Frage an Volker Kröning von Maximilian W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Kröning,
wir behandeln in unserem Politikkurs (12. Jahrgang) gerade das Thema "Politik und Medien". Gerade haben wir uns mit den drei Thesen zum Verhältnis von Medien und Politik beschäftigt ( Das Gewaltenteilungsparadigma, das Instrumentalisierungsparadigma und das Interpendenz- und Symbioseparadigma). Welches dieser Paradigmen entspricht Ihrer Meinung nach am ehesten der Realität?
Wir sind der Meinung, dass die These des Gewaltenteilungsparadigmas als ein Idealmodell, welches nicht auf die Wirklichkeit anwendbar ist, zu verstehen ist. Wie stehen Sie zu dieser Aussage?
Mit freundlichen Grüßen,
Maximilian Wendisch
Sehr geehrter Herr Wendisch,
vielen Dank für Ihre Frage zum Verhältnis von Politik und Medien.
Die drei Paradigmen, die sie aufzählen, sind – wenn man so sagen will – nur die Spitze des Eisbergs. Unterhalb der drei Oberbegriffe verbergen sich vielfältige und konträre politik- und medienwissenschaftliche Diskussionen. So ist der Begriff der „4. Gewalt“ umstritten, weil er die Medien tatsächlich in eine Reihe mit den drei verfassungsrechtlichen Gewalten Exekutive, Legislative und Judikative stellt. In der neueren medienwissenschaftlichen Diskussion wird daher eher unterschieden zwischen mächtigen Medien, ohnmächtigen Medien und einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis also ohne Bezug zur Gewaltenteilung.
Die Befürworter der These von den mächtigen Medien teilen sich wiederum in solche, die die Macht der Medien als legitim, und solche, die diese als illegitim ansehen. Erstere erkennen in den Medien eine Kontrollinstanz der drei Staatsgewalten, also Mittler zwischen Politik und Bürger. D.h.: die Medien informieren die Bürger und kontrollieren die Politik. Damit werden sie aber keineswegs – wie das Paradigma dies auszudrücken scheint – zu einer Gewalt, es geht vielmehr um den Begriff von Macht oder Einfluss. Die Kritiker dieser Kontrollfunktion halten diese Macht für illegitim, weil sie Medien als neutrale Dienstleister in einer Scharnierfunktion sehen, denen keine Kontrollfunktion zukommt, weil sie dazu nicht legitimiert sind. Dazu ist es jedoch notwendig, den Begriff Legitimation zu definieren.
Die Idee der ohnmächtigen Medien geht zum einen zurück auf die Zeit vor der Dualisierung des Rundfunks. Demnach seien die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten durch den Einfluss von Politik in ihren Gremien unter die Fuchtel der Politik geraten. Dieser Ansatz ist in zweifacher Hinsicht überholt: Erstens hat er nie einen klaren Beleg zum Einfluss der Politik auf die Presse gefunden, und zweitens hat die Dualisierung die Grundlage der Analyse wesentlich verändert. Parallel dazu gibt es Untersuchungen, die zeigen, dass die Medien sich in ihrer Berichterstattung von der Öffentlichkeitsarbeit politischer Stellen oder Akteure maßgeblich beeinflussen lassen: Sie bestimmen Themen und Timing. Ob dies positiv oder negativ zu werten sei, ist wiederum umstritten, denn manche Wissenschaftler vertreten die Auffassung, dass der sog. Verlautbarungsjournalismus eine notwendige Funktion von Medien sei, um sich selbst vor Überlastung zu schützen und Zeit für wesentliche Recherchen zu gewinnen.
Die These von der gegenseitigen Abhängigkeit und dem gegenseitigen Einfluss von Medien und Politik ist noch deutlich vielfältiger. Denken Sie z.B. an die Ansätze zur Interdependenz, Intereffikation, Interpenetration, strukturellen Kopplung, Symbiose und Supply Side Politics - wie sie neuere Theorien entwickelt haben. Allen gemeinsam ist, das sowohl Politik Einfluss auf Medien hat wie umgekehrt und dass beide auch voneinander abhängig sind. So brauchen die Medien von den Politikern z.B. die Themen und richten sich nach ihrem Zeitablauf; die Politiker wiederum brauchen die Öffentlichkeit der Medien und achten auf deren Redaktionsroutinen. In der Idee der Symbiose verdichtet sich dies zu einem marktähnlichen Supersystem, in dem beide am Ende ihre Autonomie und ihre Funktion einbüßen.
Problematisch an allen drei Ansätzen ist, dass sie sich kaum auf Forschungserkenntnisse stützen. Sie sind reine Theoriekonstrukte und vernachlässigen häufig die einfachsten Definitionen und Erkenntnisse von Macht oder Einfluss, von Demokratie, Medien und Politik. Sie gehen daher auch von unterschiedlichsten Voraussetzungen aus, so z.B. von der Geschlossenheit der Systeme Medien und Politik oder von einem einfachen Sender-Empfänger-Modell.
Ich bin der Meinung, dass die Ideen zur gegenseitige Abhängigkeit und gegenseitigem Einfluss von Politik und Medien am ehesten die Realität beschreiben. Wichtig ist mir vor allem der Begriff des „Einflusses“ statt desjenigen der Macht. Allerdings muss unterschieden werden zwischen politischer Routine und Ausnahmesituationen, so z.B. zwischen einfachen Gesetzgebungsprozessen, solchen mit erhöhter Aufmerksamkeit und Betroffenheit oder gar Wahlkampfzeiten. Darüber hinaus ist die Beziehung zwischen beiden Kräften auf den diversen Ebenen und Feldern der Politik ebenso unterschiedlich wie in den verschiedenen Medientypen. Aussagen zum Verhältnis von Politik und Medien lassen sich also nicht generalisieren. Die Medien- und die Politikwissenschaft werden also in Zukunft noch erhebliche Aufgaben zu bewältigen haben.
Ich kann Ihnen jedoch nicht darin folgen, das Gewaltenteilungsparadigma als Idealmodell, das nicht auf die Wirklichkeit anwendbar sei, zu verstehen. Zum einen sehe ich die Medien auch in einem Idealmodell nicht als „4. Gewalt“ im Sinne der drei anderen Gewalten; ich bevorzuge - wenn auch "nur" als Jurist und Politiker - die Idee von Einfluss. Zum zweiten spreche ich den Medien zwar nicht die Legitimation ab und fordere ihre Kontrollfunktion auch ein, befürworte aber auch die neutrale Dienstleistung - mit der altmodischen Differenzierung von Nachricht und Kommentar. Dies sind für mich keine Widersprüche, sondern zwei Seiten ein und derselben Medaille.
Ein Idealmodell wäre für mich, wenn Medien, Politik und Bürger drei offene Systeme bildeten, die aufeinander angewiesen wären und ihre Funktionen jeweils vollständig erfüllten. Die Funktion der Medien ist danach die neutrale Information in beide Richtungen (von der Politik zu allen Bürgern und umgekehrt), die Formulierung der Meinung klar von der Nachricht getrennt und die Kontrolle der drei Gewalten. Zu diesem Zweck müssen die Medien autonom sein, aber auch eine funktionierende Selbstkontrolle aufweisen. Einfluss von Seiten der Politik ist solange nicht schädlich, wie sie die Medien in der Ausübung ihrer Funktion nicht behindert. Das gilt genauso für den Einfluss von Medien auf die Politik. Das entscheidende Kriterium für das Idealmodell, das ich auch gerne in die Realität umgesetzt sähe, wäre die Loyalität gegenüber der Demokratie.
Mit freundlichen Grüßen
Volker Kröning