Frage an Ursula Nonnemacher von Thomas S. bezüglich Verkehr
Guten Tag Frau Nonnemacher,
in Ihrer Antwort auf die von Herrn Thalheim gestellte Frage weisen Sie auf das 10 Projekte Programm der Grünen mit dem Titel "Hallo Zukunft. Tschüss Stillstand." Zu den zehn Projekten, welche die Grünen in Regierungsverantwortung zuerst anpacken wollen, gehört Projekt 5, Zitat:
"Hallo Dorf. Tschüss abgehängt. Wir wollen dem Auseinanderdriften von Metropole und Land nicht länger zuschauen. Wer im Dorf lebt, darf nicht abgehängt sein. Gute öffentliche Verkehrsanbindungen, Ärzt*innenpraxen, schnelles Internet muss es auch in ländlichen Regionen geben. "
https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/ursula-nonnemacher/question/2019-08-20/321721
Ich erkenne hier ein nettes Wunschdenken, das aber für Wahlentscheidungen und die Verbesserung der oft traurigen Realität wenig taugt. Ein Beispiel: Der Online-Routenplaner weist für die Nutzung des Autos je nach Route für die Verbindung von Neuruppin nach Brandenburg eine Fahrtstreckenlänge von 96,6 - 103 km sowie Fahrtzeiten von 1:06 h bis 1:19 h aus.
Link zum Screenshot Routenplaner:
https://www.bilder-upload.eu/bild-e5b8b2-1567098440.jpg.html
Bahn.de meldet am 29.08.2019 für eine Fahrt mit Fahrtantritt nach 20 Uhr etwa stündlich verkehrende Verbindungen, die entweder im reinen Nahverkehr 11,70 Euro (einfache Fahrt) kosten und mit jeweils zweifachen Umsteigen etwas über 3 Stunden Fahrtdauer beanspruchen. Alternativ besteht eine Verbindung, die mit 3 maligem Umsteigen und teilweiser Nutzung des ICE von Berlin Wannsee nach Brandenburg Hbf 2:37 Stunden Fahrtdauer benötigt, dafür aber 41 Euro kostet.
Wie werten Sie die benannte Verkehrssituation im öffentlichen Verkehr?
Wollen Sie diese verbessern, wenn ja wie konkret?
Sind Sie für die Reaktivierung von stillgelegten Bahnlinien, wenn ja haben die Grünen da konkrete Vorstellungen?
Wie sollen die Investitionen für solch gute Verbindungen finanziert werden bzw. welche Geldsummen möchten Sie dafür aufbringen?
Viele Grüße T. S.
Sehr geehrter Herr S.,
vielen Dank für Ihre Nachfrage. Die Positionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Ausbau des ÖPNV, insbesondere des Schienenverkehrs, sowie der Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken in Brandenburg, lege ich Ihnen gerne im Folgenden dar:
Zwischen 2006 und 2016 sind die Fahrgastzahlen im Brandenburger Regionalverkehr um 60 Prozent gestiegen. Gleichzeitig wurden im Jahr 2016 674.000 km weniger Zugkilometer vom Land bei den Verkehrsträgern bestellt als in 2006. Von einst 557 Bahnhöfen (1990) sind nur noch 318 (2018) übrig geblieben. Wichtige Infrastrukturprojekte wurden jahrelang nicht angegangen und kommen nun erst nach 2030. Die vom Bund bereitgestellten Finanzmittel für den Regionalverkehr (sogenannte Regionalisierungsmittel) werden nur zu zwei Drittel für den eigentlichen Zweck der Zugbestellungen eingesetzt. Die jetzt durch die Neuausschreibung der Verkehrsverträge für einige Zugverbindungen beschlossenen Verbesserungen werden allerdings erst 2022 wirksam und durch einige Verschlechterungen auch konterkariert. Bis dahin werden die Fahrgastzahlen allerdings voraussichtlich noch einmal um mehr als 25 Prozent steigen.
Die Folgen dieser Entwicklungen müssen viele Menschen täglich im wahrsten Sinne des Wortes hautnah erleben. Dabei hat der öffentliche Nahverkehr viele Vorteile gegenüber dem privaten Autoverkehr: Er hat eine geringere Klimabelastung, verursacht weniger Unfallopfer, deutlich weniger Lärm und Flächenverbrauch. Er transportiert Menschen, die anders kaum mobil sein könnten, weil sie sich z.B. kein Auto leisten können oder aufgrund des Alters nicht mehr Auto fahren. Öffentlicher Nahverkehr ist Daseinsvorsorge. Wir wollen, dass Infrastruktur und Mobilitätsangebote insgesamt so beschaffen sind, dass die Menschen nicht auf das Auto angewiesen sind. Es ist höchste Zeit, hier wirksame Maßnahmen zu ergreifen.
Verbesserungen kosten Geld, deshalb wollen wir als erstes die Zweckentfremdung der Regionalisierungsmittel stufenweise beenden und diese mittelfristig komplett für die Bestellung von Zugkilometern einsetzen. Das Land muss außerdem zusätzlich eigenes Geld in die Hand nehmen, um den übrigen öffentlichen Nahverkehr zu finanzieren. Im Personenbeförderungsgesetz ist das Ziel festgeschrieben, eine vollständige Barrierefreiheit in Bussen und Straßenbahnen bis 2022 herzustellen. Um dieses Ziel zu erreichen, wollen wir die Gelder für den kommunalen ÖPNV um 10 Millionen Euro pro Jahr erhöhen sowie weitere 10 Millionen Euro pro Jahr für den Erhalt der Straßenbahnen zur Verfügung stellen und damit die Gemeinden, Landkreise und kreisfreien Städte bei dieser Aufgabe deutlich unterstützen. Im Gegenzug wollen wir als Land Mindeststandards bei der Bedienung von einzelnen Orten entwickeln. Wir wollen auch prüfen, welches Potenzial gemeindeübergreifende Tram-Verbindungen (Überland-)Straßenbahnen, Mehrsystembahnen) haben, wenn bestehende Linien verlängert werden.
Da viele Mobilitätsströme Brandenburgs Berlin als Durchgangs-, Ausgangs- oder Zielpunkt haben, fordern wir einen gemeinsamen Landesnahverkehrsplan (LNVP) für beide Länder. Regionalbahnen, die überall halten, und Regionalexpresse, die nur in den größeren Orten halten, sollen sich künftig hierbei stärker voneinander unterscheiden. Zusätzlich wollen wir einen Metropolexpress (ME) einführen. Dieser soll die Lücke zwischen S-Bahn und Regionalverkehr schließen, indem er im Berliner Umland an möglichst allen Bahnhöfen, in Berlin dagegen nur an den zentralen Knotenpunkten hält. Erforderlich sind auch Querverbindungen innerhalb Brandenburgs, insbesondere über Kreisgrenzen hinweg. Für die Strecken, auf denen das über den Schienenverkehr nicht möglich ist, fordern wir den Aufbau eines Netzes landesbedeutsamer Buslinien, analog zu dem bereits bestehenden System in Sachsen-Anhalt. Dieses kann das Konzept der bestehenden Plus-Busse aufgreifen und erweitern.
Wir wollen mindestens einen Einstundentakt zwischen 5 und 22 Uhr an Wochentagen durch Regionalverkehr und landesbedeutsame Buslinien und eine weitere Verbindung um Mitternacht. Langfristig schwebt uns ein brandenburgisches Nachtliniennetz vor. Zunächst ist es vor allem wichtig, dass von Freitag bis Sonntag mehr Züge in der Nacht fahren - möglichst in allen Regionen Brandenburgs. Alle kreisfreien Städte sollen unter der Woche über die Hauptverkehrsstrecken im 20-Minuten-Takt angebunden sein. Für die S-Bahn in Brandenburg ist der Zehnminutentakt unser mittelfristiges Ziel. Bei vielfrequentierten Strecken ist eine Taktverdichtung weit darüber hinaus notwendig. Die vom Bund angekündigte Unterstützung für die Einführung eines Taktfahrplans (Deutschlandtakt) unterstützen wir ausdrücklich und wollen einen Brandenburg-Takt bereits vorher im Land so weit wie möglich erreichen, unter anderem durch abgestimmtere Fahrzeiten von Bahn- und Busverkehr.
Wir setzen uns dafür ein, die Verbindungen nach Polen in Richtung Szczecin, Gorzów Wielkopolski, Poznań, Zielona Góra und Wrocław deutlich auszubauen und bedarfsgerecht zu takten, um der wachsenden Nachfrage nach grenzüberschreitenden Verbindungen gerecht zu werden.
Ohne Infrastrukturanpassungen ist an vielen Stellen eine Verbesserung des Leistungsangebots nicht möglich. Stilllegungen, Abkopplungen und Entwidmungen von Zugstrecken lehnen wir gänzlich ab. Ungenutzte Strecken sowie kaum genutzte Güterverkehrsstrecken möchten wir dauerhaft für den Personenverkehr sichern. Strecken und Bahnhalte wollen wir reaktivieren, insbesondere da, wo größere Zentren verbunden werden. Das gilt im Besonderen für die Stammbahn, die als Regionalbahnstrecke zwischen Potsdam und der Berliner Innenstadt als Entlastung für die überlastete Regionalexpresslinie 1 dringend benötigt wird. Kapazitätsengpässe, die Auswirkungen auf das Gesamtnetz haben (z.B. Bahnhof Königs Wusterhausen, Hamburger Bahn zwischen Spandau und Nauen, eingleisige Regionalstrecken) wollen wir dringend beseitigen und notwendige Ausweichstrecken bzw. Überholstellen schaffen. Wir fordern, dass an allen neuralgischen Punkten die S-Bahnlinien zweigleisig ausgebaut werden, um die Fahrplanstabilität zu gewährleisten und notwendige Taktverdichtungen zu ermöglichen. Für die Bahnhofsgebäude konnten wir die Landesregierung von einem Sanierungsprogramm überzeugen. Wir bleiben dran, um den Erhalt der Gebäude zu sichern und Neunutzungen anzuregen. Seit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Berlin mitregieren, geht es mit den Infrastrukturplanungen endlich wieder voran. So haben Brandenburg, Berlin und die Bahn eine Rahmenvereinbarung für Infrastrukturverbesserungen beschlossen. Auch auf Brandenburger Seite sind starke Bündnisgrüne notwendig, damit es in diesem Bereich ambitioniert vorangeht.
Wir wollen die Emissionen beim Verkehr auf der Schiene deutlich senken. Dies wollen wir über die Elektrifizierung der Strecken einerseits und über technologieoffene eigenelektrische Antriebe der Fahrzeuge andererseits erreichen. Bei der Stromversorgung wollen wir dabei auf 100 Prozent Erneuerbare Energien zurückgreifen. Fahrräder und öffentlicher Nahverkehr sind die perfekten Partner. Rund um die Bahnhöfe wollen wir diebstahlsichere und wetterfeste Abstellplätze, abschließbare Boxen bis hin zu Fahrradparkhäusern mit Reparatur-Service wie in Bernau und Potsdam anbieten.
Ich hoffe, Ihre Fragen damit beantwortet zu haben, und freue mich, wenn Sie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei der Landtagswahl diesen Sonntag Ihre Stimme geben.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Ursula Nonnemacher