Frage an Udo Bullmann von Stephan V. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Bullmann,
aktuell wird eine Datenschutzreform vorbereitet die möglicherweise bereits im Sommer im EU-Parlament behandelt wird. Geplant ist den Datenschutz EU-weit zu vereinheitlichen und an die Erfordernisse des 21. Jahrhunderts anzupassen.
Was erwarten Sie von dieser Datenschutzreform?
Welchen Stellenwert hat für Sie die informelle Selbstbestimmung im Vergleich zu Unternehmensinteressen?
Planen Sie diese informelle Selbstbestimmung im Gesetz zu schützen? Und wenn ja, wie planen Sie dies umzusetzen?
Was sagen Sie zu der Kritik, dass die aktuellen Entwürfe hauptsächlich auf die Wünsche von datenverarbeitenden Großunternehmen angepasst werden, aber Datenschützer kaum Mitbestimmungsmöglichkeiten hätten? So soll ein Großteil des aktuellen Gesetzentwurfes aus Lobbypapieren von Großunternehmen stammen.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Voeth
Sehr geehrter Herr Voeth,
vielen Dank für Ihre Anfrage und Ihr Interesse an unserer Arbeit im Europäischen Parlament. Gern beantworte ich Ihre wichtige Frage zum Thema Datenschutz.
Die von EU-Justizkommissarin Viviane Reding Anfang letzten Jahres vorgelegte Gesetzesinitiative zur Reform des europäischen Datenschutzes ist notwendig, um einen einheitlichen und modernen Rahmen für den Datenschutz in der EU zu schaffen. Die derzeit gültige EU-Datenschutzrichtlinie aus dem Jahr 1995 muss den Anforderungen des digitalen Zeitalters angepasst werden. In sozialen Netzwerken, bei Bankgeschäften oder beim Einkauf im Internet geben heute immer mehr Menschen persönliche Daten an. Diese Daten werden nicht nur in Deutschland, sondern vielfach in anderen europäischen Ländern oder im außereuropäischen Ausland gespeichert. Ein einheitlicher Rechtsrahmen, der die Grundrechte der europäischen Bürger sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU wirksam schützt, ist dringend geboten. Wir brauchen Vorschriften, die ein hohes Datenschutzniveau garantieren, gleichzeitig aber nicht das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit einschränken oder unnötigerweise die unproblematische, für Alltagsabläufe erforderliche Verarbeitung von personenbezogenen Daten verhindern.
Bei der Vorbereitung der Datenschutzreform hat die EU-Kommission die verschiedenen Interessensgruppen angehört und die Auswirkungen einer Reform analysiert. Seitdem der Kommissionsvorschlag veröffentlicht ist und im Parlament diskutiert wird, hat meine Kollegin Birgit Sippel, Datenschutzexpertin der SPD-Delegation und Mitglied des Innenausschusses, zahlreiche Gespräche mit Interessensvertretern über die geplante Reform geführt. Sowohl Unternehmen als auch viele Verbraucherschutzverbände und Nichtregierungsorganisationen haben in Gesprächen ihre Interessen dargestellt.
Bei Gesetzesprojekten ist es grundsätzlich wichtig, ein umfassendes und ausgewogenes Bild über die unterschiedlichen Interessen in der Gesellschaft zu bekommen. Problematisch ist die Zusammenarbeit mit Lobbyisten, wenn Abgeordnete Positionen nicht hinterfragen und einseitig einzelnen, womöglich ressourcenstarken Lobbyisten Gehör schenken. Das ist absolut inakzeptabel und widerspricht meiner Auffassung von einem Abgeordnetenmandat im Auftrag der Wählerinnen und Wähler. Lobbyisten dürfen keinen direkten Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen. Abgeordnete sind ihrem Gewissen unterworfen und tragen die Verantwortung für die Mitgestaltung an der Gesetzgebung und für ihr Abstimmungsverhalten.
Deshalb gilt auch bei der Datenschutzreform: Keinesfalls dürfen einseitig die reinen Profit-Interessen großer Unternehmen berücksichtigt werden. Wir Sozialdemokraten im EU-Parlament setzen uns dafür ein, dass Unternehmen nicht auf Kosten der Privatsphäre Geschäftsmodelle entwickeln. Denn Datenschutz ist unverzichtbar. Dieses Grundrecht muss bei allen persönlichen Daten gelten - seien es etwa die Gehaltsabrechnung, Informationen über den Gesundheitszustand oder über Websites, die jeder einzelne im Internet aufruft, um nur ein paar wichtige Beispiele zu nennen. Es ist wichtig, dass jeder aufgrund von strengen Datenschutzbestimmungen auf einen verantwortungsvollen Umgang mit seinen Daten vertrauen kann.
Wir setzen uns aus diesem Grund dafür ein, dass persönliche Daten nur mit ausdrücklicher Einwilligung der betroffenen Person und zu einem konkret benannten Zweck verarbeitet werden dürfen. Zudem muss das "Recht auf Vergessen" gewährleistet sein, sodass Daten von EU-Bürgern gelöscht werden, wenn der Grund für die Speicherung erlischt. Auch die gezielte Analyse und Bewertung von personenbezogenen Daten - das sogenannte Profiling - muss eingeschränkt werden. Ganz besonders gilt das im Fall von Kindern, für die wir ein vollständiges Verbot des Profilings fordern. All diese Regeln müssen nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb der EU gelten, solange EU-Bürger betroffen sind. Denn viele Anbieter von Online-Diensten haben ihren Firmensitz nicht in der EU. Um wirklich sicherzustellen, dass große multinationale Datenkonzerne die einheitlichen europäischen Schutzstandards auch einhalten, setzt sich unsere Fraktion für abschreckende Strafen ein. Ein hohes Maß an Datenschutz ist keine Bedrohung für die Wirtschaft, sondern schafft einen einheitlichen Rechtsrahmen und damit das nötige Vertrauen für Investitionen.
Darüber hinaus ist es uns Sozialdemokraten besonders wichtig, dass Datenschutz auch als Arbeitnehmerrecht verstanden wird. Beschäftigte müssen sich darauf verlassen können, dass ihre persönlichen Daten wie Nachweise über Fehlzeiten oder ärztliche Atteste bei ihrem Arbeitgeber sicher aufgehoben sind. Darüber hinaus dürfen Arbeitnehmer an ihrem Arbeitsplatz nicht ausspioniert und bespitzelt werden und vor allem dürfen keine so genannten "schwarzen Listen" von Arbeitnehmern erstellt werden, die anderen Firmen zugeleitet werden. Auch die Forderung, EU-weit für alle Unternehmen und Behörden verbindlich Datenschutzbeauftragte einzuführen, unterstützen wir. Ebenso wichtig ist es, dass staatliche Institutionen - und auch die Institutionen der EU - von der Datenschutzreform erfasst sind. Auch der Zugriff von Strafverfolgungsbehörden auf personenbezogene Daten muss streng geregelt werden. Zur Unschuldsvermutung und dem Prinzip der Resozialisierung gehört, dass die Daten von Beschuldigten während strafrechtlicher Ermittlungen, in Gerichtsverfahren sowie im notwendigen Umfang auch im Anschluss daran geschützt werden.
Bei der anstehenden Gesetzesreform ist daher unser Ziel, persönliche Daten in all diesen Bereichen - privat, beruflich und im Umgang mit Behörden - umfassend zu schützen und damit europaweit Datenschutz als Grundrecht durchzusetzen.
Ich hoffe, dass diese Informationen Ihnen weiterhelfen.
Mit freundlichen Grüßen
Udo Bullmann