Frage an Udo Bullmann von Birgit M. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Dr. Bullmann,
die SPD tritt - in welcher Form auch immer (Eurobonds, Schuldentilgungsfond usw) für eine gemeinschaftliche Haftung für Schulden der MS der WU ein. Richtig?
Sind hierfür aus ihrer Sicht Vereinheitlichungen in den Sozialstandards nötig (Beitragsbemessungsgrenzen, Rentenalter Männer/Frauen, Beitragsjahre (BRD =45), Anzahl Renten (BRD =12)? , Sozialhilfesätze, Arbeitslosengeld Zahldauer (BRD= 1 Jahr)?
Oder können Sie sich auch Haftungsübernahmen bzw. Schuldentilgunen durch Deutschland in den Fällen vorstellen, in denen die Sozialleistungen der Empfängerländern (z.B. Griechenland. Italien, Spanien) über denen (vergleichbarer Verhältnisse ) der für deutsche Bürger liegen?
Mit freundlichen Grüßen
B. Mohr
Sehr geehrte Frau Mohr,
vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich gerne beantworte.
Wir Sozialdemokraten im Europäischen Parlament setzen uns in der Tat für eine begrenzte Vergemeinschaftung von Staatsschulden auf europäischer Ebene ein. Eurobonds etwa würden einen begrenzten Teil des Finanzbedarfs der Länder - 60 Prozent der Wirtschaftsleistung, dem vom Stabilitätspakt als vertretbar angesehenen Schuldenstand - in gemeinsamen Schuldtiteln bündeln. Darüber hinaus angehäufte Staatsschulden blieben jedoch auch weiter in der alleinigen Verantwortung der jeweiligen Mitgliedstaaten. Marktanreize zum Schuldenabbau blieben somit bestehen. Aus meiner Sicht kombiniert ein solches Modell die gegen die Krise unbedingt notwendige Solidarität mit der gebotenen Eigenverantwortung, damit Europa in Zukunft als starke Wirtschaftsunion auf solides Haushalten setzt.
Für die Vermarktung gemeinsamer Schuldtitel lassen sich starke Anreize zur Haushaltsdisziplin setzen: So ließen sich gemeinsam vermarktete Schuldscheine an die Einhaltung der Regeln eines intelligent reformierten Stabilitätspakts knüpfen. Klar muss sein, wer an einer gemeinsamen Vermarktung von Schuldtiteln teilnehmen will, muss sich einer engeren Haushaltskontrolle und -koordinierung unterwerfen. Deutschland müsste auch nicht zwangsläufig höhere Zinsen zahlen. Denn durch einen eingebauten Ausgleichmechanismus ließe sich sicherstellen, dass Staaten mit höheren Zinsaufschlägen Ländern wie Deutschland mindestens einen Teil des Differenzbetrags zum nationalen Zinswert erstatten - ein für den deutschen Haushalt kostengünstig und langfristig profitabel gestaltetes System.
Auch der bereits vom Sachverständigenrat vorgeschlagene Schuldentilgungsfonds wäre ein geeignetes Instrument, um die Staatsschuld der Mitgliedstaaten nachhaltig abzutragen. Dabei lagern die Länder die über die 60 Prozent-Grenze des BIPs hinausgehenden Schulden gemeinsam in einen Fonds aus. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich zu strikten Konsolidierungszielen und bauen ihre Schulden innerhalb eines festgelegten Zeitraums - in der Regel 25 Jahre - in eigener Verantwortung ab.
Das in Deutschland leider oftmals vermittelte Bild des Schlendrians und der üppigen Sozialstandards in den krisengeschüttelten Ländern hält einem genauen Blick auf die Fakten nicht Stand: Vor Beginn der Krise lag die durchschnittliche Arbeitszeit der Griechen bei 44,3 Stunden, während in Deutschland 41 Stunden und in der Eurozone im Schnitt 41,7 Stunden gearbeitet wurde. Die Durchschnittsrente liegt in Griechenland derzeit bei 617 Euro, der Durchschnittslohn bei 950 Euro - und das bei ähnlichen Lebenshaltungskosten wie in Deutschland. Griechische Arbeitssuchende erhalten höchstens ein Jahr staatliche Unterstützung. Eine wie in Deutschland vergleichbare Grundsicherung wie Hartz IV gibt es nicht.
Aber auch der Vergleich zu anderen Ländern rät zu Vorsicht vor voreingenommenen Ansichten: Deutschland steht mit 40 Tagen Urlaub im Jahr (inklusive Feiertagen) an der Spitze in Europa. Der europäische Schnitt liegt hingegen nur bei 35,9 Tagen. Griechen und Portugiesen haben durchschnittlich 33 Tage Urlaub.
Im Jahr 2012 gab der deutsche Staat 26 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Sozialausgaben aus, während Portugiesen 25 Prozent und Iren sowie Griechen lediglich 23 Prozent ihres jeweiligen BIPs an staatlicher Unterstützung erhielten. Männer gehen in Deutschland im Schnitt mit 61,8 Jahren in Rente, in Spanien sind es ebenfalls 61,8 Jahre, in Griechenland 61,9 Jahre, in Portugal 67 Jahre und in Italien 61,1 Jahre.
Ich möchte mit der Aufzählung dieser Fakten nicht davon ablenken, dass Griechenland und auch weitere krisengeschüttelte Länder Probleme haben. Schlagzeilen über Renten, die Angehörige für bereits Verstorbene in Griechenland kassiert haben oder Berichte über Steuerhinterziehung und vielfach fehlende funktionierende staatliche Strukturen sind sehr bedauerliche Fehlentwicklungen, die abgestellt gehören. Auch die verschleppten Reformen und geringen Investitionen in Forschung und Entwicklung zum Aufbau eines wettbewerbsfähigen Wirtschaftsmodells sind Versäumnisse, die es nun entschlossen anzugehen gilt. Diese Schwachstellen zusammen mit dem Übergreifen der Finanzkrise auf die Realwirtschaft und lediglich halbherzigen Maßnahmen auf europäischer Ebene bei einem gleichzeitig verordneten harten Sparprogramm führen dazu, dass die Länder immer tiefer in die Rezession abgleiten. Doch der auch von Bundeskanzlerin Merkel ("sollen mehr arbeiten und weniger Urlaub machen") angeheizten Stimmung gegen den vermeintlichen südeuropäischen Schlendrian sind meines Erachtens endlich Sachargumente und Fakten entgegenzusetzen.
Die SPD setzt sich für ein Soziales Europa ein, in dem die Mitgliedstaaten sich nicht länger mit immer niedrigeren Unternehmenssteuern und Sozialstandards unterbieten. Daher fordern wir europaweite Steuersätze für Unternehmen und Vermögen oder auch einen europäischen Mindestlohn. Eine von Ihnen angedeutete Sozialunion, mit fallgerechten Zielkorridoren für Renten oder Sozialhilfesätze, ist aus meiner Sicht ein erstrebenswertes Ziel europäischer Politik. Europa sollte daher mit der weiteren Angleichung von Sozialstandards vorangehen und damit auch in der Gestaltung der Arbeits- und Lebensbedingungen enger zusammenwachsen.
Mit besten Grüßen
Udo Bullmann