Frage an Ute Finckh-Krämer von Ayse Y. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Finck-Krämer,
Im TV sehe ich, dass viele Minderjährige Migranten nach Deutschland kommen.
Aus der Süddeutschen v. 28.Juli, 2014:
„In Deutschland kommen immer mehr minderjährige Jugendliche an, zu 89% Jungen, die häufig von den Familien losgeschickt werden. Ursache ist die Situation in Ländern wie Syrien und Eritrea. Auch aus Somalia und den Maghreb-Staaten, also vor allem aus Tunesien, Algerien und Marokko, kommen deutlich mehr minderjährige Flüchtlinge. Der Anteil der Afghanen lag in den letzten Jahren bei mehr als 50 Prozent. Die Schlepper und Schleuser, mit denen die Jugendlichen ihre Flucht organisieren, verlangen für ihre Dienste Geld - zum Teil hohe Summen“ (http://www.sueddeutsche.de/panorama/unbegleitete-minderjaehrige-fluechtlinge-das-moechte-sich-niemand-vorstellen-1.2066163).
Man kann annehmen, dass die Eltern sicherlich darauf hoffen, eines Tages von ihren Söhnen nachgeholt zu werden,samt ihrer Kinder.
Gabriel (SPD) fordert nun, den Familiennachzug für minderjährige Flüchtlinge zu ermöglichen. Damit würde sich die Hoffnung der Eltern erfüllen und es würde sich in den entsprechenden Ländern über Twitter usw. schnell verbreiten. Meinen Sie nicht, dass dadurch erst viele Eltern veranlasst werden, ihre Söhne nach Deutschland zu schicken? Würde die Genehmigung zum Familiennachzug nicht erst die Migration Minderjähriger befeuern und so den kriminellen Schleusern in Hände arbeiten?
Welches sind die Maßnahmen der SPD und von Ihnen, um Eltern davon abzuhalten, ihre Kinder nach Deutschland zu schicken und sich in die Hände von skrupellosen Schleppern zu begeben?
Bitte ehrliche, realistische Vorschläge!
Alles Gute
Ayse Yilmaz
P.S. Merkel sagt, man könne die deutsche Grenze nicht sichern, zahlt aber der Türkei Geld, damit die ihre grenze sperrt. Scheinheilger geht’s kaum noch“ (http://www.welt.de/debatte/kommentare/article147786303/Die-groessten-Heucheleien-in-der-Fluechtlingspolitik.html). Wie steht die SPD als Bundesregierung dazu?
Sehr geehrte Frau Yilmaz,
herzlichen Dank für Ihre Frage. Leider zitieren Sie den von Ihnen angeführten SZ-Artikel vom Juli 2014 nur sehr auszugsweise, Sie haben Sätze aus dem Artikel aneinandergehängt, die dort getrennt stehen und einiges, was erklären kann, warum Jugendliche alleine auf die Flucht gehen oder alleine hier ankommen, weggelassen: Eine Trennung von den Eltern auf der Flucht, Tod der Eltern, die Gefahr, von einer Bürgerkriegspartei als Kindersoldat eingezogen oder zwangsverheiratet zu werden. Mit Annahmen, was Eltern im Sinn haben, die ihre Söhne alleine auf die Flucht schicken, wäre ich daher sehr vorsichtig.
Ich trage außerdem gerne einige Informationen nach, die in dem Artikel nicht stehen, weil es im Sommer 2014 noch keine breitere Debatte über den Familiennachzug gab.
Unbegleitet in Deutschland angekommene Kinder und Jugendliche können nach geltendem Recht (§29 Aufenthaltsgesetz) ihre Eltern nur nachholen, wenn sie eine Anerkennung als Asylberechtigte oder Flüchtlinge haben. Viele unbegleitet hier ankommende Kinder und Jugendliche erhalten aber nur eine Duldung. Damit haben sie keinen Anspruch auf Familienzusammenführung. Selbst für die, die diesen Anspruch geltend machen können, ist es ein langwieriges, mühsames und oft auch kostspieliges Verfahren. In der heutigen SZ wird auf eine aktuelle Zahl verwiesen: "Von Januar bis Anfang Dezember 2015 seien nur 442 Eltern nach Deutschland geholt worden." (Quelle: http://www.sueddeutsche.de/politik/asyl-jung-elternlos-gefaehrdet-1.2852935-2 ). Ein "Befeuern" der Geschäftsmodelle von Schleusern ist dadurch wohl kaum erfolgt.
Die SPD will den Familiennachzug nicht neu einführen, sie will ihn aber so lassen, wie er ist.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat schon im November 2015, als die Diskussion über eine Begrenzung des Familiennachzugs begann, darauf hingewiesen, dass eine Aussetzung des Familiennachzugs für einen Teil der hier lebenden unbegleiteten Minderjährigen einen Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention darstellen würde:
Es sind derzeit in einigen Ländern falsche Informationen darüber im Umlauf, wer mit welcher Begründung ein Bleiberecht in Deutschland für wie lange erhalten kann. Dagegen hilft nur geduldige, möglichst breite Aufklärung in den Herkunftsländern über die Rechtslage hier, keine hektischen Änderungen von Gesetzen, die am Ende diejenigen am härtesten treffen, die auf der Flucht von ihren Familienangehörigen getrennt wurden. Die deutschen Botschaften sind in den Ländern, aus denen viele Flüchtlinge mit schlechter Bleibeperspektive kommen, intensiv damit beschäftigt, über das deutsche Asyl- bzw. Flüchtlingsrecht zu informieren.
Zeitungsberichte zur Türkeipolitik der Kanzlerin kann ich nicht für die SPD kommentieren, ich kann nur für mich selber sagen, dass ich die Debatte um den Schutz der EU-Außengrenzen sehr kritisch sehe, weil damit das eigentliche Problem aus dem Blick gerät: wie wir den syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen am besten helfen können.
Mit freundlichen Grüßen
Ute Finckh-Krämer