Frage an Timon Gremmels von Hansgeorg N. bezüglich Soziale Sicherung
Mehrfachverbeitragung bei Direktversicherungen
Ausgangslage:
Diese Betrachtung bezieht sich ausschließlich auf vor dem 31.12.2003 abgeschlossene Direktversicherungen (kapitalbildende Lebensversicherung) über den Arbeitgeber.
Auf Raten der Politik wurde als 3. Standbein (private Altersvorsorge) eine kapitalbildende Lebensversicherung abgeschlossen, wobei der Arbeitgeber der Versicherungsnehmer und der Arbeitnehmer die versicherte Person. Der Abschluss der Verträge musste über den Arbeitgeber erfolgen, um den Genuss einer kleinen Steuerersparnis zu gelangen. Diese Pauschallohnsteuer betrug anfangs 10%, wurde dann in 2 Stufen auf 15%, dann auf 20%. Dadurch wurde die „Rendite“ durch den Eingriff des Gesetzgebers in der Einzahlungsphase das erste Mal geschmälert. Der Arbeitgeber hatte keinerlei Ersparnis an Krankenversicherungsbeiträgen oder Steuern.
Der Arbeitnehmer zahlte alle monatlichen Einzahlungen nachweisbar aus seinem Nettogehalt, d.h. es wurden sowohl Krankenversicherungs- als auch Pflegeversicherungsbeiträge gezahlt (der Arbeitgeber hatte seinen Anteil ebenso gezahlt).
Die Auszahlung der kapitalbildenden Lebensversicherung war von Beginn an als Einmalbetrag (kein Wahlrecht auf monatliche Verrentung!) ab dem 60. Lebensjahr vorgesehen. Eines der wichtigen Merkmale einer betrieblichen Altersvorsorge ist die Wahlmöglichkeit bei Auszahlung.
Es war also eine kapitalbildende Lebensversicherung vom eigenen Nettogeld; der Arbeitgeber war „lediglich“ Erfüllungsgehilfe.
Gesundheitsmodernisierungsgesetz zum 1.1.2004
Bei betrieblichen Altersvorsorgen hatte man bei der Auszahlung der Versorgungsbezüge die Wahl zwischen Einmalbetragsauszahlung (als Kapitalabfindung) oder einer monatlichen Verrentung. Bei der Wahl zur monatlichen Verrentung mussten bis 31.12.2003 der Arbeitnehmeranteil zur KV und später zur PV gezahlt werden; bei Auszahlung in Form der Einmalleistung wurden gar keine Sozialversicherungszahlung gezahlt (lediglich Steuern). Diese Ungleichbehandlung sollte lt. BT 1525 nicht mehr möglich, worauf das GMG erlassen wurde (was aber nur Versorgungsbezüge betrifft), und zwar wurde festgesetzt, dass für den Auszahlbetrag gemäß der 120-er Regelung KV- und PV-Beiträge bezahlt werden sollten. Außerdem wurde für beide Auszahlungsmöglichkeiten ab sofort auch der Arbeitgeberanteil fällig (wobei in diesen Fällen in der Einzahlphase auch keinerlei Sozialversicherungsbeiträge bezahlt wurden).
Situation bei Auszahlungen der Direktversicherung
Hier der Ausschnitt des Sozialgesetzbuch (SGB V)
Fünftes Buch Gesetzliche Krankenversicherung § 229:
„Tritt an die Stelle der Versorgungsbezüge eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung oder ist eine solche Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden, gilt ein Einhundertzwanzigstel der Leistung als monatlicher Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, längstens jedoch für einhundertzwanzig Monate“
Ab 1.1.2004 interpretierten alle GKV’en den Gesetzestext in der Form, dass bei Auszahlung einer Direktversicherung als Einmalbetrag (und nur das war möglich!) nach der 120-er-Regelung KV- und PV-Beiträge, und zwar AG- und AN-Beitrag, und obwohl bis zu dem Zeitpunkt und auch noch bis heute es sich nicht um Versorgungsbezüge handelt, da diese Bezüge eine ganze andere gesetzliche Grundlage haben. Es gab und gibt keinerlei Bestandsschutz oder o.ä.; somit wurde rückwirkend in bestehende Verträge eingegriffen? Vertrauensschutz und Vertragsbestandsschutz???...wo ist er?? Lt. Herrn Schäuble und Frau Merkel sind Verträge einzuhalten…(Aussage in der Griechenlandkriese)
In Konsequenz bedeutet das, dass von dem ausgezahlten Betrag ca. 20% schlicht und ergreifend weg sind!
Schon sehr bald nach Inkrafttreten des GMG begannen Betroffene zu klagen, und zwar bis zum Bundesverfassungsgericht.
In dem vielfach zitierten Urteil 1660-08 aus dem Jahr 2008 greift das Bundesverfassungsgericht in die Trickkiste, in dem festgelegt wird, dass es sich hierbei um betriebliche Altersvorsorge handelt, da der Versicherungsnehmer der Arbeitgeber ist, unabhängig davon, wer die Einzahlungen bezahlt hat! Es wurde kein Bestandsschutz für Verträge vor 2004 eingeräumt; eine Mehrfachverbeitragung im Sozialrecht ist rechtens und zumutbar und „nicht erdrückend“. Fernerhin wird festgelegt, dass es sich nur dann um einen Versorgungsbezug handelt, wenn außerdem eine „Versorgungszusage des Arbeitgebers“ vorliegt. Diese geforderten Versorgungszusagen gibt es nicht bzw. deren Existenz ist im Einzelnen zu prüfen. Es ist kein Gerichtsurteil bekannt, in dem das berücksichtigt wird.
Verbeitragung ab 2004 (Ursache und Wirkung)
Die Basis für die Verbeitragung ist die ausgezahlte Einmalleistung, d.h. eingezahlte Beiträge zuzüglich Gewinne. Eine Verbeitragung nur des Zugewinns wäre ja noch nachvollziehbar. Selbst im Steuerrecht würde analog nur der Zugewinn versteuert!
Regelung ab 1.1.2020
Die Einführung eines Freibetrages für Versorgungsbezüge für die Berechnung der KV-Beiträge (und nicht für PV-Beiträge) klärt die Situation nur unwesentlich, denn nach wie sind die Auszahlungen Versorgungsbezüge und entsprechend sind unter Berücksichtigung des Freibetrages KV- und PV-Beiträge zu zahlen.
Gerechtigkeit (Ursache und Wirkung)
1. Die Verbeitragung ist nicht für Mitglieder der Privatkrankenversicherungen (PKV). Ausgangslage: 2 Arbeitnehmer im gleichen Büro, beide haben eine Direktversicherung abgeschlossen, bei gleichem Gehalt. Einziger Unterschied = einer pflichtversichert (zahlt), einer privat versichert (zahlt nicht).
2. Mehrmaliger Eingriff in bestehende Verträge und damit kontinuierliche Verschlechterung der Konditionen zum Nachteil des Arbeitnehmers bzw. Rentners. (Änderung der Pauschallohnsteuer)
3. Alle Sozialgerichte bis hin zum Bundessozialgericht schließen sich, da wo sie wollen, in ihrer Urteilsbegründung dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes an (nur bei der geforderten Versorgungszusage des Arbeitgebers nicht!).
4. Derjenige Arbeitnehmer, der privat vorsorgt und zu Arbeitszeiten Geld beiseitegelegt hat, wird betraft.
5. Somit wird die Altersvorsorge ständig verschlechtert und man wundert sich, dass die Altersarmut zunehmen wird.
6. Der nachweisliche Rückgang in der privaten Altersvorsorge (siehe Riester Verträge) ist die Folge; mit erheblichen Kosten für spätere Sozialleistungen.
7. Viele angesprochene Politiker sehen ein, dass es ungerecht ist, aber ….
Frage an Sie: Was gedenkt ihre Partei zu dem Thema zu tun, um dieses Unrecht endgültig zu beseitigen.
Sehr geehrter Herr Nöh,
vielen Dank für Ihre Frage. Das Thema ist mir gut bekannt. Ich bitte um Verständnis, dass es im Rahmen einer Frage nicht möglich sein wird, auf alle aufgeworfenen Details/Aspekte Ihres umfangreichen Textes einzugehen.
Ich habe mich seit längerem dafür engagiert, dass es beim Thema "Doppelverbeitragung" einen Ausgleich gibt. Mit dem Koalitionspartner war das, wie Ihnen vielleicht bekannt ist, mitunter sehr schwierig. Und ich verstehe auch, dass sich viele Betroffene hier noch mehr wünschen. Es ist richtig, dass es keine rückwirkende Lösung für bereits gezahlte Beiträge geben wird. Das ist angesichts des erforderlichen Finanzvolumens nicht möglich.
Richtig ist aber auch, dass gerade der von Ihnen angesprochene dynamisierte Freibetrag von seit 01.01.2020 erst einmal in Höhe von 159,25 Euro für die Betroffenen mit kleineren Betriebsrenten, und um die geht es natürlich vorrangig, einen signifikanten Ausgleich darstellt. Insofern kann ich Ihnen nicht zustimmen, dass dies nur ein unwesentlicher Beitrag zur Klärung der Situation wäre. Denn dies bedeutet, dieser Freibetrag bleibt für alle Betriebsrenten frei von Krankenversicherungsbeiträgen. Wer eine Betriebsrente bekommt, wird im Jahr 2020 um rund 300 Euro entlastet. Mindestens 60 Prozent der Betriebsrentnerinnen und -rentner zahlen dann de facto maximal den halben Beitragssatz, die weiteren 40 Prozent der Betriebsrentnerinnen und -rentner werden spürbar entlastet. Diese Regelung gilt im Übrigen auch für Einmalzahlungen aus Direktversicherungen. Hier werden die Krankenkassenbeiträge, die ja auch zehn Jahre berechnet werden, durch den Freibetrag künftig um rund 3.000 Euro gesenkt.
Die Kosten in Höhe von 1,2 Milliarden Euro jährlich werden vollständig aus Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) finanziert. Dies ist gerade in dieser Zeit, Sie haben die Pandemie-Situation angesprochen, nicht unproblematisch. Eine noch höhere Entlastung wäre auch für die Solidargemeinschaft der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler, gerade auch für diejenigen mit kleineren Einkommen, meines Erachtens nicht zumutbar. Durch die Pandemie-Situation werden sich die Spielräume für noch weitergehende Entlastungen, gerade auch - aber nicht allein - im Gesundheitsbereich eher verkleinern.
Seien Sie sicher, dass mir - und uns als Sozialdemokraten - das Thema weiterhin am Herzen liegt. Ich würde mir ausdrücklich wünschen, dass die Erfolge der SPD auch bei diesem Thema, ähnlich bei der Grundrente, stärker anerkannt und honoriert werden, immerhin haben wir alle diese Fortschritte gegen einen oft schwierigen, eher blockierenden Koalitionspartner erreicht. Sie werden mir vermutlich zustimmen, dass die SPD sich hierbei wie bei vergleichbaren sozialen Themen de facto weitaus stärker engagiert hat als etwa CDU und CSU. Da wäre es nun doch folgerichtig, dass nun alle Betroffenen die SPD wählen, um uns möglichst stark zu machen und möglichst viele unserer sozialen und nachhaltigen Positionen durchzusetzen. In diesem Sinne hoffe ich, bei allem Verständnis, dass Sie weitergehende Lösungen wünschen, auf Ihre Unterstützung!
Mit freundlichen Grüßen
Timon Gremmels MdB