Frage an Werner Schieder von Oliver S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Es steht nun offenbar das dritte Bail-Out-Paket für Griechenland vor der Tür. Erneut wird deutsches Steuergeld (diesmal wohl 11,5 Mrd. €) direkt der Gefahr des Untergangs ausgesetzt, indem es in etwa halb-halb zur Refinanzierung ans griechische Bankensystem und den griechischen Staat ausbezahlt werden soll. Dezidierte Sicherheiten werden nach heutigen Stand wohl nicht gefordert, da sie von keinem der beiden in irgendeiner Form mehr erbracht werden könnten. Damit ist mittelfristig von einem Totalverlust auszugehen.
Was gedenken Sie zu tun, um den Verlust dieses Vermögens der deutschen Steuerzahler zu verhindern.
Man könnte damit so nette Sachen machen, wie z.B. Bayern zu gut einem Drittel entschulden, oder NRW etwa vier Jahre lang das unsolide Wirtschaften finanzieren. Man könnte auch an jeden Deutschen 150,- € auszahlen oder ein Jahr lang die Mehrwertsteuer auf 17% senken. Auch der Benzinpreis könnte um 20 Cent abgesenkt werden oder gar der Solidaritätszuschlag abgeschafft werden.
Alles Maßnahmen, die dem Souverän zu Gute kommen würden. Denn der Souverän ist lt. der aktuell gültigen Verfassung (GG) das deutsche Volk.
Sehr geehrter Herr Seidel,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Zunächst möchte ich einem möglichen Missverständnis vorbeugen. Sie schreiben, dass an Griechenland „deutsches Steuergeld“ ausbezahlt werde, mit dem man doch in Bayern oder NRW dies und jenes machen oder auch die Mehrwertsteuer oder Mineralölsteuer entsprechend senken könnte. Diese Vorstellung entspricht nicht den Gegebenheiten. Griechenland - wie auch andere Krisenländer in der Währungsunion - bekommt kein „Steuergeld“ überwiesen, sondern Kredite, um die Refinanzierung des Staates sicherzustellen. Deutschland haftet für diese Kredite. Die Gewährleistung der Refinanzierung selbst ist zwingend erforderlich, da Griechenland wie auch einige andere Länder de facto vom Zugang zu den Kapitalmärkten abgeschnitten ist, da diese extrem hohe Zinsen verlangen.
Zu dieser krisenhaften Zuspitzung - Abkoppelung von den Kapitalmärkten - ist es maßgeblich erst gekommen, weil Bundeskanzlerin Merkel im Frühjahr 2010 und dann oft wiederholt erklärt hat, dass es für Griechenland bzw. andere Länder definitiv keine (!) Garantie durch die Währungsunion gebe. Danach kam es in immer neuen Schüben zu einer Flucht aus europäischen Staatsanleihen und zu Spekulationsattacken gegen einzelne Länder.
In jedem Staat mit einer eigenen Währung - also in jedem Währungsgebiet mit einer dazu-gehörigen Zentralbank - garantiert letztlich auch die Zentralbank die Staatsanleihen des Währungsgebiets. Nur in der Europäischen Währungsunion ist das nicht der Fall - und bis heute verweigert v. a. die deutsche Bundeskanzlerin eine solch eindeutige und glaubwürdige Garantie. Erst als die EZB im Sommer erklärte, sie werde nun auch unbegrenzt Staatsanleihen aufkaufen, falls notwendig, kam es zu einer gewissen Beruhigung an den Anleihemärkten - ohne dass die EZB überhaupt nur tatsächlich eine einzige Anleihe kaufte!
Diese Letztgarantie für Staatsanleihen durch die Zentralbank (lender of last resort) ist auch für die Europäische Währungsunion unabdingbar. Nicht mit immer neuen „Rettungsschirmen“, sondern nur im Zusammenwirken mit der EZB muss die Refinanzierung der Mitgliedsländer zu vernünftigen Zinsen gewährleistet werden.
Die - wieder v. a. von der deutschen Bundesregierung geforderte - überzogene Austeritätspolitik als Kondition für Rettungskredite führt in die Irre. Verbunden mit drastischen Lohnsenkungen führt sie zum Verfall der Binnennachfrage und stürzt die südeuropäischen Länder in immer tiefere Rezession - Griechenland befindet sich seit drei Jahren im freien Fall, nicht wegen irgendwelcher griechischer „Strukturen“ (die sicherlich verbesserungsbedürftig sind), sondern gerade wegen der aufoktroyierten Austerität! - und die Verschuldung steigt, anstatt zu sinken. Eine solche Politik erhöht das Risiko, dass es zum Zahlungsausfall (Schuldenschnitt) kommt und wegen der deutschen Haftung (s. o.) der deutsche Steuerzahler am Ende zahlt. Eine solche Politik unterstütze ich nicht, ich halte sie für falsch. Deswegen habe ich vor kurzem bei dem Griechenland-Paket im Bundestag mit NEIN gestimmt.
Der Kern der Krise der Währungsunion ist nicht eine „Staatsschuldenkrise“ wegen nachlässiger Haushaltspolitik, sondern erstens eine Folgekrise der Finanzkrise, denn erst mit dieser ist die Staatsverschuldung in allen Ländern nach oben gegangen. Zweitens darf man nicht nur die staatliche Verschuldung in den Blick nehmen, sondern auch die Verschuldung des Privatsektors. Beides drückt sich in den Leistungsbilanzungleichgewichten in der Währungsunion aus. Diese sind nicht nur wegen „Fehler“ der Südeuropäer entstanden, auch Deutschland hat durch zehnjährige Lohnstagnation wesentlich zum Aufbau dieser Ungleichgewichte und der damit zusammenhängenden Verschuldung beigetragen. Eine Lösung der Krise wird es nicht geben, wenn nicht Deutschland seine Binnennachfrage dauerhaft erhöht und zu einer expansiveren Lohnpolitik zurückkehrt. Einzelheiten zu den letztgenannten Punkten finden Sie auf meiner Homepage unter http://www.wernerschieder.de in der Rubrik „Standpunkte“.
Mit freundlichen Grüßen
MdB Werner Schieder