Frage an Thorsten Frei von Hedwig H. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Frei,
in Ihrer Funktion als Mitglied des Verbraucherschutzausschusses frage ich Sie, ob in Arzneien, Therapeutika etc. die Verwendung von menschlichen Körperbestandteilen (Geweben) ausdrücklich gekennzeichnet ist bzw. gekennzeichnet werden muss?
Die Menschheit bewies seit jeher bizarren Erfindungsreichtum, auch was die Verarbeitung der Körper anging, so dieser Artikel in der Welt https://www.welt.de/geschichte/article192138161/Todesstrafe-Fett-von-Hingerichteten-begehrtes-Mittel-gegen-Rheuma.html .
"..den Delinquenten beispielsweise nach ihrem Tod Körperfett entnommen. Es galt, wie der Historiker Peter Schuster in seiner „Geschichte des Tötens“ über „Verbrecher, Opfer, Heilige“ schreibt, als „wirksames Mittel gegen Rheuma und Hautkrankheiten“. In die gleiche Kategorie fallen Essenzen aus „Schädelmoos“, wozu etwa Haare und Fingernägel gerechnet wurden. Auch den Händen Hingerichteter schrieb man magische Wirkungen zu. Diebe führten die mit Salz und Urin konservierten Extremitäten bei sich, um sozusagen wie von Zauberhand Türen zu öffnen."
Ich möchte unter keinen Umständen mit irgendwelchen heutigen Therapeutika oder Medikamenten etc. in Berührung kommen, die aus Menschen hergestellt wurden.
Gibt es eine Onlinedatenbank über die Informationen dazu abgerufen werden können?
Müssen Mediziner den Patienten auf diese Dinge hinweisen bzw. ist eine gesetzliche Hinweispflicht von Ihrer Seite aus geplant?
Besten Dank.
Mit freundlichen Grüßen
H. H.
Sehr geehrte Frau Huber,
die von Ihnen aufgeworfenen Fragen betreffen zwar auch den Verbraucherschutz, im Kern unterliegen sie aber dem Regelungsbereich der Gesundheitspolitik. Dies vorab zur richtigen Einordnung.
Für Ihre Haltung in der Sache habe ich im Sinne eines selbstbestimmten Lebens großes Verständnis. Allerdings ist für mich auch klar, dass das von Ihnen angerissene Beispiel heute so nicht mehr denkbar ist, sondern schlicht einer anderen Zeit entstammt. Unabhängig davon versuche ich nachfolgend Ihre Fragen zu beantworten. Die Antworten beziehen sich nicht nur auf klassische Gewebezubereitungen nach dem Arzneimittelgesetz, sondern auch auf Arzneimittel, bei denen für Anwenderinnen und Anwender und Patientinnen und Patienten nicht erkennbar ist, dass sie menschliche Bestandteile als Wirkstoffe und/oder Hilfsstoffe und/oder Ausgangsstoffe enthalten.
Informationen zu Stoffen oder arzneilich wirksamen Bestandteilen können über das Portal PharmNetBund (www.pharmnet.bund.de) abgerufen werden.
Die Inhalte einer ordnungsgemäßen Aufklärung durch die behandelnde Ärztin bzw. den behandelnden Arzt und das Erfordernis einer spezifischen Aufklärung über etwaige humane Bestandteile des Arzneimittels unabhängig von einem besonderen Risiko (z. B. Risiken der Übertragung von Infektionskrankheiten vom menschlichen Spender auf die Empfängerin bzw. den Empfänger bei einer Transfusion oder Transplantation) richten sich nach der ärztlichen Behandlung und der dafür geltenden Sorgfaltspflichten im Einzelfall. Ihnen steht aber natürlich ein Frage- und Auskunftsrecht zu im Sinne eines Arzt-Patienten-Gesprächs auf Augenhöhe zu.
Neben den klassischen Gewebezubereitungen (z. B. Augenhornhäute) gibt es zahlreiche Arzneimittel, bei denen menschliche Körperbestandteile als Wirkstoffe, Hilfsstoffe oder sonstige Bestandteile eingesetzt werden. Insgesamt handelt es sich um ca. 3.000 Arzneimittel. Im Wesentlichen lassen sich folgende Gruppen unterscheiden:
• Arzneimittel, die Wirkstoffe oder Hilfsstoffe enthalten, die aus menschlichem Ausgangsmaterial gewonnen werden (z. B. aus Urin gewonnene Stoffe, Stuhltransplantate, albuminhaltige Arzneimittel, Nosoden), • Blutzubereitungen und humane Seren, • Menschliche Zellen, die zur Herstellung eines Wirkstoffes eingesetzt werden wie z.B. alle zellbasierten Arzneimittel für neuartige Therapien (Advanced Therapy Medicinal Product, ATMP), • Viele ATMPs basieren auf autologene Zellen, die mittels Biopsie oder Blutzellspende bei einer Person entnommen und anschließend bearbeitet werden und z. B. zur Regeneration von Knorpelgewebe oder der Augenhornhaut oder auch zur Behandlung von bestimmten Tumorerkrankungen (GAR-T-Zelltherapie) bei derselben Person angewendet werden. Auch allogene Zellen werden verwendet.
• Bestandteile, die aus menschlichem Blutplasma gewonnen werden (z. B. Serumalbumin, das als Hilfsstoff eingesetzt wird u. a. bei verschiedenen Allergenprodukten o-der ATMPs).
Die gesetzlichen Anforderungen an die Herstellung und Kennzeichnung von Fertigarzneimitteln sind im Arzneimittelgesetz (AMG) und der Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung (AMWHV) festgelegt.
Das Arzneimittelrecht sieht grundsätzlich keine besondere Hinweispflicht dahingehend vor, dass allein aufgrund der Verwendung von Bestandteilen menschlicher Herkunft eine Kennzeichnungspflicht besteht (Ausnahme: § 15 Abs. 5 AMWHV). Allerdings sind Informationen über die Zusammensetzung der Arzneimittel in der Kennzeichnung, Packungsbeilage und/oder in der Fachinformation enthalten, somit ist auch die Identifizierung menschlicher Bestandteile möglich.
Kennzeichnung und Angaben in der Gebrauchs- und Fachinformation von Fertigarzneimitteln:
Diese richtet sich nach nationalen Vorgaben (§§ 10 ff. AMG) bzw. für zentral in ganz Europa zugelassene Arzneimittel nach europäischen Regelungen (Artikel 11, 54 ff. der Richtlinie 2001/83/EG i. V. m. der Verordnung (EG) Nr. 726/2004). Für im zentralisierten Verfahren zugelassene ATMPs sind die speziellen Vorgaben der Anhänge II bis IV der Verordnung (EG) Nr. 1394/2007 zu berücksichtigen. Darüber hinaus sind für die Kennzeichnung spezifische und ergänzende Leitlinien heranzuziehen. Die biologische Herkunft des Wirkstoffs wird grundsätzlich immer kenntlich gemacht, z. B. mittels der Angabe „hergestellt aus dem Plasma humaner Spender“. Hinweise auf Überempfindlichkeiten bezüglich des Wirkstoffes oder der sonstigen Bestandteile ebenso wie ggf. entsprechende Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen sind in der Fachinformation aufzuführen.
Angaben auf dem Behältnis/ggfs. der äußeren Umhüllung eines (Fertig-)Arzneimittels:
Sie enthält die Nennung der Wirkstoffe nach Art und Menge. Der Wirkstoff kann somit bei bestimmten Arzneimitteln, wie beispielsweise Immunglobulinen oder Blutprodukten, bereits Hinweise auf die Herkunft enthalten (z. B. „human normal Immunoglobulin“ oder „Immunglobulin vom Menschen“, „menschlicher Blutgerinnungsfaktor IX“). Für gentechnologisch gewonnene Arzneimittel sind nach dem AMG die Bezeichnung des bei der Herstellung verwendeten gentechnisch veränderten Organismus oder der Zelllinie (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8a AMG), sowie für Sera und Virusimpfstoffe die Angabe der Art des Lebewesens, aus dem das Serum gewonnen wird, bzw. des Wirtssystems, das zur Virusvermehrung gedient hat (§ 10 Abs. 3 AMG), anzugeben.
Bei bestimmten Arzneimittelgruppen, bei denen menschliche Bestandteile als Wirkstoff enthalten sind, ist der humane Ursprung direkt aus der Arzneimittelbezeichnung zu erkennen.
• So ist z. B. bei fast allen genehmigten oder zugelassenen klassischen Gewebezubereitungen (z. B. Augenhornhäute, Amnion, Herzklappen, Gefäße, Knochenpräparationen, Haut) der humane Ursprung direkt aus der Arzneimittelbezeichnung ersichtlich, d. h. der Begriff „Human“ ist Bestandteil des Arzneimittelnamens. In den Gebrauchs- und Fachinformationen aller Gewebezubereitungen findet sich ein entsprechender Hinweis auf ein „Transplantat humanen Ursprungs“.
• Auch bei einer Vielzahl der Blutkomponenten und hämatopoetischen Stammzellen zur Rekonstitution des Knochenmarks und der zellulären Blutbestandteile ist der Begriff „Human“ Bestandteil der Arzneimittelbezeichnung (Beispiele s. Anlage 1 Buch-stabe B 2). Die humane Herkunft des jeweiligen Wirkstoffs wird aus der Gebrauchs- und Fachinformation ersichtlich.
Sonstige Bestandteile werden bei Arzneimitteln zur parenteralen oder topischen Anwendung in die Kennzeichnung aufgenommen und sind im Übrigen in der Gebrauchs- und Fachinformation aufgelistet (siehe auch unter a.)
Ausnahmen, Sondervorschriften, Einzelfälle:
Ausnahmen kann es bei Arzneimitteln in Durchdrückpackungen und bei kleinen Behältnissen geben, bei denen aus Platzgründen auf bestimmte Angaben in der Kennzeichnung verzichtet werden kann (vgl. § 10 Abs. 8 AMG). Die Angaben in der Gebrauchs- und Fachinformation bleiben davon unberührt. Sondervorschriften zur Kennzeichnung gibt es für Frischplasmazubereitungen, zelluläre Blutzubereitungen sowie Gewebezubereitungen und ATMP i.S.v. § 4b AMG, die sich aus ihrer besonderen Natur ergeben (vgl. § 10 Abs. 8a und 8b AMG sowie § 31 Abs. 8a, § 36 Abs. 8 AMWHV). Die aus Urin gewonnenen Stoffe sind Reinstoffe, die keine Gewebereste enthalten. Bei Fäkalen Mikrobiotika-Transplantationen (FMT) erfolgt im Rahmen der Anwendung der Hinweis auf die Herkunft des Materials. Albumin enthält in der Regel einen Hinweis auf die Herkunft. Bei Nosoden aus menschlichem Ausgangsmaterial ist dieses meist aus dem Namen des Arzneimittels erkennbar.
Für Arzneimittel, die keine Fertigarzneimittel sind, gelten nach der AMWHV und der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) besondere Vorgaben zur Kennzeichnung. Für die Kennzeichnung von Produkten menschlicher Herkunft sieht § 15 Abs. 5 AMWHV die Aufnahme des Hinweises „menschlicher Herkunft“ auf den Behältnissen und, soweit verwendet, den äußeren Umhüllungen vor.
Mit freundlichen Grüßen
Thorsten Frei