Frage an Udo Bullmann von Siegfried F. bezüglich Wirtschaft
EU-Parlament contra Deutschland
Strafen wegen Exporterfolgen?
Sehr geehrter Herr Dr. Bullmann,
in der Sendung von Report München am 29.11.2011 wurden Sie befragt zum "EU Gesetzespaket
zur Verschärfung des Stabilitätspaktes", dass Länder mit großen Exportüberschüssen, wie z.B. Deutschland, ins Visier nimmt (Abmahnung, Rüge etc.) und Exportquoten vorgibt. Länder mit hohen Exportüberschüssen würden dann bestraft.
Sie haben dieses Gesetzespaket ausdrücklich unterstützt und hinterließen in dem Beitrag bei mir den Eindruck, dass die deutschen Exportüberschüsse wohl ausschließlich durch Lohndrückerei entstanden sind.
Bisher war ich der Meinung, dass die deutschen Exportüberschüsse aufgrund der herausragenden Qualität der deutschen Erzeugnisse, ihres innovativen Charakters und der hervorragenden technischen Leistungen z.B. in Maschinenbau, Automobilindustrie und der chemischen Industrie zustande gekommen sind. Eine besondere Rolle nimmt dabei auch der deutsche Mittelstand ein.
Insofern kann ich nicht verstehen, dass Sie ein derart wirklichkeitsfernes Gesetzespaket in diesem Punkt unterstützen. Deutschland darf bei der Staatsschuldenkriste den höchsten Anteil schultern und muß zum Dank u.a. seine Exporterlöse reduzieren, die solche Finanzleistungen erst möglich machen.
Wer soll das verstehen. Solche Gesetze steigern das Europa-Unverständnis und stärken die Meinung, dass Europa jetzt auch im Parlament zunehmend von wirklichkeitsfremden Eurokraten gelenkt wird.
Vielleicht können Sie dies richtigstellen oder aufklären?
Sehr geehrter Herr Filla,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Leider hat die ARD-Sendung Report München den Sachverhalt zu der Behandlung von Exportüberschüssen nicht korrekt wiedergegeben. Meine Aussage bezog sich auf die Überwachung makroökonomischer Ungleichgewichte im Rahmen der Gesetzgebung zum Six Pack. Ich vertrat in dem Interview die Position, dass sowohl Staaten mit übermäßigen Exportdefiziten als auch Länder mit hohen Exportüberschüssen bei gleichzeitigen wirtschaftlichen Fehlentwicklungen, Maßnahmen ergreifen müssen, um ein wirtschaftliches Gleichgewicht in Europa herzustellen. Das heißt nicht - wie in dem Beitrag fälschlich dargestellt -, dass die Gesetzgebung von Exportnationen wie Deutschland verlangt, ihre Exporte zu reduzieren und an Wettbewerbsfähigkeit einzubüßen. Eine starke Exportwirtschaft wird in keiner Weise als problematisch angesehen. Im Gegenteil, die Exportstärke ist ein ausschlaggebender Grund für den Wohlstand Deutschlands.
Es ist jedoch eine problematische wirtschaftliche Entwicklung, wenn - wie in Deutschland - hohe Exportüberschüsse mit langjährigen Reallohnverlusten für Beschäftigte und niedrigen Investitionsquoten des Staates einhergehen. Das führt zu einer schwachen Binnennachfrage. Es fehlt das zweite Standbein: die inländische Kaufkraft. Die Schwäche der angeschlagenen EU-Länder lässt sich nicht ohne die Exportstärke Deutschlands bei eigener lahmender Binnenkonjunktur erklären. Denn bei einem zu rund 90 Prozent integrierten Binnenmarkt sind die Handelsüberschüsse der einen die Handelsdefizite der anderen. Beide Fehlentwicklungen gilt es anzugehen. Es ist deshalb wichtig, dass Defizitländer ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern, die Volkswirtschaft durch Zukunftsinvestitionen fit machen und die Exportrate steigern. Gleichzeitig müssen jedoch auch Überschussländer mit einer schwachen Binnenkonjunktur gegensteuern und die inländische Nachfrage ankurbeln, indem sie die Beschäftigten etwa durch die Einführung eines Mindestlohns an der erfolgreichen Wirtschaftsentwicklung beteiligen und zukunftsrelevante öffentliche Investitionen ausweiten. Fest steht: Die Gesetzgebung verlangt von Überschussländern nicht, ihr Exportgeschäft zurückzufahren, sondern lediglich auf angemessene Weise zu einem funktionierenden Binnenmarkt beizutragen.
Mit einer breiten Mehrheit hat das Europäische Parlament am 28. September 2011 die Gesetzgebung zur Überwachung makroökonomischer Ungleichgewichte verabschiedet. Auch der Ministerrat - einschließlich der deutschen Bundesregierung - stimmte dem Kompromiss zu: sowohl Defizit- als auch Überschussländer werden überwacht und müssen bei grobem Fehlverhalten Reformen durchführen. Die EU-Kommission ist laut Gesetzgebung mit der Aufgabe betraut, die Kriterien zur Erkennung von Ungleichgewichten (das sogenannte Scoreboard) in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament und dem Ministerrat festzulegen. In einem ersten Entwurf schlug die Kommission vor, die Wirtschaftsentwicklung eines Landes bei Exportdefiziten ab 4 Prozent des BIP eingehender zu analysieren - Staaten mit Exportüberschüssen hingegen erst ab 6 Prozent des BIP detaillierter zu betrachten. Der Hintergrund: Mit dem Ziel einer privilegierten Behandlung von Exportüberschüssen hatte die deutsche Bundesregierung im Vorfeld Druck auf die Kommission ausgeübt. Das Europäische Parlament kann nicht einfach schweigen, wenn nach erfolgter Gesetzgebung einzelne Mitgliedstaaten versuchen, die Rechtsetzung nach Gutdünken zu biegen. Nicht die Senkung der Exporte ist das Ziel, sondern die Frage danach, ob Deutschland in hinreichendem Maße Lohnniveaus angleicht, einen anständigen Mindestlohn bezahlt und Zukunftsinvestitionen tätigt.
Es ist sehr bedauerlich, dass ARD Report München diesen Sachverhalt falsch wiedergegeben und europaskeptische Ressentiments mit dem Argument bedient hat, die EU habe es auf den deutschen Exporterfolg abgesehen. Weit gefehlt. Hinter dem mit breiten Mehrheiten verabschiedeten Reformansatz steht vielmehr die Einsicht, dass Lohndrückerei und zukunftsschädliche Investitionstiefs keinen Bestand im europäischen Wirtschaftsmodell haben können.
Ich hoffe, diese Informationen helfen Ihnen weiter.
Mit freundlichen Grüßen
Udo Bullmann