Frage an Udo Bullmann von Dr. Konrad E. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Bullman,
mich bewegt die Situation von Flüchtlingen. Sie werden an der europäischen Grenze im Mittelmeer abgefangen, sie werden nicht in ausreichender Zahl in den Bundeländern aufgenommen, und wenn, dann schlecht untergebracht und kaum integriert. Dies gilt für Flüchtlinge aus den nordafrikanischen Ländern, wo allgemein der demonkratische Aufbruch gelobt wird; es gilt momentan in aktuellem und leider drastischen Ausmaß für Flüchtlinge aus Syrien, die fliehen, um ihr Leben zu retten.
Ich bitte Sie freundlichst, alles in Ihrer Möglichkeit Stehende zu tun, dass in Europa und hier in Hessen die Bereitschaft zur Aufnahme solcher Flüchtlinge gesteigert wird und dass sichtbar und spürbar geholfen werden kann.
Ich bitte Sie um entsprechende Information bzw. Antwort.
Mit freundlichen Grüßen,
Konrad Elsässer
Sehr geehrter Herr Elsässer,
zunächst einmal möchte ich mich für Ihre Anfrage und Ihr Engagement recht herzlich bedanken. Es gehen immer wieder Bilder von überfüllten Flüchtlingsbooten vor Europas Küsten durch die Medien. Der Umgang mit den Flüchtlingen sowie die Abschiebungen beispielsweise nach Libyen empören auch mich. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Europäischen Parlament vertreten die Ansicht, dass alle Mitgliedstaaten der EU ihren Beitrag zur Behebung dieser Problematik leisten sollten. Wir brauchen einen solidarischen Lastenausgleich. Insbesondere die Mitgliedstaaten an den Außengrenzen, die für einen Großteil der Flüchtlinge die erste Anlaufstelle sind, benötigen Hilfe bei deren Aufnahme und Unterbringung und bei der Bearbeitung der Asylanträge.
Erste Schritte sind bereits getan - so zum Beispiel der im September 2000 eingerichtete Flüchtlingsfonds, der unter anderem zu einer ausgewogeneren Verteilung der finanziellen Belastungen zwischen den Mitgliedstaaten beiträgt, oder die 2003 in Kraft getretene Dublin-II-Verordnung, in der die 27 EU-Mitgliedstaaten auf freiwilliger Basis vereinbarten, Flüchtlinge aufzunehmen. Doch weitere Maßnahmen müssen folgen und die getroffenen Vereinbarungen müssen verbindlich werden, um einen tatsächlich solidarischen Lastenausgleich zu erreichen. Eine Flüchtlingspolitik, die auf Abschottung zielt und keinerlei gemeinsame Perspektiven kennt, lehnen wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten entschieden ab.
Erste Verbesserungen der Dublin-II-Verordnung konnten in gemeinsamen Verhandlungen zwischen dem Europäischen Parlament, dem Ministerrat und der EU-Kommission erzielt werden. Der Verordnungsentwurf wurde im September 2012 im Innenausschuss des Parlaments angenommen. Nun fehlt lediglich die Zustimmung des Ministerrates, damit der Text voraussichtlich diesen Januar im Plenum abgestimmt werden kann.
Den Abgeordneten des Europäischen Parlaments ist es gelungen, einen klaren Verweis auf die Solidarität mit Mitgliedstaaten, die unter besonders hohem Druck stehen, in die neue Verordnung aufzunehmen. Des Weiteren wurden Kriterien zur Bestimmung des Mitgliedstaates festgelegt, der für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Es ist zu hoffen, dass dadurch einer Praxis der Boden entzogen wird, bei der Staaten sich ihrer Verantwortung entziehen, indem sie Flüchtlinge einfach in einen anderen Staat verweisen.
Bedeutend ist ebenfalls die Stärkung der Rechte von Asylbewerbern in der überarbeiteten Verordnung. Eine Verpflichtung zum Schutz von Grundrechten wurde hinzugefügt. Die Überstellung von Asylbewerbern in Drittstaaten, in denen Folter oder andere erniedrigende Misshandlungen drohen, wurde durch eine vom Parlament integrierte Vorschrift untersagt. Zudem wird der Rechtsschutz der Asylbewerber erheblich verbessert. Die Mitgliedstaaten haben sich in dem Entwurf verpflichtet, den Asylbewerbern im Falle einer gerichtlichen Überprüfung des Überstellungsbeschlusses eine kostenlose Rechtsberatung bereit zu stellen. Mitgliedstaaten werden außerdem in die Pflicht genommen, Asylbewerber besser über ihre Rechte zu informieren. Unbegleitete Minderjährige ohne Eltern erhalten das Recht, mit ihren in der EU lebenden Großeltern, Geschwistern, Tanten oder Onkeln zusammengeführt zu werden.
Um die Probleme jedoch tatsächlich auch an der Wurzel zu bekämpfen, setzen wir uns für eine Unterstützung beim Aufbau demokratischer Strukturen in den Herkunftsländern ein. Auch verbesserte Hilfen beim Aufbau eigener Wirtschafts- und Handelsstrukturen sollen dazu beitragen, Arbeitsplätze vor Ort zu schaffen und die Not zu lindern. Demokratische Aufbrüche gilt es nicht nur zu loben, sie müssen auch tatkräftig unterstützt werden.
Die Anstrengungen auf europäischer Ebene müssen sich allerdings in den Mitgliedstaaten widerspiegeln, da die gesellschaftliche Integration von Migranten und Asylbewerbern in erster Linie in der nationalen Verantwortung liegt. In Deutschland ist dies zum größten Teil Ländersache. Deshalb müssen wir uns auch insbesondere in Hessen dafür einsetzen, dass die Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen steigt und ihre Lebenssituation verbessert wird. Ein ganz konkretes Beispiel hierfür ist die langwierige Forderung der SPD-Landtagsfraktion die Residenzpflicht, die die Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden auf den ihnen zugeordneten Landkreis einschränkt, abzuschaffen. Dieser Appell ist nun kürzlich bei der Regierung endlich auf offene Ohren gestoßen: in Hessen gehört die Residenzpflicht seit November 2012 der Vergangenheit an.
Ich hoffe, diese Informationen helfen Ihnen weiter.
Mit freundlichen Grüßen
Udo Bullmann