Frage an Volker Ratzmann von Tom B. bezüglich Verkehr
Sehr geehrter Herr Ratzmann,
Ihre Positionen zu den 25 Fragen im Kandidatencheck sind mir zum größten Teil sehr sympathisch und ich freue mich für Sie und unseren Wahlkreis, dass Sie wohl gute Aussichten bei der Erststimme haben.
Ihre Antwort zum Thema S-Bahn gibt mir jedoch zu denken und darauf bezieht sich auch meine Frage.
Wegen fehlender Begründung gehe ich davon aus, dass Sie die Position des Landesverbandes zum Thema S-Bahn teilen und das Netz in Öffentlicher Hand wollen, den Betrieb aber stufenweise ausschreiben möchten.
Wenn meine Annahme zutrifft, ist meine Frage, was Sie sich davon erhoffen bzw. warum Sie davon ausgehen, dass dieses Handeln die Lösung für die momentanen Probleme ist.
Sollte sich Ihre Antwort auf die mangelnde Qualität bzw. die Finanzierungsproblematik beziehen, frage ich gleich hinterher, ob ein Konzept, das den Streckenbetrieb ausschreibt, wonach er nach privatwirtschaftlichen Prämissen geregelt werden wird, wirklich die Probleme löst (selbst, wenn man Qualitätsstandarts vertraglich vereinbart und welche sollen das überhaupt sein?).
Ich finde interessant, dass auf Druck "Ihrer" AL 1989 die übertragbare Monatskarte eingeführt wurde, die nachweislich zu einer signifikanten Erhöhung der ÖPNV Nutzer geführt hat.
Da nicht nur wir in Berlin dieses Problem haben, gibt es weltweit sowieso Studien, die das Bild verstärken, dass schon die Senkung des Fahrpreises den Kundenstamm erhöht und mehr Umsatz, d.h. auch kein Sparzwang bei Qualität, generiert. Berlin liegt zudem weit unter dem europäischen Durchschnitt, was die Nutzung des ÖPNV angeht und hat also noch Kapazität.
Wie stehen Sie vor diesem Hintergrund zu der Situation und welche Argumente genau verleiten Sie zu der Annahme, dass der Betrieb ausgeschrieben werden sollte?
Danke im Voraus für die Beantwortung meiner Frage und verzeihen Sie, dass ich versucht habe, sie mit Vorausargumenten zu versehen - Ich wollte nur einmal fragen und Sie in keine längere Diskussion verwickeln.
Sehr geehrter Herr Becker,
keine Sorge, ich freue mich über Ihre differenzierte Argumentation. Auch wir wollen den öffentlichen Nahverkehr in Berlin noch attraktiver machen und Berlin zu einer Vorzeigemetropole für klimafreundliche Mobilität entwickeln. Wir wollen die Alternativen zum Privatauto attraktiver machen, um noch mehr Menschen zum Umstieg auf den ÖPNV und das Fahrrad zu bewegen. Dazu gehört sicher eine Überprüfung der Fahrpreiskonzepte, aber auch eine Erweiterung des öffentlichen Mobilitätsangebots und eine optimale Verknüpfung aller Verkehrsarten: Busse und Bahnen, Radfahren und Zufußgehen, Auto, Taxi und Car-Sharing-Netze. Als Weiterentwicklung der Umweltkarte denken wir dazu an eine Mobilitätskarte, die die verschiedenen Verkehrsmittel optimal miteinander kombinierbar macht. Ich nutze gerade eine Karte im Testbetrieb und bin völlig begeistert.
Die Lage bei der S-Bahn ist in der Tat äußerst vertrackt. Die Auswirkungen der eklatanten Missstände bei der Bahn-Tochter halten weiter an. Um mittel- und langfristig Verbesserungen zu erreichen und eine Wiederholung chaotischer Zustände zu verhindern, sind dringend strukturelle Änderungen erforderlich. Wir sind der Ansicht, dass die Verantwortung für die S-Bahn-Infrastruktur in öffentliche Hand gehört. Wir sehen natürlich, dass derzeit Schienen und Betriebsgelände der DB AG bzw. ihren Töchtern gehören. Sie zur Übertragung zu bewegen, wird sicher eher schwierig.
Ganz dringend ist es jetzt aber erst einmal, schnellstmöglich neue Züge zu bestellen. Die Bahn hat wohl angekündigt, für das Land die Beschaffung zu übernehmen. Der rot-rote Senat ist nur nicht in der Lage, die Bedingungen zu formulieren.
Wenn wir den kompletten Betrieb der S-Bahn 2017 nicht vollständig an die BVG übertragen wollen - und wir Grüne wollen das nicht und die BVG im Übrigen auch nicht - dann zwingt uns das europäische Recht den S-Bahnbetrieb zumindest zum Teil auszuschreiben. Unserer Meinung nach sollte das stufenweise geschehen - und zwar mit klaren Vorgaben zur Qualität des Angebots (Pünktlichkeit, Zahl der Zugausfälle, Wartung, Kundenfreundlichkeit etc.) und vertraglich festgelegen Strafen bei Nichteinhaltung. An dieser Ausschreibung kann sich die S-Bahn wieder beteiligen.
Der von rot-rot miserabel ausgehandelte Vertrag zwischen dem Land Berlin und der S-Bahn Berlin GmbH hat uns das Chaos mit eingebrockt. Das geht viel besser: Nach EU-Recht können nach der Angebotsaufforderung mit mehreren Anbietern Verhandlungen aufgenommen werden, bevor eine endgültige Entscheidung für einen Anbieter getroffen wird. Damit kann ein optimales Angebot für Berlin sichergestellt werden, das sowohl Verbesserungen für die Fahrgäste, als auch niedrigere Kosten für den Landeshaushalt bringt. Ein Wettbewerb zu Lasten der Beschäftigten und der Umwelt ist durch den neuen Branchentarifvertrag und tarifliche und ökologische Standards bei der Ausschreibung auszuschließen.
Herzliche Grüße
Volker Ratzmann