Frage an Thorsten Frei von Heike R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Frei,
ich lese:
..Griechischen Medien zufolge kam es über dem Ägäischen Meer allein in diesem Jahr rund 1600 Mal zu Verletzungen des griechischen Luftraums seitens der Türkei
Quelle: http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/4877558/Tsipras-an-Turkei_Zum-Gluck-sind-unsere-Piloten-nicht-so-nervos?direct=4877917&_vl_backlink=/home/politik/aussenpolitik/4877917/index.do&selChannel=&from=articlemore
...Türkische Luftwaffe bombardiert Dorf im Nordirak...
Quelle: http://www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-gegen-pkk-luftwaffe-bombardiert-dorf-im-nordirak-a-1046313.html#
...Türkei fliegt Luftangriffe auf kurdische Stellungen in Syrien...
Quelle: http://www.heise.de/tp/artikel/46/46399/1.html
...Experten sehen bei der Lösung der Syrienkrise schon seit längerem die Türkei als Problemland an. Ankara gilt den großen westlichen Playern als unsicherer Spieler. Zu sehr versuchen die Türken, ihre eigenen Interessen durchzusetzen. "Manchmal hat man den Eindruck, sie kämpfen mehr gegen die Kurden als gegen den IS", sagte ein westlicher Diplomat der Deutschen Presse-Agentur....
Quelle: http://www.stern.de/politik/ausland/russischer-bomber-in-syrien-abgeschossen--nutzt-der-abschuss-der-tuerkei--6573680.html
Sehr geehrter Herr Frei, wie kann man mir verständlich erklären, dass sich die NATO demonstrativ hinter die Türkei stellt, die auf syrischen Gebiet den Russen abgeschossen hat? Wie können Sie mir gleich verständlich klar erklären, weshalb die Türken den Luftraum anderer Länder massivst und ständig verletzen (quellen s.o.) und die NATO dazu gar nichts sagt oder unternimmt?
Im ersten Weltkrieg war ein Attentat Anlass zur Entfesselung des Krieges; Jetzt scheinen mir die Türken ein mieses Spiel zu liefern; Weshalb arbeitet die NATO mit einem Land wie der Türkei zusammen, wo Menschenrechte getreten und demokratische Journalisten verfolgt werden?
Weshalb wird ständig so einseitig Putin als Agressor dargestellt? Gibt es nur "schwarz" oder "weiss"
Heike Rogall
Sehr geehrte Frau Rogall,
haben Sie vielen Dank für Ihre Fragen, zu denen ich gerne Stellung beziehe.
Zunächst einmal darf ich feststellen, dass die Lage gerade mit Blick auf die Eskalation zwischen Russland und der Türkei sehr verfahren ist. Die Meinung und angebliche Beweise beider Länder stehen sich diametral gegenüber. Ich maße mir nicht an, die Echtheit einzelner Quellen und Aussagen abschließend zu bewerten. In diesem Zusammenhang erachte ich es auch als problematisch, lediglich auf Sekundärquellen zu verweisen.
Dennoch ist es nunmal eine Tatsache, dass die Türkei Mitglied der NATO ist und Russland eben nicht. Folglich stehen wir in diesem Verteidigungsbündnis beieinander, auch wenn wir ein sehr großes Interesse an Deeskalation haben. Diesen Beistand würden wir im Umkehrschluss unabhängig von Schuldfragen auch erwarten.
Wegen dieser NATO-Mitgliedschaft glaube ich im Übrigen auch nicht, dass der Überflug bspw. über Griechenland ein großes Problem darstellen kann, da die Zusammenarbeit in der Allianz gut funktioniert.
Unabhängig davon gebe ich Ihnen Recht, dass es in der Türkei viele große Probleme im Bereich der Rechtstaatlichkeit gibt, die nicht mit unseren Freiheits- und Wertevorstellungen korrespondieren. Gerade in den letzten Monaten gibt es tendenziell eher Rück- als Fortschritte. Das hat erst kürzlich auch die EU-Kommission in ihrem jährlichen Fortschrittsbericht unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Auch die Bundesregierung bzw. der Bundestag bringen diese Probleeme regelmäßig zum Ausdruck. Folglich ist die EU-Perspektive der Türkei aus meiner Sicht derzeit unter den rechtstaatlichen Bedingungen fragwürdig.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Türkei ein Schlüsselland in der Flüchtlingskrise ist. Ohne das Wohlwollen Ankaras wird der Migrationsdruck auf die EU nicht abnehmen. Folglich müssen wir zum Dialog und auch zu Konzessionen bereit sein. Politik bedeutet immer Kompromiss. Wegen unser eigenen Herausforderungen, die im Moment vor allem in der Reduzierung der Flüchtlingsströme liegen, haben wir ein großes natürliches Interesse mit der Türkei zusammenzuarbeiten. Zumal der Dialog und die Zusammenarbeit immer der beste Weg für die Verbesserung der Zustände sind.
Apropos Interessen: Natürlich scheint die Türkei auch im Umgang mit dem IS oder den Kurden eine eigene, oft zweideutig erscheinende Agenda zu verfolgen. In einem Kriegsgebiet kann Außenpolitik aber nicht nur diplomatisch erfolgen, zumal dort de facto kein Staat bzw. viele nicht-staatliche Akteure existieren.
Dennoch haben auch wir ein Interesse, dass sich die Lage zwischen Moskau und Ankara schnell wieder beruhigt und es die internationale Gemeinschaft gemeinsam mit Russland schafft, auf eine Lösung in Syrien hinzuarbeiten.
Mit freundlichen Grüßem
Thorsten Frei