Frage an Werner Wittlich von Andreas T. bezüglich Bildung und Erziehung
Herr Wittlich, halten Sie die rot-grüne Novelle des Meisterbriefs im Handwerk für gelungen?
Sehr geehrter Herr Tümmler,
ich danke Ihnen für Ihre Frage zur Novellierung der Handwerksordnung. Dieses Regelwerk aus dem Jahr 1953 ist gewissermaßen das „Grundgesetz“ des deutschen Handwerks. Vom Meisterbrief als Zugangsvoraussetzung zur gewerblichen Ausübung eines Handwerks über Fragen der Aus- und Weiterbildung bis hin zu den Organisationsstrukturen des Handwerks – in der Handwerksordnung sind alle grundlegenden Fragen geregelt. Seit ihrem Inkrafttreten im Jahr 1953 ist sie immer wieder modernisiert und den Gegebenheiten der Zeit angepasst worden. Zielsetzung war es nun, das Handwerksrecht flexibler zu machen und unpraktikable oder überholte Regeln zu ändern. So gab es zum Beispiel unnötige Wartezeiten vor der Meisterprüfung, erschwerte Zugangsmöglichkeiten für Hochschulabsolventen oder eine ganze Reihe von bürokratischen Vorschriften, die Existenzgründern und auch bereits existierenden Betrieben Hemmnisse in den Weg gelegt haben. Außerdem war die Handwerksordnung nicht europafest.
Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf zur Novellierung der Handwerksordnung wurde dieser Zielsetzung allerdings nicht gerecht. Vielmehr hat Rot-Grün ein Regelwerk vorgelegt, das in sich widersprüchlich, unlogisch, tatsächlich und rechtlich fehlerhaft und nicht mit dem Handwerk abgestimmt war. So sollten zum Beispiel von ursprünglich 94 Meisterberufen künftig nur noch 29 dem Meisterzwang unterliegen. Sogar die Bäcker und Fleischer wären danach nicht mehr unter den Meistervorbehalt gefallen. Das fundamentale Element der Handwerksordnung ist die Meisterprüfung. Sie sichert die Ausbildungsfähigkeit eines ganzen Wirtschaftszweiges und erhält den Kernbereich der gesamten mittelständischen Wirtschaft. Die Meisterprüfung ist deshalb kein alter Zopf; sie betrifft im Gegenteil wichtige gesellschaftspolitische Fragen. Schließlich ist das Handwerk – die „praktische Elite“ – eine der wenigen international wettbewerbsfähigen Eliten, die wir in unserem Land noch haben. Mit dem von Rot-Grün vorgelegten Entwurf wäre deshalb genau das Gegenteil von dem erreicht worden, was unser Land jetzt dringend braucht: Nicht mehr, sondern weniger Arbeitsplätze – nicht mehr, sondern weniger Ausbildungsplätze - nicht mehr, sondern weniger Selbständigkeit. Das anerkannte duale Ausbildungssystem wäre zerschlagen worden. Überdies wurde die Reform von Politikern eingeleitet, die selbst noch nie an der Spitze eines Unternehmens für Arbeits- und Ausbildungsplätze gesorgt haben! Im Vermittlungsausschuss haben sich Regierung und Opposition auf einen Kompromiss verständigt, so dass die überarbeitete Handwerksordnung zum 1. Januar 2004 in Kraft treten konnte. Uneingeschränkt positiv ist daran, dass endlich Rechtsklarheit für das Handwerk geschaffen wurde. Das Handwerk weiß jetzt, woran es ist. Bei der Reform wurde nicht zuletzt durch die gemeinsamen Bemühungen von CDU/CSU und den Handwerksorganisationen Schlimmstes verhindert und sichergestellt, dass der Meisterbrief in 41 Berufen vorgeschrieben bleibt. Damit verbleiben rund 600.000 Betriebe in der Handwerksrolle – das sind rund 90 %.
Nun liegen auch die ersten Erfahrungen der Auswirkungen vor: Der Konkurrenzdruck durch Unqualifizierte, die den Meisterbetrieben das Wasser abgraben, schafft keine neuen Arbeitsplätze sondern vernichtet bestehende. Ich-AG’s und Ein-Euro-Jobs sind definitiv keine geeigneten Arbeitsmarktinstrumente. Dieses Thema steht auf der Prioritätenliste ganz oben, damit die angestoßene Dequalifizierungsspirale schnellstens gestoppt wird. Führende Unionspolitiker haben bereits signalisiert, dass auch die erkennbar nicht bewährten Änderungen in der Handwerksordnung korrigiert werden. Die CDU ist sich der Bedeutung des Handwerks sehr wohl bewusst und wird die berechtigten Interessen des Handwerks stets im Blick behalten.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr
Werner Wittlich