Frage an Uta Zapf von Thomas S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Zapf!
Seit nun knapp 9 Jahren kämpft die Bundeswehr m.E. vom deutschen Volk weitgehend verdrängt in Afghanistan in einem Krieg, der bis dato tausenden Menschen der dortigen, meist unschuldigen Zivilbevölkerung das Leben und aktuell mehr als 50 Soldaten vorwiegend jüngeren Soldaten der Bundeswehr das Leben gekostet hat.
Das Leiden der gefallen Bundeswehrsoldaten, deren Kollegen und Angehörigen spricht
folgende traurige Liste an:
Ihrem Profil auf abgeordnetenwatch.de entnehme ich, dass Sie in der laufenden Legislaturperiode den zur Abstimmung stehenden Verlängerungen des Einsatzes in Afghanistan (ISAF) am 03.12.2009, 26.02.2010 und 28.01.2011 zugestimmt haben.
Frage 1:
Wie begründen Sie Ihre Entscheidungen?
Frage 2:
Was soll mit diesem Krieg bezweckt werden?
Frage 3:
Glauben Sie, dass wirklich humanitäre Ziele für diesen Krieg relevant waren und sind?
Frage 4:
Wie werten Sie in diesem Zusammenhang die Äußerungen des ehemaligen
Bundespräsidenten Hort Köhlers, der auf den Afghanistaneinsatz angesprochen
wie folgt zitiert wird:
"(...) dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, (...)"
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,696982,00.html
Sollten humanitäre Ziele für Sie ausschlaggebend sein, erlaube ich mir Frage 4:
Sind Sie evtl. getäuscht worden?
Frage 5:
Was ist in den langen neun Kriegsjahren erreicht bzw. wenigstens in Ansätzen erreicht worden?
Frage 6:
Ist der Verlauf des Krieges in Afghanistan nach 9 Jahren nicht ein Beleg dafür,
dass humanitäre Ziele hier nicht mit Waffengewalt durchgesetzt werden konnten und vermutlich nicht durchgesetzt werden können?
Mit freundlichen Grüßen,
Thomas Schüller
Sehr geehrter Herr Schüller,
haben Sie vielen Dank für Ihre Frage, die ich gerne wie folgt beantworte.
Der Deutsche Bundestag hat im Dezember 2001 auf Basis der Resolution 1386 (vgl. http://www.un.org/Depts/german/sr/sr_01-02/sr1386.pdf ) des UN-Sicherheitsrats erstmals beschlossen, deutsche Soldaten und Soldatinnen im Rahmen der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) nach Afghanistan zu schicken. Ziel war - und ist es immer noch -, das Land nach den Terroranschlägen in New York und Washington 2001 nicht erneut zu einem „sicheren Hafen“ für Terroristen werden zu lassen. Die afghanische Regierung sollte - und soll -, wie es auf dem Petersberg in Bonn 2001 von afghanischen und internationalen Vertretern beschlossen wurde, bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit unterstützt werden. Auf dieser Grundlage verlängerte der Deutsche Bundestag mit meiner Stimme Ende Januar 2011 das Mandat bis zum 31. Januar 2012 (s. Drucksache 17/4402, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/044/1704402.pdf ).
Auftrag der Bundeswehr im Rahmen des ISAF-Mandats ist es, für Sicherheit und Stabilität zu sorgen, „damit die Afghanische Interimsverwaltung wie auch das Personal der Vereinten Nationen in einem sicheren Umfeld tätig sein können“; es handelt sich hierbei ausdrücklich nicht um einen Auftrag zur Bekämpfung von Terroristen. Eine Beteiligung der Bundeswehr an gezielten Tötungen, wie es von anderen ISAF-Partnern betrieben wird, wird durch das deutsche Strafrecht, welches für die deutschen Einsatzteilnehmer auch in Afghanistan gilt, ausgeschlossen. Allerdings sind die deutschen Soldatinnen und Soldaten ermächtigt, „alle zur Erfüllung ihres Mandats notwendigen Maßnahmen zu ergreifen“. Dabei richten sie sich nach den besonderen Einsatzregeln (sog. Rules of Engagement, ROE), die der damalige Oberkommandierende der ISAF-Truppen, General McChrystal, im Sommer 2009 in Zusammenarbeit mit den Partnerländern festgelegt hat und die weiterhin ihre Gültigkeit besitzen. Der Schutz der Zivilbevölkerung hat demnach Priorität bei der Durchführung von Einsätzen.
Ich möchte hier ausdrücklich die Leistungen der deutschen Soldaten und Soldatinnen würdigen, die einen wichtigen Dienst in Afghanistan leisten. Ohne sie könnte Deutschland nicht seinen Verpflichtungen nachkommen, die die Bundesrepublik im Rahmen verschiedener Bündnisse mit ihren Nachbarn und Freunden zum Wohl der deutschen Bevölkerung eingegangen sind. Besondere Schutzmaßnahmen einerseits sowie ein offener und friedlicher Umgang mit der afghanischen Zivilbevölkerung im gegenseitigen Respekt andererseits können leider nicht verhindern, dass deutsche Soldaten und Soldatinnen bei der Erfüllung ihres Auftrages in Afghanistan ums Leben kommen.
Die im Spiegel-Artikel zitierten und bereits hinreichend kommentierten Äußerungen des damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler teile ich nicht, sondern ich halte sie für falsch.
Die Entwicklung in Afghanistan gibt keinen Anlass für übertriebenen Optimismus. In den ersten Jahren wurden trotz guter Erfolge beim zivilen Aufbau seitens der internationalen Gemeinschaft, also der unter dem ISAF-Mandat versammelten Staaten, Fehler gemacht und Probleme nicht erkannt und angegangen (langsamer Polizeiaufbau, Verwaltung). Die Sicherheitslage ist nach wie vor kritisch. Der zivile Wiederaufbau kommt voran, leidet aber immer noch unter einer wenig effizienten afghanischen Verwaltung auf zentraler und regionaler Ebene und grassierender Korruption. Die Entwicklung der Wirtschaft, insbesondere der Landwirtschaft und des ländlichen Raumes wird durch die Dominanz des Drogenanbaus und -handels in einigen Landesteilen behindert. Der Prozess der innerafghanischen Aussöhnung steht noch am Anfang, aber immerhin sind in letzter Zeit die diplomatischen Bemühungen um eine regionale Stabilisierung der Lage intensiviert worden, auch unter Federführung des deutschen Sonderbeauftragten für Afghanistan.
Aufgrund dieser Fehlentwicklung war von der SPD im Herbst 2009 ein grundlegender Wechsel der Strategie Deutschlands und der internationalen Staatengemeinschaft gefordert worden. Im Mittelpunkt stand eine schrittweise Übergabe der Sicherheits- und Aufbauverantwortung von den internationalen Streitkräften der ISAF an die afghanische Regierung und Regionalverwaltung. Damit sollte nach fast 10 Jahren des UN-Einsatzes nicht nur der wachsenden „Kriegsmüdigkeit“ der afghanischen Bevölkerung entsprochen und einer zunehmenden Ablehnung der dauerhaften internationalen Truppenpräsenz entgegen gewirkt werden. Es sollte vor allem dabei geholfen werden, die Legitimität und Handlungsfähigkeit der afghanischen Regierung und Verwaltung in Afghanistan zu erhöhen und für die afghanische Bevölkerung auch glaubhaft erfahrbar werden zu lassen.
Es besteht mittlerweile gewisser Optimismus und eine realistische Chance, den seit neun Jahren andauernden Einsatz der Bundeswehr auf verantwortungsvolle Weise und in Abstimmung mit den internationalen Partnern in absehbarer Zeit zu beenden. Voraussetzung ist, dass beim Strategiewechsel Kurs gehalten wird. Das militärische Engagement muss schrittweise in den Hintergrund rücken, der Wiederaufbau, die wirtschaftliche Entwicklung und eine nachhaltige politische Regelung des Konfliktes müssen noch stärker in den Mittelpunkt der internationalen Bemühungen gestellt werden.
Notwendig ist ein klarer Zeitplan für die Übernahme der Sicherheitsverantwortung durch die afghanische Regierung und ihre staatliche Armee und Polizei, auch um einen entsprechenden politischen Druck auf die unterschiedlichen Gruppen und Ethnien in Afghanistan zur Zusammenarbeit zu entfalten. Sowohl die Kabuler Afghanistankonferenz im Juli 2010 als auch der NATO-Gipfel in Lissabon im November 2010 haben das Jahr 2014 als Datum für die vollständige Übergabe der Sicherheitsverantwortung und damit für die Beendigung des militärischen Einsatzes im Rahmen von ISAF festgelegt. US-Präsident Obama hat gerade angekündigt, bis Ende des Jahres zunächst 10.000, bis 2012 weitere 23.000 amerikanische Soldaten und Soldatinnen aus Afghanistan abzuziehen. Zudem soll die Sicherheitsverantwortung in den ersten Städten, Distrikten und Provinzen im Sommer übergeben werden. Wie im Bundestagsmandat festgelegt wird nun auch die Bundesregierung die in Aussicht gestellte deutsche Truppenreduzierung bis Ende des Jahres vorbereiten und umsetzen müssen.
Aber auch über das Jahr 2014 hinaus wird ein Engagement der internationalen Gemeinschaft und ein abgestimmtes Vorgehen der afghanischen Nachbarstaten, allen voran Pakistan und Indien, in Afghanistan notwendig sein. Im Auftrag der afghanischen Regierung wird daher Anfang Dezember eine weitere Konferenz in Bonn stattfinden, die sic h mit diesen Fragen beschäftigt.
Aufgabe des Parlaments und somit auch meine Aufgabe ist es, den Einsatz in Afghanistan weiterhin zu verfolgen, auf die Einhaltung der versprochenen Schritte zu achten und soweit möglich die Umsetzung des Mandats vor Ort zu untersuchen. Die Ergebnisse einer solchen Untersuchung lassen sich nicht in einem kurzen Brief zusammenfassen. Dazu ist eine umfassende und unabhängige Evaluierung des gesamten Einsatzes notwendig, wie ihn die SPD im letzten Jahr gefordert hat ( http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/019/1701964.pdf ). Die Bundesregierung ist dem nicht gefolgt, hat aber zumindest erstmals einen eigenen „Fortschrittsbericht“ ( http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/042/1704250.pdf )vorgelegt, der aus meiner Sicht nicht befriedigend ist.
Mit freundlichen Grüßen
Uta Zapf