offen und bürgernah wie möglich zu treffen. Die entscheidende Formulierung ist eben "wie möglich": es gibt angesichts von 27 Mitgliedstaaten, mehreren EU-Institutionen und einer Vielzahl komplexer Politikbereiche eine Grenze, verständlich sein zu können. Aber auch wenn es wünschens- und erstrebenswert ist, dass alle Menschen in Europa alles verstehen, müssen wir hinnehmen, dass Detailfragen nur von Experten beantwortet werden können.
In der Bewertung einzelner Punkt bin ich daher auch auf die Experten meiner Fraktion angewiesen. Die Passagen, die den Bereich Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz angehen und für die ich verantwortlich bin, habe ich selbstverständlich gelesen und für zustimmungsfähig befunden. Diese Meinung habe ich in den Gesprächen mit meinen Fraktionskollegen im Vorfeld der Abstimmung immer wieder vertreten.
In der letzten Woche haben die Iren in einer Volksabstimmung gegen den Lissabon-Vertrag gestimmt. Trotzdem sehe ich das Gesamtwerk nicht gefährdet. Immer wieder hat der Integrationsprozess Rückschläge erfahren, am Ende haben sich die einzelnen EU-Länder jedoch auch immer wieder aufeinander zu bewegt.
Mir ist aber auch bewusst, dass wir Politiker noch mehr als bisher für die europäische Sache werben müssen, um die positive Einstellung der deutschen Bevölkerung zur EU auszubauen. Ich hoffe, dass die deutschen Wählerinnen und Wähler bereits bei der nächsten Europawahl 2009 ihre Stimme für ein Bürger-Parlament abgeben können, dass mehr Gestaltungs- und Kontrollmöglichkeiten haben wird als je zuvor.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. med. vet. Wilhelm Priesmeier