Frage an Ulrike Seemann-Katz von Jan W. bezüglich Innere Sicherheit
und Außenpolitik:
Sehr geehrte Frau Seeann-Katz
Deutschland beteiligt sich seit über 20 Jahren militärisch an Konflikten - m.E. verfassungswiderig - weltweit. Dabei ist die BRD nur noch "von Freunden umgeben"; ein Angriff auf das Bundesgebiet unwahrscheinlich. Trotzdem kämpfen und sterben SoldatInnen der Bundeswehr in Konflikten innerhalb Europas wie auf dem Balkan oder außerhalb in Afghanistan, Somalia, Georgien etc.!
Die Kosten für diese Kriegseinsätze, vom zuständigen Minister verharmlost, werden überwiegend aus dem Verteidigungshaushalt bezahlt, anstatt z.B. aus dem Titel Auswärtiges, Entwicklungshilfe, Wirtschaft... Andererseits wollen Verteidigungspolitiker und hohe Militärs immer mehr Personal und Material für die Einsätze.
Meine Fragen:
- Einsatz der Bundeswehr allgemein im Ausland; insbesondere in Afghanistan? Sinnvoll/richtig oder falsch?
- Ist das dort für Sie ein Kriegeinsatz oder etwas anderes?
- Haben Sie ggf. Abzugsperspektiven oder -forderungen?
- Eweiterung oder Verkleinerung/Abschaffung der Bundeswehr?
- Mehr/weniger Mittel für Militär und ggf. zu Lasten welcher anderen Aufgaben?
- Aufrechterhaltung der allgemeinen Wehrpflicht oder Längerdiener-/Berufssoldatenarmee?
Darüber hinaus militarisiert die Bundeswehr m.E. die Zivilgesellschaft in Deutschland schleichend durch massiven Einsatz im Inland (z.B. G8 Gipfel, Weltkirchentag/Papstbesuch, Fußball-WM, aber auch ständig durch dauerpräsente Strukturen (Landeskommando in Schwerin für M-V) und militärische Teams für zivilmilitärische Zusammenarbeit in allen Landkreisen und kreisfreien Städten.
Wie stehen Sie ganz konkret dazu?
Als potentielle Abgeordnete wirken sie künftig u.a. an der "Königsdisziplin Haushalt" und der Mittelverteilung mit und haben damit entscheidenden Einfluss auf Festlegungen und Mittelverteilung für die Kriegs- und Militärfinanzierung!
Deshalb interessierten mich Ihre Standpunkte dazu außerordentlich!
Mit freundlichen Grüßen
Jan Weber
Sehr geehrter Herr Weber,
die Anwendung militärischer Gewalt ist unabhängig vom Ziel immer ein großes Übel und muss, wenn irgend möglich, vermieden werden. Uns Grünen fiel es in der Vergangenheit nicht leicht anzuerkennen, dass es Situationen gibt, in denen zur Eindämmung von Gewalt und zur kollektiven Friedenssicherung der Einsatz von Militär geboten sein kann. Ich selbst habe übrigens beim Kosovoeinsatz wie auch beim Afghanistaneinsatz auf dem entsprechenden Parteitag dagegengestimmt.
Unser Wahlprogramm sagt dazu: Der Einsatz von Militär ist nur zu rechtfertigen, wenn er als äußerstes Mittel im Rahmen der UN-Charta völkerrechtlich legal, vom Gesamtansatz her aussichtsreich und hinsichtlich der Risiken verantwortbar ist. Für jeden Auslandseinsatz muss es ein völkerrechtliches und parlamentarisches Mandat, klare Einsatzregeln und die Einbettung in eine politische Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung geben.
Insofern lehne ich den Einsatz in Afghanistan ab.
Dort wird zwar von deutscher Seite nicht gegen das Völkerrecht verstoßen - im Gegenteil - es gibt ein klares UN-Mandat - aber nur für ISAF.
Aber: Was meine Meinung bestärkt ist, dass die bisherige Strategie mit der Dominanz militärischer Lösungen in die Sackgasse führt und nicht zu mehr, sondern zu weniger Sicherheit. Ein militärisch verstandener »Krieg gegen den Terror« ist nicht zu gewinnen. Nicht nur die Obama-Administration in den USA steht in der Pflicht, einen Strategiewechsel in Afghanistan einzuleiten. Dieser muss nun auch von der deutschen Bundesregierung vorangetrieben werden.
Die Operation »Enduring Freedom« und kontraproduktives militärisches Vorgehen müssen sofort beendet werden. Stattdessen muss der Schutz der Bevölkerung höchste Priorität haben und die Spirale der Gewalt unterbrochen werden.
Vorrang müssen zivile Antworten haben. Besonders beim Polizei- und Justizaufbau muss Deutschland im Rahmen der EU-Missionen endlich mehr tun, damit die Menschen in Afghanistan auch in der Lage sind, für ihre eigene Sicherheit zu sorgen.
Im Rahmen meiner Arbeit für den Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern weiß ich, wie schwierig es für die Menschen (insbesondere die Frauen) dort ist, mit der Angst vor den Repressionen der Taliban und zugleich vor den Angriffen der Besatzer zu leben. Wie schwierig es dort ist, seinen Lebensunterhalt zu sichern, eine Lebensperspektive für sich und seine Familie zu haben usw. Die Menschen fliehen. Nach Deutschland.
Die Kosten und die Folgekosten der Einsätze übersteigen dabei ein Vielfaches dessen, was dort die Förderung von Landwirtschaft (weg vom Opiumanbau), Handel usw. bzw. die Förderung eines Staatsaufbaus angeht. Der Westen ist dabei immer von der irrigen Vorstellung eines starken Zentralstaats ausgegangen. Das ist aber angesichts von 50 Ethnien und diversen Sprachen und Religionen nicht wirklich möglich und war auch unter den Königen (vor den Sowjets) nie der Fall. Auf die alten Stammesstrukturen - unter den Bedingungen der Menschenrechte hätte man zurückgreifen müssen.
Ob sich das Ruder in diese Richtung noch herumreißen lässt, wird sich in den nächsten Monaten zeigen.
Der Militärhaushalt muss gekürzt werden. Ansonsten fehlt es an Geld für Entwicklungszusammenarbeit (die nicht die Märkte der begünstigten Länder zerstört) und Nation-Building. Mehr Geld braucht es auch für Korruptionsbekämpfung in schwachen Staaten (und in Deutschland, die bezüglich des Korruptionsindex gar nicht so gut im internationalen Ranking dastehen).
Wehr“gerechtigkeit“ durch allgemeine Wehrpflicht gibt es nicht mehr. Wer will, kann sich länger verpflichten. Wer will, kann den Dienst verweigern. Die Bundeswehr kann derzeit nicht mehr alle verpflichten. Sie ist in den letzten Jahren bereits stark verkleinert worden. Ursache sind Strategiewechsel, Kostensteigerungen in der Technik und beim Personal; ganze Standorte wurden deshalb aufgegeben.
Die Bundeswehr abzuschaffen, ist ein schöner Wunsch, aber nicht durchsetzbar. Die Bundeswehr muss aber zunächst europatauglicher und vor allem UN-fähiger werden. Grüne wollen die Bundeswehr auf 200.000 Soldatinnen und Soldaten verkleinern, die Wehrpflicht abschaffen, den Zivildienst umwandeln und die Freiwilligendienste ausbauen. Die Bundeswehr soll eine Freiwilligenarmee im Auftrag des Parlamentes werden.
Zum Schluss: Bundeswehreinsätze im Inland sind konsequent abzulehnen (Ausnahme: Katastropheneinsätze wie Elbe- oder Oderhochwasser). Wir brauchen kein Kriegsrecht in Deutschland. Wir sind in der Tat von Freunden umzingelt.
Mit freundlichen Grüßen
Ulrike Seemann-Katz