Frage an Udo Bullmann von Birgit M. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Dr. Bullmann,
trotz aller Beteuerungen der Politiker über die Großartigkeit dieser europäischen Gemeinschaft - mir als "Mittelschichtler" wird weiter Angst und bange vor dieser EU, denn sie nimmt uns, die kleinen Leuten der stärker entwickelten Länder wie Deutschland weiter in die Zange und presst sie aus.
Heute waren in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mehrere Artikel zu einem neuen Vorhaben des EU-Kommissars Spidla zu lesen, wonach es in Europa freien Zugang zu kostenlosen Gesundheits-leistungen geben soll. Jeder Bürger soll - nicht nur bei Urlaubsreisen sondern generell - mit seiner Versicher-ungskarte in jedem Land Zugang zu medizinischen Behand-lungen und Krankenhausaufenthalten haben und zwar - das ist das Beunruhigende - zu den Preisen, die die Kasse seines Heimatlandes für diese Behandlung erstattet
! Meine Fragen:
1) Soweit "Versicherte" aus dem Ausland Leistungen bei uns zu den Preisen ihres Heimatlandes in Anspruch nehmen wollen (.z.B. eine Krebsbehandlung) - wie stellt sich die EU die Finanzierung der "Differenzbeträge" vor, die sich aus dem Unterschied des Leistungsbetrags der ausländischen Krankenkasse und unseren Preisen in unseren Kliniken ergeben?
2) Sollen das die hiesigen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer "abdrücken", ggf. durch weitere Beitragserhöhungen? .
3) Was soll geschehen, wenn der Ansturm das derzeitige Finanzierungssystem und die Versorgungssicherheit der hiesigen "zahlenden" Bevölkerung gefährdet?
4) Statt neuer Umverteilungsstrukturen zulasten der Mittelschicht: warum macht man nicht soziale Mindeststandards bei allen Mitgliedern in der EU zur Pflicht? Würde ein solches Vorgehen nicht schneller die Lohn(neben) kosten in Ländern wie Rumänien oder Bulgarien erhöhen und damit dem Lohn- , Sozialabgaben und Steuerdumping entgegenwirken?
Mit freundlíchen Grüßen
Birgit Mohr
Sehr geehrte Frau Mohr,
vielen Dank für Ihre Fragen zum vorgelegten Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission über "Patientenrechte bei grenzüberschreitender Gesundheitsversorgung".
Lassen Sie mich vorab deutlich zum Ausdruck bringen, dass die sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament die vorgelegte Richtlinie begrüßt. Der Richtlinienentwurf ist eine große Chance für alle, die über eine Behandlung im EU-Ausland nachdenken, weil sie dort in bestimmten Fällen besser, schneller oder preiswerter behandelt werden können. Der Entwurf sieht vor, dass Patienten ohne vorherige Genehmigung der Krankenkasse ärztliche Leistungen EU-weit in Anspruch nehmen können. Nur bei stationären Leistungen sieht der vorgelegte Entwurf in Ausnahmefällen einen Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen vor. Dieser darf allerdings nur zum Tragen kommen, wenn das Gesundheitssystem des jeweiligen Landes durch eine massive Abwanderung von Patienten ins Ausland gefährdet ist.
Die Richtlinie sieht nicht vor, dass Patienten im Ausland zu den Kosten ihres jeweiligen Heimatlandes behandelt werden. Die nationale Krankenkasse muss nur die Kosten einer Behandlung im Ausland bezahlen, die bei einer im Inland durchgeführten Behandlung angefallen wären. Wenn ein Lette sich in Deutschland behandeln lässt, bekommt er somit von seiner lettischen Versicherung nur den Betrag erstattet, den die Behandlung in Lettland gekostet hätte. Die Mehrkosten muss der Versicherte selbst tragen. Das gleiche gilt für einen Deutschen, der sich beispielsweise in den Niederlanden behandeln lässt. Dieses Verfahren soll die von Ihnen befürchteten Umverteilungskosten vermeiden. Da das deutsche Gesundheitssystem international einen guten Ruf hat, könnte die Patientenmobilität sogar zu neuen Einnahmequellen für Ärzte und Krankenhäuser führen. Dies würde den deutschen Versicherten auf Dauer zu gute kommen.
Überdies sieht der Richtlinienentwurf vor, dass sich mehrere EU-Mitgliedsstaaten zusammentun können, um europäische Referenzzentren für seltene Krankheiten aufzubauen. Auch dies wäre ein Fortschritt im Sinne der Menschen, die an solchen Krankheiten leiden.
Bei dem nun vorgelegten Text handelt es sich jedoch nur um einen Entwurf. Die Verhandlungen im Ministerrat der Europäischen Union und im Europäischen Parlament haben noch nicht begonnen. Erst danach kann genau gesagt werden, welche neuen Rechte und Chancen die europäischen Bürgerinnen und Bürger erhalten. Eines ist jedoch schon heute sicher: nur durch eine verstärkte Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich auf europäischer Ebene können wir die beste Qualität bei der Behandlung und Nachsorge für alle Patienten in der EU sicherstellen.
Ich hoffe, dass ich Ihren Bedenken zerstreuen konnte. Für Nachfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Udo Bullmann