Frage an Timon Gremmels von Martina B. bezüglich Energie
Sehr geehrter Herr Gremmels,
meine Familie macht sich große Sorgen bezüglich des Kohleausstiegsgesetzes. Konkret geht es uns um den §42, der aus dem Kohleausstiegsgesetz mehr ein KohleEinstiegsgesetz macht. Nach §42 wäre es unter anderem möglich, Kohleabnahmegarantien abseits der von der Kohlekommission bewilligten Menge zu vereinbaren, die Kohleindustrie wird fälschlicherweise als "energiewirtschaftlich notwendig" deklariert und damit und am schlimmsten, es wird der Abschluss von öffentlich-rechtlichen Verträgen mit den Energieunternehmen ermöglicht, die am Ende unkündbar, intransparent und sehr sehr teuer (4 Milliarden Euro) für die kommenden Generationen sein werden.
Warum wollen Sie exklusiv mit RWE einen Vertrag zur Kohleförderung in Garzweiler II bis 2038 abschließen, wie der neue §42 des Kohleausstiegsgesetztes, wenn dieses beschlossen wird, das erlauben würde, anstatt den Ausbau der erneuerbaren Energien zu fördern und alles daran zu setzen, die 1,5°-Grenze einzuhalten?
Vielen Dank für Ihre Antwort und besorgte Grüße
M. B.
Sehr geehrte Frau Bonertz,
haben Sie vielen Dank für Ihre Abgeordnetenwatch-Anfrage zum Kohleausstieg, die ich gerne beantworte.
Mit der Energiewende hat sich Deutschland ein großes Ziel gesetzt: eine grundlegende Umstellung der Energieversorgung – weg von nuklearen und fossilen Brennstoffen, hin zu regenerativen Energien. Deutschland ist eines der wenigen Länder überhaupt – und das weltweit erste und bislang einzige – Industrieland, das verbindlich sowohl aus der Kernenergie als auch aus der Kohleenergie aussteigt. Dieser Transformationsprozess bringt wesentliche Veränderungen mit sich: in der Energiewirtschaft, aber auch in Gesellschaft und Wirtschaft.
Für ein so wichtiges Generationenprojekt müssen alle an einem Strang ziehen. Deshalb hatte die Bundesregierung die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ (KWSB) – die sog. Kohlekommission – eingesetzt, die aus ganz unterschiedlichen Akteuren aus Politik, Wirtschaft, Umweltverbänden, Gewerkschaften sowie betroffenen Ländern und Regionen bestand. Ihr Ziel war es, die unterschiedlichen Interessen auszugleichen und einen breiten gesellschaftlichen Konsens über die Gestaltung des energie- und klimapolitisch begründeten Kohleausstiegs und des damit verbundenen Strukturwandels in Deutschland herzustellen.
An ihren Empfehlungen wollen wir uns orientieren: Wir berücksichtigen die energiepolitischen und -wirtschaftlichen Aspekte und nehmen zugleich die betreffenden Regionen und die Beschäftigten in den Blick. Wir schaffen einen umfassenden Ausgleich: Zwischen Wirtschaft, Arbeit und Umwelt, zwischen Ost und West, zwischen Kraftwerksstandorten, Kohleregionen und einem ambitionierten Klimaschutz.
Entsprechend den Empfehlungen der Kohlekommission ist vorgesehen, die Kohlekraftwerkskapazitäten bis Ende 2022 von heute mehr als 40 Gigawatt (GW) auf dann noch 30 GW zu reduzieren. Die ersten Stein- und Braunkohlekraftwerke sollen dafür noch in diesem Jahr abgeschaltet werden. In den Jahren 2026, 2029 und 2032 soll zudem geprüft werden, ob alle nach 2030 vorgesehenen Stilllegungen und das Abschlussdatum um drei Jahre vorgezogen werden können. Schon heute ist jedoch klar: Spätestens im Jahr 2038 wird auch das letzte Kohlekraftwerk vom Netz gehen müssen.
Bei den Steinkohlekraftwerken sollen die Kraftwerksbetreiber in den ersten Jahren Stilllegungsprämien erhalten, deren Höhe mit Hilfe von marktlichen Ausschreibungen ermittelt wird. Die Kraftwerksbetreiber müssen also in einen Wettbewerb um die Entschädigung treten: Diejenigen Kraftwerksbetreiber, die die niedrigsten Entschädigungszahlungen verlangen, erhalten den Zuschlag für eine entschädigte frühzeitige Stilllegung. Diejenigen Kraftwerksbetreiber, die in den Ausschreibungen zu hohe Entschädigungszahlungen einfordern, müssen im weiteren Verlauf mit einer ordnungsrechtlichen – das heißt entschädigungslosen – Zwangsstilllegung rechnen. Konkret heißt das, dass wir die vorgezogene Stilllegung von Steinkohlekraftwerken finanziell belohnen, wohingegen länger laufende Kraftwerke zu einem späteren Zeitpunkt ordnungsrechtlich und ohne Entschädigung zwangsabgeschaltet werden. Das Ziel dieser – auch von der Kohlekommission empfohlenen – wettbewerblichen Ausschreibungslösung ist es, bei möglichst geringen Entschädigungszahlungen möglichst viele CO2-Emissionen zu vermeiden.
Bei den Braunkohle-Kraftwerken stellt sich die Lage jedoch anders dar: Aufgrund des dazugehörigen Tagebaus ist eine Ausschreibungslösung wie bei den Steinkohlekraftwerken schlicht nicht praktikabel. Aus diesem Grund hat auch die Kohlekommission empfohlen, mit den Kraftwerksbetreibern der Braunkohlekraftwerke eine Verhandlungslösung anzustreben und herbeizuführen. Die Entscheidung für eine Verhandlungslösung mit den Braunkohle-Kraftwerksbetreibern wurde also auch von den Umweltverbänden Greenpeace, Deutscher Naturschutzring oder dem BUND mitgetragen.
Zur Stilllegung der Braunkohlekraftwerke wurden deshalb Gespräche mit den Betreibern geführt, deren Ergebnisse in die zwischen Bund und Ländern erzielte Einigung über einen Stilllegungspfad der Braunkohlekraftwerke eingeflossen sind. Zur Fixierung des vereinbarten Pfades enthält der Kohleausstiegsgesetz eine Ermächtigung der Bundesregierung, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit den Kraftwerksbetreibern zu unterzeichnen. Die Stilllegung ist mit direkten Entschädigungszahlungen des Bundes i.H.v insgesamt 4,35 Mrd. € an die Kraftwerksbetreiber verbunden.
Der öffentlich-rechtliche Vertrag mit den Braunkohlekraftwerksbetreibern, den die Bundesregierung vollständig und ungeschwärzt veröffentlicht hat und dem auch der Deutsche Bundestag noch zustimmen muss, verhindert einen früheren Kohleausstieg – anders als teilweise kolportiert – ausdrücklich nicht. Wenn der Ausstieg, wie von der Kohlekommission als Option gefordert, um drei Jahre vorgezogen wird, steht den Unternehmen auch keine höhere Entschädigung zu. Politische Maßnahmen, die die Kohleverstromung weniger wirtschaftlich machen, ein höherer CO2-Preis etwa oder ein schnellerer Ausbau der erneuerbaren Energien, bleiben selbstverständlich weiterhin möglich.
Auch vor dem Hintergrund der aktuell in der Diskussion stehenden Verschärfung der europäischen Klimaziele glaube ich persönlich, dass der Kohleausstieg in Deutschland weit vor dem Jahr 2038 abgeschlossen werden kann. Das Kohleausstiegsgesetz jedenfalls wird genau das ermöglichen: In den parlamentarischen Verhandlungen habe ich mich erfolgreich dafür eingesetzt, dass die Unternehmen ihre Kraftwerke auch vor den gesetzlichen Stilllegungsterminen abschalten können, etwa wenn ein wirtschaftlicher Weiterbetrieb schlicht nicht mehr möglich ist.
Im Übrigen enthält der öffentlich-rechtliche Vertrag zahlreiche harte Vorgaben zur bergrechtlichen Verantwortung der Braunkohleunternehmen: Vorgeschrieben wird eine "Sicherung der Entschädigungszahlungen für die Kosten der Wiedernutzbarmachung der Tagebaue". Konkret heißt das, dass sich die Unternehmen ihrer Verantwortung auch nicht durch die vorzeitige Schließung von Kraftwerken oder gar eine Insolvenz entziehen können. Stattdessen müssen die Entschädigungszahlungen explizit auch dafür genutzt werden, die durch den Tagebau verwüsteten Landschaften zu rekultivieren und wieder nutzbar zu machen. Ebenfalls festgelegt wird, dass der Hambacher Forst erhalten bleiben muss.
Das Kohleausstiegsgesetz und den öffentlich-rechtlichen Vertrag mit den Braunkohlekraftwerksbetreibern bewerte ich daher ähnlich wie Kai Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzringes und einer der größten Kritiker innerhalb der damaligen Kohlekommission: „Die Verträge sind besser als ihr Ruf.“ Weder wird die Kohleverstromung künstlich am Leben gehalten, noch wird ein früherer Ausstieg aus der Kohleverstromung erschwert. Im Gegenteil: Der Kohleausstieg kann nun deutlich früher kommen, als die Kohlekommission noch vor zwei Jahren ahnen konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Timon Gremmels