Frage an Uwe Barth von Rainer S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Barth,
(eigentlich wollte ich "Hallo Uwe" schreiben, aber das wäre wohl hier zu informell)
bezüglich des geplanten "Gesetz(es) zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen" habe ich ein paar Fragen an Sie:
Wie beurteilen Sie die Verhältnismäßigkeit der geplanten Zensurmaßnahmen in Bezug zum Grundgesetz Artikel 5 (eine Zensur findet nicht statt) - den Absatz 2 kenne ich?
Insbesondere
- wenn man bedenkt, daß die Sperrliste vom BKA gepflegt werden soll, dessen Mitarbeiter schon mal als agent provocateur agieren und vor Gericht lügen (Quelle: http://annalist.noblogs.org/post/2009/03/26/bka-zeuge-l-gt-schlecht-ber-gef-lschte-akten )
- wenn die Sperrliste keinerlei öffentlichen Kontrolle zugänglich ist
- mit dem Wissen, daß etwa die "Operation Himmel" mit ca. 12.000 des Konsums von Kinderpornographie Verdächtigten ein grandioser Fehlschlag war
- mit dem Wissen, daß es deutlich effizientere Wege mit deutlich weniger "Kollateralschäden" gibt - nachgewiesenermaßen funktioniert das Abschalten einschlägiger Seiten recht gut (Quelle: http://www.carechild.de/news/politik/internetzensur_carechild_versuch_blamiert_deutsche_politiker_566_1.html )
- und am Wichtigsten: mit dem Wissen darum, daß dieses Gesetz den Aufbau einer flächendeckenden Internetzensur ermöglichen soll, und es natürlich kein technisches Problem mehr darstellen wird, die Sperrlisten um beliebige weitere Einträge zu erweitern, etwa auf Wunsch der Musikindustrie (Stichwort Raubkopien), der staatlichen Lotterien (die sich durch Internet-Lotto gefährdet sehen) usw. usf.?
Also zusammengefaßt: Wie stehen Sie zu diesem Gesetzentwurf? Wie werden Sie abstimmen?
mit freundlichen Grüßen,
Rainer Sokoll
PS: Dieselben Fragen gehen ebenso an Ihre Jenaer Kollegen Ramelow und Blumentritt
Sehr geehrter Herr Sokoll,
vielen Dank für Ihre Frage zu den Maßnahmen der Bundesregierung zur Bekämpfung der Kinderpornographie, zu der ich gerne Stellung nehme.
Kinderpornographie muss effektiv bekämpft werden. Kinderpornographie, bei der der Missbrauch von Kindern in Bild oder Film wiedergegeben wird, ist ein widerliches und schreckliches Verbrechen, denn der vorangegangene Missbrauch hinterlässt unheilbare Wunden an Seele und Körper der missbrauchten Kinder.
Notwendig ist die konsequente Verfolgung von Kindesmissbrauch und Kinderpornographie. Die Erfolge der Ermittlungsbehörden in Bund und Ländern in diesem Bereich müssen fortgesetzt werden. Insbesondere ist für ausreichende personelle und sächliche Mittel, gerade bei der IT-Ausstattung, bei Polizei und Staatsanwaltschaften, die richtigerweise sehr sensibel auf Anzeigen und Erkenntnisse in diesem Bereich reagieren, zu sorgen. Zudem muss die Prävention des Kindesmissbrauchs verbessert werden. Hier sind Eltern, Schulen, Kindergärten, Ärzte und Jugendämter ebenso gefordert wie die Gesellschaft insgesamt. Eine Kultur des Wegschauens darf es nicht geben, sondern jeder, der Hinweise auf Kindesmissbrauch hat, muss ermutigt werden, dies auch regelmäßig zur Anzeige zu bringen.
Den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Telemediengesetzes, nach dem die Zugangsprovider dazu verpflichtet werden sollen, Internetseiten nach Vorgabe einer Sperrliste des Bundeskriminalamts durch Umleitung auf eine Stopp-Seite zu sperren, lehne ich ab.
Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Straftaten, die im oder mittels des Internets begangen werden, müssen konsequent verfolgt werden. Zugleich müssen sich staatliche Maßnahmen an den geltenden rechtsstaatlichen Vorgaben messen lassen.
Schon die Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Bereich der Gefahrenabwehr bei der Verbreitung von Kinderpornographie ist zweifelhaft. Gefahrenabwehr obliegt den Ländern, die in diesem Bereich hervorragende Arbeit leisten. Auch die Regulierung von Medieninhalten liegt in der Zuständigkeit der Länder, wohingegen der Bund nur für die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen von Telemedien zuständig ist. Insoweit stellt sich die Frage, ob der von der Bundesregierung eingebrachte Gesetzentwurf verfassungsgemäß ist.
Vor allem jedoch zweifle ich an, dass die geplanten Regelungen tatsächlich geeignet sind, an dem Missbrauch von Kindern und der Verbreitung von Kinderpornographie zu bekämpfen.
Nach meiner Kenntnis ist es so, dass mit den geplanten Sperrungen durch die Manipulation in den sog. Domain-Name-Servern (DNS), die dazu dienen, eine vom Nutzer eingegebene Internetadresse in die zugehörigen numerischen IP-Adressen aufzulösen, die gesperrten Seiten nach wie vor zugänglich sind, wenn z.B. ein anderer DNS verwendet oder aber die IP-Adresse direkt eingegeben wird. Wenngleich die Umgehbarkeit die Geeignetheit nicht grundsätzlich in Abrede stellt, muss jedoch bedacht werden, dass die Nutzung anderer DNS, z.B. einer Universität, gang und gäbe ist und so eine nicht unerhebliche Zahl der Nutzer gar nicht erfasst wird. Ebenfalls nicht erfasst werden sog. Peer-to-Peer-Netzwerke, da diese nicht in den Domain-Name-Servern verzeichnet sind. Insoweit wird ein für die Begehung von Straftaten im Bereich der Kinderpornographie wesentlicher Verbreitungsweg schon von vornherein nicht erfasst. Schließlich wechseln die Server nach Angabe des BKA häufig, teilweise nach nur wenigen Stunden. Sperrlisten, die binnen sechs Stunden wirksam werden müssen, verfehlen dann aber ihr Ziel.
Von der Bundesregierung wird vorgetragen, dass die Maßnahme aber deshalb erforderlich sei, weil ein strafrechtliches Vorgehen gegen die Betreiber ausländischer Server schwierig bis unmöglich sei. Nach Erkenntnissen aus anderen Ländern befindet sich die weit überwiegende Zahl der Server in den Vereinigten Staaten, die übrigen vielfach in Europa. Hier ist Rechtshilfe regelmäßig möglich und auch Erfolg versprechend.
Die FDP-Bundestagsfraktion hat das Vorgehen der Bundesregierung kritisiert, die Provider durch Verträge mit dem BKA zu Sperrungen zu verpflichten, da Grundrechtseingriffe stets einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wird aber unter keinem Gesichtspunkt den Anforderungen an eine verfassungsmäßige Rechtsgrundlage gerecht. So fehlen in dem Gesetzentwurf Vorgaben für ein rechtsstaatliches Verfahren oder für klare Haftungsregelungen der Provider. Auch die Ausweitung der Befugnisse des BKA im Bereich der Gefahrenabwehr ist abzulehnen.
Die Beratung findet in dieser Woche im Deutschen Bundestag statt. Die Bundesregierung hat kurzfristig einige Änderungen am Gesetzentwurf vorgenommen, die jedoch leider die grundlegende Kritik nicht berücksichtigt. Deshalb habe ich mit der Beantwortung bis heute gewartet. Den von der FDP-Bundestagsfraktion in dieser Woche in den Deutschen Bundestag eingebrachten Entschließungsantrag finden Sie im Internet unter folgendem link: http://www.fdp-fraktion.de/files/538/EA-KinderpornographieInternet.pdf
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Uwe Barth, MdB