Frage an Wiebke Esdar von Frank T. bezüglich Gesundheit
Hallo Wiebke,
im August 2018 hast Du Dich noch für die Einführung der Widerspruchslösung zur Organspende ausgesprochen. Ich bin sehr enttäuscht über Deinen Sinneswandel bzw. Deine Ablehnung gestern im
Bundestag.
Wie kam es dazu?
Gruß Frank Twelker
Lieber Frank,
vielen Dank für deine berechtigte Frage! Ich habe mich umentschieden, nachdem wir innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion und zwischen den Bundestagsparteien noch einmal intensiv über Organspende diskutiert haben. Für mich waren am Ende die Argumente überzeugender, die Zustimmungslösung beizubehalten, aber zu verbessern. Die Gründe dafür will ich hier gerne erklären.
Für mich gilt grundsätzlich: in Deutschland besitzen nur 36 Prozent der Bürgerinnen und Bürger einen Organspendeausweis. Diesen Anteil müssen wir erhöhen. Gleichzeitig sehe ich an vielen Zuschriften und Gesprächen, dass viele Menschen verunsichert sind. Gerade der Skandal von 2012 hat dazu beigetragen, dass viele sich fragen: helfe ich im Falle eines Hirntodes mit meiner Spende wirklich einem notleidenden Menschen oder unterstütze ich damit im Zweifel ein kriminelles Vergabesystem? Um das Vertrauen in die Organspende zu stärken, kann der Staat die Zustimmung deshalb nicht automatisch voraussetzen. Vielmehr brauchen wir bei einem so sensiblen Thema weiter das System der Freiwilligkeit und ausdrücklichen Zustimmung – aber wir müssen es besser organisieren. Dagegen hätte die doppelte Widerspruchsregelung dazu geführt, dass alle Organspenderinnen und -spender wären, die dem nicht ausdrücklich widersprochen hätten.
Um mehr Organspenden zu erreichen, ist jedoch die Frage von Zustimmung und Widerspruch nicht die entscheidende. Vielmehr müssen wir erreichen, dass die Kliniken die Voraussetzung für Organspenden besser erkennen – nämlich den Hirntod von Patientinnen und Patienten. Das sagte auch Prof. Dr. Ulrich Kunzendorf, der in der Ausschussanhörung im Bundestag Stellung bezogen hat (https://www.bundestag.de/resource/blob/658468/86ab64722f9a10bd18be4b32420426c2/19_14_0095-1-_ESV-Prof-Dr-Kunzendorf_Organspende-data.pdf). Die vom ihm mitverfasste Studie von 2018 zeigt, dass Krankenhäuser den Hirntod von Patientinnen und Patienten zu häufig nicht erkennen oder anzeigen. Mit anderen Worten: es könnten Organe gespendet werden, aber es geschieht aus finanziellen oder organisatorischen Gründen nicht. Solange aber diese Menschen nicht registriert werden, ist es egal, ob sie einer Organspende zugestimmt oder widersprochen haben. Daher muss der Staat hier ansetzen. Zumal es zwischen Kliniken auch große Unterschiede gibt: manche Kliniken melden 27 Prozent der Behandlungen an die Deutsche Stiftung Organspende; andere wiederum nur ein Prozent. Wenn wir jedoch flächendeckend Melderaten von 25 Prozent hätten, dann wären die Organspenderaten in Deutschland ähnlich gut wie im Musterland Spanien. Außerdem hat die Große Koalition mit dem Gesetz zur besseren Zusammenarbeit und Strukturen in der Organspende (https://www.bundesgesundheitsministerium.de/gzso.html) bereits einen Schritt in Richtung besserer Organisation gemacht hat. Da seitdem die Transplantationsbeauftragten mehr Zeit und Befugnisse haben und die Krankenhäuser dafür besser vergütet werden, ist bereits dadurch eine Verbesserung der Organisation eingetreten. Weil das Gesetz erst seit dem 1. April 2019 in Kraft getreten ist, liegen dazu aber noch keine Evaluationsergebnisse vor.
Das jetzt beschlossene Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft verbessert diese Organisation weiter (http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/110/1911087.pdf). Denn damit organisieren wir besser, dass es mehr Menschen gibt, die nicht nur bereit sind zu spenden, sondern auch einen entsprechenden Ausweis tragen und registriert sind. Das erreichen wir, indem die Bürgerinnen und Bürger regelmäßig – beispielsweise bei Beantragung des Personalausweises oder des Führerscheins – aber auch durch Hausärztinnen und -ärzte an eine Entscheidung zur Organspende erinnert werden. Außerdem ist ein bundesweites Onlineregister vorgesehen, in das die eigene Bereitschaft einfach eingetragen und auch jederzeit wieder geändert werden kann.
Schließlich ist für mich aber auch entscheidend: unser Grundgesetz verpflichtet den Staat, Menschen nicht zu objektivieren und ihre Würde bewahren. Bei der Organspende geht das auch meiner Ansicht nach nur, wenn jemand dieser ausdrücklich zustimmt. Es gibt Menschen die können oder wollen sich mit diesem Thema zu einer bestimmten Zeit nicht auseinandersetzen. Gerade sie aber – oft die Schwächsten unserer Gesellschaft – muss der Staat schützen. Menschen in sehr schwierigen Lebensumständen, psychisch Kranke und andere Menschen, die sich aus verschiedensten Gründen nicht mit der Organspende befasst haben – ihre Zustimmung darf der Staat nicht automatisch voraussetzen. Andernfalls ginge der Charakter einer Spende verloren, denn die muss freiwillig sein. Darum konnte ich der Widerspruchslösung nicht zustimmen.
Ich selbst trage seit meinem 18. Lebensjahr einen Organspendeausweis. Denn ich will in meinem Todesfall die Chance geben, anderen Menschen mit meinen Organen noch zu helfen. Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass jede und jeder von uns sich mit dem Thema auseinander setzt. Schließlich können wir alle in die Situation kommen, eine Organspende zu benötigen. Allerdings kann der Staat diese Auseinandersetzung nicht garantieren und darf sie über ein „Wer-schweigt-stimmt-zu“ nicht erzwingen.
Herzliche Grüße
Wiebke Esdar