Frage an Ulrich Goll von Murat A. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Goll,
in den vergangenen Wochen haben der Einbürgerungsleitfaden in Baden-Württemberg und die gewalttätigen Proteste gegen die Veröffentlichung von Karikaturen des Propheten Muhammad zu heftigen Diskussionen geführt. Nicht nur bei der Bundestags-Debatte zum Karikaturenstreit am 10.02.06 wurde wiederholt die Notwendigkeit des Dialogs der Kulturen und Religionen betont. Doch habe ich leider den Eindruck, dass es von Seiten der Politik meist bei Worten statt Taten bleibt.
Daher möchte ich Ihnen als meinem Wahlkreiskandidaten und Spitzenkandidaten Ihrer Partei drei Fragen stellen:
1. Wie stehen Sie zum Dialog der Religionen? Teilen Sie die Auffassung etwa auch von Papst Benedikt XVI., dass der interreligiöse Dialog für unsere gemeinsame Zukunft eine vitale Notwendigkeit ist, um das friedliche Zusammenleben zu gestalten, die Religionsfreiheit zu sichern und jede Form von Hass und Intoleranz zu überwinden?
2. Warum findet Ihres Erachtens bisher so wenig Dialog zwischen Muslimen und der Politik statt? Werden Sie nach erfolgreichem Einzug in den Landtag Kontakt zu Muslimen aus Ihrem Wahlkreis aufnehmen? Wann haben Sie selbst das letzte Mal eine Moschee in Ihrem Wahlkreis besucht und mit den Menschen - Ihren Bürgern und Wählern - gesprochen? Wenn noch nie – warum nicht?
3. Sehr viele Muslime haben inzwischen das Gefühl, von der deutschen Politik unter Generalverdacht gestellt und teilweise offen diskriminiert zu werden. Können Sie diese Empfindung nachvollziehen - und wie stehen Sie dazu?
Ich freue mich auf Ihre Antwort, sage meinerseits unsere Wahlteilnahme zu und wünsche Ihnen Erfolg und Segen in Ihrem Wirken für das Wohl unseres Landes.
Mit freundlichen Grüßen
Murat Aslanoglu
P.S. Die Fragen sind Ihnen auch per Fax zugegangen.
Sehr geehrter Herr Aslanoglu,
herzlichen Dank für Ihren Brief vom 15. Februar.
Zu Ihren Fragen möchte ich Ihnen Folgendes antworten:
1.
Ich halte den interreligiösen Dialog für eine große Chance, um gemeinsam das Zusammenleben in unserer pluralen Gesellschaft zu gestalten. Durch den interreligiösen Dialog können Schwierigkeiten, die sich aus der gesellschaftlichen Entwicklung ergeben - wie z. B. aus der Zuwanderung - in einem gemeinsamen Bestreben für eine friedliche Gesellschaft gelöst werden. Hierbei finde ich es sehr wichtig, dass nicht ausschließlich theologische und religiöse Fragen im interreligiösen Dialog besprochen werden, sondern dass lebensweltliche Aspekte einen Schwerpunkt der Gespräche und der gemeinsamen Aktivitäten bilden.
2.
Wie Sie bestimmt aus eigener Erfahrung wissen, ist Baden-Württemberg mit seinen zahlreichen christlich-islamischen Vereinigungen ein bürgerschaftlich und religiös besonders aktives Land. Kirchengemeinden, kirchliche Medien, theologische Fakultäten, Orden und Basisgruppen, Stiftungen wie z. B. die "Stiftung Welt-Ethos" in Tübingen, die Groeben-Stiftungen in Baden-Baden, die Robert Bosch Stiftung in Stuttgart, aber auch öffentliche Einrichtungen wie die Landesstiftung und die Landeszentrale für politische Bildung, Universitäten sowie Stadtverwaltungen und Schulen leisten ihren eigenen Beiträge zum Dialog. Selbstverständlich bringen sich auch muslimische Moscheeverbände, Migrantenorganisationen, Vereine und andere interreligiöse Initiativen mit ein. Zudem haben sich auf lokaler Ebene Gesprächskreise und Vereine gebildet, die sich dem interreligiösen Dialog widmen.
Der bisher auch aus meiner Sicht nicht ausreichende Dialog zwischen Muslimen und der Politik liegt daran, dass es im Gegensatz zur katholischen und evangelischen Kirche nicht so etwas wie eine verfasste islamische Kirche gibt - schon weil es "den Islam" nicht gibt. Aus Sicht der Politik fehlen zudem transparente und repräsentative Strukturen des Islam. Zwar gibt es immer wieder Gespräche zwischen den einzelnen Vertretern von Politik und muslimischen Organisationen, doch ein permanenter interreligiöser Dialog mit erwünschter Breitenwirkung wird so nur schwer erreicht.
Es liegt mir daher als Ausländerbeauftragter der Landesregierung sehr daran, dass gerade in Zeiten, in denen der "Kampf der Kulturen" von verschiedenen Seiten heraufbeschworen wird, der Dialog intensiviert wird, damit wir Prozessen der Intoleranz und Islamfeindlichkeit entgegentreten. Dort, wo der Dialog nicht ausreichend geführt wird, müssen wir gemeinsam Wege finden, auf welche Art und Weise der Dialog zwischen Muslimen und Politik begonnen werden kann und wie die Hürden hierzu überwunden werden können.
Bei einem solchen Dialog ist es mir wichtig, dass sich der eigene Erfahrungshorizont öffnet für neues Denken und neues Verstehen, ohne sich zugleich von den eigenen Grundwerten zu verabschieden oder sich einem Werterelativismus zu verschreiben. Denn grundlegende Werte sind tatsächlich nicht verhandelbar, ich denke etwa an die Menschenwürde und an die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Bei einem Dialog sollte es nicht darum gehen, die Unterschiede zu leugnen. Aber wenn es uns gelingt, diese Unterschiede zu verstehen bzw. abzumildern und unsere Gemeinsamkeiten zu erhöhen, so würde uns dies helfen, unsere gemeinsamen Werte des Glaubens besser zu verstehen.
Ich bin gerne bereit, aktiv daran mit zu arbeiten und lade Sie hiermit herzlich ein, uns bei der Ausgestaltung eines Dialogbeginns und darüber hinaus zu unterstützen. Sehr gerne werde ich mit interessierten Muslimen in meinem Wahlkreis in Kontakt treten, denn es gehört zum Selbstverständnis meiner Arbeit, aus erster Hand von den Wünschen, Bedürfnissen und Befindlichkeiten der Bevölkerung zu erfahren. In meiner Eigenschaft als Ausländerbeauftragter der Landesregierung hatte ich öfter die Gelegenheit, Einladungen von Migrantengruppen zu folgen. So habe ich beispielsweise die Yavuz-Sultan-Selim Moschee in Mannheim besucht und vor Ort mit Vertretern der Gemeinde und Gläubigen gesprochen.
3.
Nach dem 11. September und darauffolgender Ereignisse ist es scheinbar innerhalb der Bevölkerung und der (internationalen) Politik zu einem erhöhten Misstrauen gegenüber Muslimen gekommen. Zwar wird seitens der Politik in der Öffentlichkeit immer wieder betont, dass die überwiegende Mehrheit der Muslime friedliche Menschen sind, jedoch fühlen sich Muslime angegriffen, weil sie wahrnehmen, dass ihre Religion und ihre Integrationsfähigkeit grundsätzlich in Frage gestellt werden. Es genügt daher nicht, auf die Verfassungstreue der Mehrheit hinzuweisen, wenn gleichzeitig problematische Aspekte des Zusammenlebens mit Muslimen im thematischen Fokus stehen. Daher muss in der öffentlichen Diskussion sehr eindeutig getrennt werden zwischen Themen wie z. B. Islam, Islamismus, Terrorismus und Fragen der Integration.
Ulrich Goll