Frage an Udo Bullmann von Helena P. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Bullmann,
am 26. Februar haben Sie gegen die Transparenzregelung des Abstimmungsverhaltens von EU-Abgeordneten im Plenum und in den Ausschüssen gestimmt.
Warum dürfen Ihrer Meinung nach Ihre Wähler nicht wissen, wie / ob Sie ihre Interessen vertreten haben ?
Sehr geehrte Frau Peltonen-Gassmann,
gerne beantworte ich Ihre Anfrage bezüglich des Casini-Berichts, der während der vorletzten Plenartagung in Straßburg abgestimmt wurde.
Selbstverständlich dürfen Wählerinnen und Wähler wissen, ob ich ihre Interessen vertrete. Sie müssen es sogar wissen, denn Transparenz ist ein elementarer Bestandteil parlamentarischer Demokratie. Sie gehört in der Tat zu den höchsten Gütern einer Demokratie. Dafür trete ich ein, unabhängig davon, wann die nächste Wahl ansteht.
Doch die Transparenz, die diese Änderung der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments schaffen soll, ist eine Scheintransparenz. Denn sie dient nicht vorrangig der Transparenz gegenüber den Wählerinnen und Wählern und das aus zwei Gründen:
1. Das Europäische Parlament ist das transparenteste Parlament, das Sie in Europa finden können. Wenn man sich als Bürgerin oder Bürger für die Geschehnisse in einer Ausschusssitzung des Europäischen Parlaments interessiert, kann man schon heute jede Sitzung in der eigenen Sprache live und als Aufzeichnung im Internet verfolgen ( http://www.europarl.europa.eu/ep-live/en/schedule ). Auch alle Plenarsitzungen sind auf der Webseite des Parlaments öffentlich einsehbar ( http://www.europarl.europa.eu/sed/video.do ). Damit wird Bürgerinnen und Bürgern bereits heute ermöglicht, nicht nur alle Debatten zu verfolgen, sondern auch den jeweiligen Abstimmungen direkt beizuwohnen. So ist das Europäische Parlament bereits heute wesentlich transparenter als viele nationale Parlamente in Europa, auch transparenter als der Deutsche Bundestag.
Außerdem können selbst nicht-legislative Berichte schon heute im Plenum namentlich abgestimmt werden, wenn eine Fraktion dies beantragt. Dies entspricht übrigens absolut den Regeln im Deutschen Bundestag und ist eine bewährte Methode im parlamentarischen Alltag. Auch bei Plenumsabstimmungen in Brüssel und Straßburg genügt das Interesse einer Fraktion, um eine namentliche Abstimmung herbeizuführen. Im Bundestag kommt es daher im Schnitt zu etwa vier bis fünf namentlichen Abstimmungen pro Woche. Im Europäischen Parlament sind es erheblich mehr: auf die Sitzungswochen heruntergerechnet durchschnittlich circa 110 namentliche Abstimmungen.
2. Abstimmungen in Ausschusssitzungen grundsätzlich namentlich zu machen, birgt aus meiner Sicht eher Risiken als Vorteile. Es handelt sich hierbei nicht um abschließende Abstimmungen, sondern um einen Zwischenschritt im gesetzgeberischen Prozess. Die Gesetzestexte obliegen noch Änderungen im Zuge laufender Verhandlungen zwischen den Parlamentsfraktionen, aber auch mit der EU-Kommission sowie dem Rat als Ko-Gesetzgeber. Durch die namentliche Bekanntgabe des Abstimmungsverhaltens jedes einzelnen Abgeordneten in dieser Phase des Prozesses erhöht man nicht zwangsläufig die Transparenz für die Bürgerinnen und Bürger, sondern schwächt in erster Linie die Verhandlungsposition des Parlaments als Bürgervertretung. Denn nicht nur dem Rat, sondern auch jedweder interessierten Lobbygruppe wird dadurch ein Informationsvorsprung gewährt.
Dass Endabstimmungen insbesondere im Ausschuss von nun an immer namentlich stattfinden sollen, hilft den Abgeordneten also nicht zwangsläufig, die Interessen ihrer Bürgerinnen und Bürger besser zu vertreten - das Gegenteil könnte oftmals der Fall sein. Ich hoffe, sie können nun mein Abstimmungsverhalten im Casini-Bericht besser nachvollziehen.
Mit freundlichen Grüßen
Udo Bullmann