Frage an Udo Bullmann von Hartmut K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Bullmann,
ich frage mich schon seit ziemlich langer Zeit,wann das Europa Parlament sich endlich bemüßigt fühlt,sich mit der katastrophalen Situation in Ungarn zu beschäftigen.Was muß eigentlich noch dort passieren,bis europ. Institutionen Ungarn zum Mittelpunkt nicht nur von Beratungen sondern auch des entschiedenen Handelns machen? Es ist empörend zu sehen,wie Demokraten misshandelt und verfolgt werden,wie demokratische Grund- und allgemeine Menschenrechte mit Füssen getreten werden und Europa lässt sie im Stich.Hier in der BRD gedenken wir gerade der Opfer rassistischer Verfolgung durch das Nazi-Regime und in Ungarn kann ein faschistoides Regime ungehemmt sich in antisemitischer Hetzpropaganda ergehen.Diese Leute brauchen dringend einen deftigen Warnschuss vor den Bug.Dies wäre auch eine Ermutigung der Menschen,die sich dort im Widerstand engagieren und bitter dafür bezahlen müssen.Wenn ich mich an das Trara um die FPÖ Regierung in Österreich vor etlichen Jahren erinnere,so ist das zaghafte Schweigen nicht nur des EU Parlaments in meinen Augen ein Skandal.
Mit freundlichen Grüssen,
H.Kamp
Sehr geehrter Kamp,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Seien Sie versichert, wir Sozialdemokraten im EU-Parlament teilen Ihre Bestürzung über die unhaltbaren Grundrechtsverletzungen durch die ungarische Regierung. Derartige Beschneidungen von Demokratie und Rechtstaatlichkeit dürfen in der Europäischen Union nicht geduldet werden. Keine Regierung der Welt hat das Recht, demokratische Rechte ihrer Bürger einzuschränken.
Im Gegensatz zur zögerlichen Haltung der konservativen Mehrheit im EU-Parlament, die den Fidesz als EVP-Mitgliedspartei aus parteipolitischen Gründen bisher unverständlicherweise unterstützt, haben wir Sozialdemokraten uns stets unmissverständlich zu den europäischen Werten der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit bekannt. Die ungarische Geschichte ist geprägt durch den Kampf für Demokratie und Menschenrechte. So war Ungarn das erste ehemals kommunistische Land, das der Europäischen Menschenrechtskommission beigetreten ist, und der erste Mitgliedstaat der EU, der den Vertrag von Lissabon am 17. Dezember 2007 ratifiziert hat. Unser Engagement für die Einhaltung von europäischen Grundwerten richtet sich nicht gegen die ungarische Bevölkerung, sondern gegen eine rechts-konservative, populistische und anti-europäische Regierung, die eindeutig droht vom Pfad der europäischen Einheit abzukommen und ihre Bürger mit sich zu reißen.
Seit ihrem Wahlsieg im April 2010 hat es sehr viel Kritik an den Rechts- und Verfassungsreformen der derzeitigen ungarischen Fidesz-KDNP-Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán gegeben. Dabei wurden die Bedenken keineswegs nur von einem politischen Lager geäußert: Neben dem EU-Parlament haben sich etwa die Venedig-Kommission des Europarats, die US-Regierung, das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte und auch die Europäische Kommission sowie verschiedene Nichtregierungsorganisationen wie etwa Human Rights Watch oder das Hungarian Helsinki Committee sehr kritisch geäußert. Der Europäische Gerichtshof hat zudem mehrere Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Sorgen bereiten unter anderem die Unabhängigkeit der Justiz und des Verfassungsgerichts, die Freiheit der Medien, der Datenschutz oder auch die Rechte von Minderheiten.
Die schiere Masse der im Schnell-Durchlauf verabschiedeten Rechts- und Verfassungsänderungen der letzten drei Jahre erhärtet zusätzlich den Verdacht, dass hier demokratische Standards unterlaufen werden. Die Eingriffe sind derart massiv, dass inzwischen auch Orbán´s Rückhalt bei den eigenen politischen Freunden teilweise schwindet.
Das EU-Parlament hat die Situation in Ungarn von Beginn an sehr kritisch mitverfolgt. Schon 2010 verurteilte eine Mehrheit der Europaabgeordneten das restriktive neue ungarische Mediengesetz, an dem in der Folge nur kosmetische Änderungen vorgenommen wurden. Zwar hat die Europäische Kommission eine Reihe von Vertragsverletzungsverfahren gegen besonders umstrittene ungarische Regelungen eingeleitet, nimmt aber aus Sicht der Sozialdemokraten insgesamt ihre Rolle als Hüterin der Verträge, und damit auch der europäischen Grundwerte, zu zögerlich wahr. Gleiches gilt für den konservativ geprägten Rat und insbesondere für die Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat, der seit drei Jahren als einzige EU-Institution beharrlich zu allen rechtsstaatlichen Fehlentwicklungen in unserem Nachbarland schweigt. Das ist schlichtweg nicht akzeptabel!
Angesichts der weiteren Verschärfung der Lage hat das EU-Parlament im Februar 2013 den zuständigen Innenausschuss damit beauftragt, die Situation der Grundrechte in Ungarn intensiv zu überprüfen. Eine Delegation von Abgeordneten reiste in den vergangenen Monaten zu Gesprächen nach Budapest und legte kürzlich einen Bericht zur Lage der Grundrechte vor. Dieser zeichnet - wie zu erwarten war - ein erschreckendes Bild autoritär anmutender Zustände. Am 19. Juni 2013 wurde der Bericht im Innenausschuss angenommen. Er kommt zu dem Schluss, dass die systematische und wiederholte Änderung der Verfassung und anderer zentraler Gesetze innerhalb kürzester Zeit die klare Gefahr einer Verletzung europäischer Werte nach Artikel 7 Absatz 1 des EU-Vertrags birgt. Deshalb fordern wir die ungarische Regierung auf, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wieder herzustellen. Sollte das Parlament mit der Umsetzung seiner Empfehlungen durch die ungarische Regierung nicht zufrieden sein, wird es empfehlen, den sogenannten Präventionsmechanismus des Artikels 7 zu aktivieren, der betroffene Staaten unter Beobachtung des Rates stellt.
Insbesondere müssen wir doppelte Standards vermeiden: Einschränkungen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gibt es in der EU leider nicht nur in Ungarn. Das entbindet uns nicht von der demokratischen Pflicht, für die Grundrechte der ungarischen Bürger einzutreten. Aber es verpflichtet uns auch dazu, darauf zu drängen, dass wir auf europäischer Ebene endlich schlagkräftige Mechanismen zur Überwachung von Grundwerten entwickeln.
Der Bericht des Innenauschusses muss nun noch im Plenum des EU-Parlaments im Juli 2013 angenommen werden. Ich hoffe, dass unsere konservativen Kollegen bei der Abstimmung jenseits von parteipolitischen Grabenkämpfen mit uns gemeinsam ein Zeichen für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit setzen und für den Bericht stimmen!
Ich hoffe, diese Informationen helfen Ihnen weiter.
Mit freundlichen Grüßen
Udo Bullmann