Frage an Wilhelm Priesmeier von Paul K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag ,
ich habe gelesen, dass ich mich in solchen Fragen am besten an sie, meine Bundestagsabgeordneten, wenden solle.
Die relativ einfache Frage die ich an sie habe und die sie nur nach ihrem besten Wissen und Gewissen beantworten sollen.
Wieso wird der Art.146 des Grundgesetzes nicht versucht umzusetzen.
Und damit meine ich nicht den Vertag von Lissabon. Weil dieser auch keinen souveränen Staat hervorbringt.
Zweiteres:
Auf welche Grundlage legitimiert sich ihre Partei? (Damit möchte ich sie nicht persönlich angreifen sie sind nur mein Ansprechpartner)
Aus §37 Parteingesetz geht hervor das sie für ihr Tun und ihre Veträge nicht haftbar gemacht werden können. Wenn sie nicht haftbar sind, sind sie nach §52 Zivilprozessordnung auch nicht prozessfähig. Wer trägt denn dann die Verantwortung ?
Dies ist kein Vordruck oder ähnliches sondern ein Brief von mir. Verwirrung und ähnliches habe ich zu vermeiden versucht, indem ich nur zwei einzelne Angelegenheiten hier vortrage.
Dieses Schreiben hatte ich zuvor fälschlicherweise an ihre Kollegin Frau Heiligenstadt gesendet. Die mich an sie weitergeleitet hat .
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr Koch,
zum besseren Verständnis für die digitale Öffentlichkeit hier zunächst einmal die Gesetzesartikel, auf die sie sich beziehen:
Artikel 146 Grundgesetz: "Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen worden ist."
§ 37 Parteiengesetz: "§ 54 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ("Aus einem Rechtsgeschäft, das im Namen eines solchen Vereins einem Dritten gegenüber vorgenommen wird, haftet der Handelnde persönlich; handeln mehrere so haften sie als Gesamtschuldner"; Anmerkung WP) wird bei Parteien nicht angewandt."
§ 52 Zivilprozessordnung: "Eine Person ist insoweit prozessfähig, als sie sich durch Verträge verpflichten kann."
Zu Ihren Fragen:
Den Artikel 46 des Grundgesetzes muss man aus der historischen Situation betrachten, in der er beschlossen wurde. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes gingen 1949 davon aus, dass die Bonner Republik ein Übergangsmodell bleiben würde und wollten mit dem genannten Passus in erster Linie die Freiheit der westlichen Demokratie gegen die SED-Diktatur betonen. Bis 1990 lautetet der Artikel: "Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung getroffen ist." Nach dem Ende des Kalten Krieges gab es Forderungen nach der Abschaffung dieses Paragraphen, da er durch die Wiedervereinigung (im Einigungsvertrag heißt es, dass "sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz" gegeben habe) überflüssig geworden sei. Man einigte sich schließlich auf einen Kompromiss des Artikels in der Form, wie wir ihn heute kennen. Die damalige Regierung interpretierte das Ergebnis der ersten demokratischen Volkskammerwahl auch als Votum für das bestehende Grundgesetz. Dieser Auffassung haben sich die meisten Staatsrechtler angeschlossen. Das Grundgesetz offenbart kein grundlegenden Demokratiedefizite, das Prinzip der repräsentativen Demokratie in Deutschland garantiert und manifestiert wesentliche und für uns alle entscheidende Werte und Rechte, ich nenne nur Achtung der Menschenwürde, Verteidigung der Menschenrechte sowie das Rechts- und Sozialstaatsprinzip. Artikel 46 ist dadurch aber keineswegs obsolet geworden, wie das Bundesverfassungsgericht im Lissabon-Urteil klargestellt hat: Ein sogenannter "Identitätswechsel" der Bundesrepublik Deutschland würde eine neue Grundsatzentscheidung des Volkes nötig machen. Die Gelehrten streiten darum, an welchem Punkt genau die staatliche Souveränität der Bundesrepublik, wie sie heute existiert, zur Disposition stehen würde und man sie in einer Volksabstimmung neu bestimmen müsste. Grundsätzlich ist aber klar: Das deutsche Volk kann sich eine neue Verfassung geben. Im Zuge eines erweiterten europäischen Einigungsprozesses wäre ein Referendum nach Artikel 146 des Grundgesetzes auf jeden Fall erforderlich. Ebenso ist meiner Ansicht generell klar, dass plebiszitäre Elemente eine sinnvolle Erweiterung der repräsentativen Demokratie sein können. Meine Partei hat vor drei Wochen auf dem Bundesparteitag ein Konzept für die Einführung von Volksentscheiden verabschiedet, das ich unterstütze (siehe http://www.spd.de/linkableblob/21830/data/beschluss_demokratie_lang.pdf ), wobei ich auch immer zu bedenken gebe, dass das Konzept der repräsentativen Demokratie, das eine in der deutschen Geschichte einzigartigen Epoche des Friedens und des Wohlstands eingeleitet hat, nicht ausgehöhlt werden darf.
Das führt mich zu Ihrer zweiten Frage: Parteien erfüllen in unserer Demokratie eine wichtige Funktion, da sie die Verbindung zwischen Staat und Gesellschaft darstellen. Eine demokratische Partei arbeitet in zwei Richtungen: Zum einen können in einer Partei Bürgerinnen und Bürger ihre politischen Interessen vertreten und für ihre Sache kämpfen; zum anderen stehen Parteien in der Pflicht, den Bürgerinnen und Bürgern politische Inhalte zu vermitteln. Trotz aller berechtigten Kritik an Parteistrukturen und verfestigten Ritualen sehe ich keine demokratische Organisationsform, in der zielgerichteter gearbeitet werden könnte. Politik wird in Parteien gemacht und jeder kann sich in einer Partei engagieren, um Politik nach seinen Vorstellungen mitzugestalten.
Die Ausnahmeregelung im Parteiengesetz erkläre ich mir als Nicht-Jurist damit, dass Parteien an sich keine Verträge /Vereinbarungen mit staatspolitischer Relevanz unterzeichnen; dies besorgen Regierungen und staatliche Funktionsträger. Die eine Regierung tragenden Parteien müssen die Arbeit dieser Regierung kritisch begleiten und haben dieser Aufgabe auch angemessen nachzukommen.
Die Verantwortung für den Staat trägt jeder Bürger. Politiker und Parteien können abgewählt werden, wenn die Bevölkerung mit ihrer Arbeit nicht zufrieden ist. Somit bekommen Parteien in einer Demokratie üblicherweise die Quittung für ihr Handeln. Das ist beispielsweise in der Finanzwelt anders: Dort agieren gewissenlose Zocker, die sich jeglicher demokratischer Kontrolle entziehen. Das muss sich ändern und wer soll die dafür notwendigen Maßnahmen vorantreiben, wenn nicht starke Volksparteien, die wir in der heutigen Lage meiner Ansicht nach nötiger denn je haben?
Mit freundlichen Grüßen,
Wilhelm Priesmeier