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Wilhelm Priesmeier
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Frage von Karsten P. •

Frage an Wilhelm Priesmeier von Karsten P. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Dr. Priesmeier,

ich wüsste gern, wieso Sie bisher auf den Brief von Rüdiger Steinbeck vom 11.12.2006 an Sie nicht geantwortet haben. Vielleicht haben Sie der Presse entnommen, dass sich Hr. Steinbeck inzwischen nach erfolgreicher Vermittlung eines Göttinger Professors zum Abbruch des Hungerstreiks entschlossen hat. Hätte eine solche Vermittlerrolle nicht auch einem gewählten Abgeordenten gut zu Gesichte gestanden?

Wie empfinden Sie es, dass es inzwischen eine Reihe von Menschen gibt, die sich durch die Anwendung Hartz IV-Gesetzgebung derart verzweifelt sind, dass sie zum Mittel des Hungerstreiks greifen?

Weiterhin: ich arbeite selbst in der IT-Branche: nach Verabschiedung der Hartz-IV-Gesetze waren diese häufiges Thema der Kollegengespräche. Und immer wieder trat die große Angst vieler (jedenfalls derer über 40) zu Tage, bei einem Stellenabbbau in Arbeitslosigkeit und dann in Armut zu fallen. Viele haben daraufhin ihren Konsum deutlich gesenkt, und manche Führungskräfte lagern ihre Ersparnisse jetzt im häuslichen Safe und nicht mehr bei der Bank.
Meine Frage dazu: Wie beurteilen Sie die sozialen und wirtschaftlichen Folgewirkungen von Hartz-IV auf die gesamte Bevölkerung, also über den Kreis der direkt Betroffenen hinaus?

Mit freundlichen Grüßen
Karsten Pöhl

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Pöhl,

ich habe mich keineswegs aus Ignoranz oder Desinteresse an der Diskussion um die Auseinandersetzung von Herrn Steinbeck mit dem Jobcenter in Osterode beteiligt. Zum Zeitpunkt seines öffentlichen Anschreibens über www.abgeordnetenwatch.de waren meiner Kenntnis nach verschiedene sozialgerichtliche Klagen anhängig. Es steht mir als Vertreter der Legislative nicht an, laufende Gerichtsverfahren durch Diskussionsbeiträge zu begleiten oder mich gar in die rolle eines „Vermittlers“ zu begeben. – allzu leicht könnte der unzutreffende Eindruck entstehen, ich wolle die Unabhängigkeit unserer Justiz in Frage stellen. Daher möchte ich auch im Nachhinein die mittlerweile beendete Auseinandersetzung und die Protestaktionen von Herrn Steinbeck wie auch die Rolle des nicht unumstrittenen Professor Grottian, der übrigens an der freien Universität in Berlin lehrt, nicht kommentieren. Gleichwohl freue ich mich, dass Herr Steinbeck mittlerweile in ein über das Jobcenter vermitteltes sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis eingetreten ist.

Zu Ihrer Frage nach meiner Beurteilung der Folgen der Reformen im Bereich der Arbeitslosen- und Sozialhilfegesetzgebung: Ich ziehe eine überwiegend positive Zwischenbilanz. Ein genereller Sozialabbau hat mit der Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht stattgefunden. Viele Menschen profitieren direkt von den neuen Regelungen:
- Menschen, die früher eine geringe Arbeitslosenhilfe bezogen haben, und auf einen Antrag auf Wohngeld oder ergänzende Sozialhilfe verzichtet haben, erhalten seit der Einführung der Grundsicherung eine höhere Leistung.
- Menschen, die früher ein für den Unterhalt der Familie nicht ausreichendes Arbeitslosengeld bezogen haben, und auf einen Antrag auf Wohngeld oder ergänzende Sozialhilfe verzichtet haben, erhalten seit der Einführung der Grundsicherung häufiger ergänzendes Arbeitslosengeld II.
- Erwerbstätige mit einem geringen Erwerbseinkommen, die früher keine ergänzende Sozialhilfe beantragt haben, beantragen jetzt ergänzendes Arbeitslosengeld II.
- Haushalte, die ein Einkommen dicht über der früheren Sozialhilfegrenze bezogen haben, erhalten auf Grund der Einführung des befristeten Zuschlag zum ALG II und des Kinderzuschlags höhere Leistungen.
- Haushalte, die nach altem Recht wegen der strengeren Vermögensanrechnung keine Sozialhilfe beziehen konnten, aber jetzt ALG II erhalten können.

Ich verkenne keineswegs, dass die Reformen das individuelle Gefühl sozialer Sicherheit vieler Menschen in unserem Land beeinträchtigt haben und für viele Bürger auch mit Leistungseinschränkungen verbunden waren und sind. Allerdings möchte ich klar stellen, dass die Reformschritte angesichts der Entwicklungen am Arbeitsmarkt wie auch der öffentlichen Finanzen zwingend notwendig waren.

Die Reformen waren kein Selbstzweck: Erklärtes Ziel war und ist die Überwindung von Hilfsbedürftigkeit und die Verwaltung von Langzeitarbeitslosigkeit. Wir haben diese Politik unter der Kanzlerschaft Gerhard Schröders begonnen und führen sie in der aktuellen Koalition entschlossen fort. Im aktuellen Koalitionsvertrag haben wir festgeschrieben, dass wir mehr Menschen Chancen auf Arbeit geben wollen. Das gilt!
Mit freundlichen Grüßen,

Ihr
Dr. Wilhelm Priesmeier