Frage an Ulrich Goll von Arnd-Matthias L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Goll,
ich schreibe Ihnen als bürgerrechtsliberaler und langjähriger, auf Landesebene aber auf längere Zeit ehemaliger FDP-Wähler.
Die Ereignisse des 30.09. sind Ihnen bekannt. Ich bin kein bekennender Gegner von S21, aber diese Ereignisse haben mich als Liberalen tief bewegt. Wie erste Gerichtsurteile zeigen, bewerten die Gerichte eventuelle Rechtsverstöße der Blockierer im Bußgeldbereich, oder bestenfalls als Bagatelldelikte im Bereich weniger Tagessätze.
Wie können Sie es als Spitzenkandidat einer liberalen Partei mit dem Gebot der Verhältnismäßigkeit vereinbaren, gegen Bagatelldelikte nicht gewalttätiger Menschen polizeiliche Einsatzmittel zu billigen, die bekanntermaßen zu schweren Augenschäden bis hin zur Erblindung führen können und auch führten? Wäre Wegtragen durch die Polizei, Aufnahme der Personalien und Erstatten einer Anzeige nicht die einzig rechtsstaatlich akzeptable Antwort gewesen?
Weshalb haben Sie als liberaler Justizminister keine Konsequenzen auf diese völlig unangemessene Überreaktion gefordert und durchgesetzt? Werte ich Ihre Reaktion auf diese Vorfälle korrekt als schweigende Zustimmung?
Weshalb sperren Sie sich, ausgerechnet als Spitzenkandidat einer liberalen Partei, gegen die Idee, kontroverse Themen, die die Bürgerschaft zutiefst spalten, auf die denkbar liberalste Weise zu lösen, durch eine niederschwellige Volksbefragung? Ich weise darauf hin, dass eine unverbindliche Volksbefragung, nach deren Ergebnis die Politik sich freiwillig richtet, selbst nach der heutigen Rechts- und Verfassungslage möglich wäre.
Um einen absehbaren Einwand vorwegzunehmen: Wie Sie als Jurist wissen, gibt es keine unauflöslichen Verträge. Verträge werden täglich einseitig aufgekündigt. Man einigt sich dann außergerichtlich oder vor Gericht, auch hier meistens mit einem Vergleich. Eine Volksbefragung gegen ein beschlossenes Großprojekt ist umsetzbar.
mit freundlichen Grüßen
Arnd-Matthias Langner
Sehr geehrter Herr Langner,
vielen Dank für Ihre Anfrage auf abgeordnetenwatch. Als Justizminister steht es mir nicht zu, der Arbeit der Staatsanwaltschaft oder der unabhängigen Gerichte vorzugreifen oder diese zu bewerten. Hinweisen möchte ich jedoch darauf, dass sich der Polizeieinsatz vom 30. September aus Sicht der zuständigen Staatsanwaltschaft bislang gerade nicht als offensichtlich unverhältnismäßig darstellt.
Ganz entschieden wehre ich mich dabei gegenüber dem mitunter erhobenen Vorwurf, unsere Justiz würde bei der Aufarbeitung der Vorgänge rund um die Proteste gegen Stuttgart 21 mit zweierlei Maß messen. Derartige Vorwürfe laufen ja letztlich darauf hinaus, hochqualifizierte und exzellent ausgebildete Juristen würden aus politischer Eilfertigkeit wissentlich und strafbar das Recht beugen. Kein Richter und kein Staatsanwalt im Land hat diese Vorwürfe verdient. Es gibt keine politische Einflussnahme auf Ermittlungen oder Gerichtsverfahren, und wer annimmt, dass unsere Justizangehörigen so etwas hinnehmen würden, kennt das Berufsethos der Betroffenen schlecht.
Im Gegenteil: unsere Justiz ist bürgernah und bürgerfreundlich. Dank der hervorragenden Arbeit aller Beteiligten laufen Gerichtsverfahren in Baden-Württemberg wesentlich schneller ab als anderswo in Deutschland, und das bei sehr hoher Qualität. Dafür habe ich unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu danken - und ich bin sicher, dass die allermeisten Bürger die gute Arbeit unserer Justiz ebenfalls zu schätzen wissen.
Zu einer etwaigen Volksabstimmung und zu anderen das Projekt Stuttgart 21 betreffenden Fragen haben ich mich auf diesem Portal bereits am 19. Oktober 2010 und 4. März 2011 geäußert (zu finden unter http://www.abgeordnetenwatch.de/prof_dr_ulrich_goll-520-39392.html#questions). Meine Position können Sie im Einzelnen dort nachlesen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Prof. Dr. Ulrich Goll MdL