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Frage von Mariam D. •

Frage an Ulrich Wilken von Mariam D. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Dr. Wilken,

aus den Medien erfahre ich, dass im Jahressteuergesetz 2013 eine Neuregelung geplant ist: Der Verfassungsschutz soll in Zukunft darüber entscheiden, welchen Vereinen die Gemeinnützigkeit zuerkannt wird. Bisher war offenbar die letztentscheidende Instanz das Finanzministerium. Hier der Link: http://www.tagesschau.de/inland/gemeinnuetzigkeit102.html

Nach allem, was in den letzten Monaten über den Verfassungsschutz bekannt wurde, scheint dort blanke Willkür zu herrschen, und ob diese Behörde nicht doch in die NSU-Mordserie verwickelt war, ist meines Erachtens noch keineswegs geklärt.

Wird die Linke etwas dagegen unternehmen, dass ab 2012 gemeinnützige Vereine, die ja oft antirassistisch und antifaschistisch tätig sind, vom Plazet einer Behörde abhängen, die offenbar politisch stark rechtsgeneigt ist und auch Mitglieder der Partei Die Linke überwacht?

Mit freundlichen Grüßen aus Frankfurt,
Mariam Dessaive

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrte Frau Dessaive,

DIE LINKE lehnt die geplante Änderung des Jahressteuergesetzes ab. Es darf nicht Aufgabe der Geheimdienste sein, über die Gemeinnützigkeit von Organisationen zu entscheiden. Spätestens das Totalversagen der Sicherheitsbehörden in der NSU-Nazi-Mordserie hat belegt, dass der Verfassungsschutz völlig ungeeignet ist, Gütesiegel über andere abzugeben.

DIE LINKE spricht sich darüber hinaus ohnehin für die Abschaffung der Geheimdienste aus. Das ist keine unmittelbare Reaktion auf den Neonazi-Terror, sondern ein Grundanliegen der Linken. Die Verfassungsschutzämter schützen nicht die Verfassung, sondern bedrohen diese, indem sie außerhalb des Rechtsstaates und der Demokratie agieren und Neonazis anstelle der Verfassung schützen. Geheimdienste sind demokratisch und parlamentarisch nicht kontrollierbar. Sie sind interessengeleitet und werden durch die Politik instrumentalisiert.

Der Entwurf für das Jahressteuergesetz 2013 wird im Bundestag beraten und abgestimmt. Die Länder haben lediglich über den Bundesrat (das Gesetz ist zustimmungsbedürftig) Einfluss. Der Gesetzentwurf wurde am 28. Juni 2012 im Bundestag beraten und anschließend in die zuständigen Ausschüsse zur weiteren Beratung verwiesen. In der Debatte im Bundestag hat DIE LINKE deutlich gemacht, welche Gefahren die geplante Regelung zur Gemeinnützigkeit birgt. Die Nennung und Einstufung im Verfassungsschutzbericht unterliegt stark einer politischen Willkür. Die bisherige Prüfmöglichkeit durch die Finanzämter entfällt, und es soll eine automatische Aberkennung der Gemeinnützigkeit erfolgen. Viele engagierte Menschen gerade in Vereinen, die sich gegen Neofaschismus und Neonazismus engagieren, befürchten, dass sie dadurch im Zweifelsfalle in gerichtliche Prozesse gezwungen werden, welche sie finanziell gar nicht stemmen könnten. Die Regelung ist ferner äußerst streitanfällig. So hat jüngst auch der BFH am 11. April 2012 entschieden, dass ein islamisch-salafistischer Verein für das Jahr 2008 trotz Erwähnung im Verfassungsschutzbericht als gemeinnützig anerkannt werden darf. DIE LINKE im Bundestag hat daher in den bisherigen Beratungen gefordert, die Regelung noch einmal mit Vereinen und entsprechenden Interessenverbänden zu diskutieren und die Regelung zu modifizieren.

Im Übrigen lassen sich faschistische und neonazistische Organisationen nicht durch den Wegfall von steuerlichen Vorteilen zerschlagen. Das ist nur mit entschlossenem Widerstand gegen Nazis in den Parlamenten und auf der Straße sowie verstärkten Investitionen in den präventiven Bereich möglich.

Der Entwurf stellt einen weiteren Versuch dar, antifaschistisches und antikapitalistisches Engagement weiter zu diskreditieren und zu kriminalisieren. Die Formulierung im Referentenentwurf liest sich wie ein Freibrief für Politik im Namen der so genannten Extremismustheorie und die Übertragung der zu Recht viel kritisierten Extremismusklausel ins Steuergesetz. Extremismus ist kein genau bestimmter Rechtsbegriff, der sich in Gesetzen oder Gerichtsverhandlungen verwenden ließe. Dieser unbestimmter Rechtsbegriff eröffnet der Willkür Tür und Tor. Dementsprechend wird er in keinem einzigen Gesetzestext verwendet - mit Ausnahme der AO seit 2009. Hinzu kommt, dass die Erwähnung von Organisationen in den Verfassungsschutzberichten keinen konsistent definierten Kriterien folgt. Laut Bundesverfassungsgericht ist die Bezeichnung extremistisch ausdrücklich eine Frage des politischen Meinungskampfes und der gesellschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung. Sie steht in unausweichlicher Wechselwirkung mit sich wandelnden politischen und gesellschaftlichen Kontexten und subjektiven Einschätzungen" (1 BvR 1106/08, 08.12.2010). Der Begriff entstand als Kategorie zur Aufgabenstrukturierung der Verfassungsschutzämter. Dementsprechend besitzen die Verfassungsschutzämter eine große Deutungsmacht darüber, welche Gruppierungen als extremistisch einzustufen sind. Der Verfassungsschutz ist aber keine wissenschaftliche Einrichtung. Er ist auch kein Gericht, das nach rechtsstaatlichen Grundsätzen entscheidet und öffentlicher Kontrolle unterliegt. Er ist ein Geheimdienst, der nur äußerst eingeschränkter demokratischer Kontrolle unterliegt (die in den allermeisten Fällen, auch noch versagt) und gegen den man sich nur schwer und nur in langwierigen teuren Prozessen wehren kann. Die Ausgrenzung verläuft willkürlich, weil die entsprechenden Maßstäbe vom Selbstverständnis des Betrachters und seinen Werturteilen abhängen. Darum gibt es sowohl in der Forschung wie in der öffentlichen Meinung unterschiedliche Auffassungen, welche Gruppen, Parteien oder Personen noch nicht oder schon als extremistisch einzustufen sind. So müssten bspw. die früheren Bundesinnenminister Otto Schily und Wolfgang Schäuble als „Extremisten“ identifiziert werden – sind doch ihre Gesetzesvorlagen mehrfach vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig und als Verstoß gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung – die ja im Zentrum der Extremismustheorie steht - erklärt worden. Die Extremismustheorie ist wissenschaftlich nicht haltbar. Die zugrunde liegenden Theorien blieben marginalisiert und umstritten. Sie dient einzig einer fiktiven politischen Mitte dazu, konkurrierende Positionen links und rechts von ihr als undemokratisch zu stigmatisieren und so vom demokratischen Diskurs auszugrenzen.

Der geplanten Änderung des § 51 Abs. 3 AO können wir daher nicht zuzustimmen. Darüber hinaus muss der gesamte Absatz ersatzlos gestrichen werden. Es gibt keinerlei Legitimation dafür, dass ein Inlandsgeheimdienst über die Grenzen der demokratischen Zivilgesellschaft bestimmen und einzelne zivilgesellschaftliche Organisationen ohne konsistent definierte Kriterien und ohne Anhörung der Betroffenen oder Verfahren existenziell gefährden kann.

Ulrich Wilken