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Thomas Strobl
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Frage von Frank B. •

Frage an Thomas Strobl von Frank B. bezüglich Raumordnung, Bau- und Wohnungswesen

Sehr geehrter Herr Strobl,

es wäre sehr entgegenkommend von Ihnen mir mitzuteilen, welcher Geistesblitz sie zu der Erkenntnis gebracht hat "Dieses Projekt ist nicht durch Basta entschieden worden, sondern durch einen 15-jährigen Prozess" (nachzulesen auf http://www.n-tv.de/politik/Geissler-geraet-in-die-Schusslinie-article1740756.html).

Aus meiner bescheidenen Erfahrung weiß ich, dass eine langwierige Entscheidung manchmal falsch sein kann. Und die wahre Größe eines Menschen darin liegt Fehler einzugestehen. Ich hoffe innigst, dass auch sie (hoffentlich bald) zu dieser Erkenntnis gelangen werden.

Mit freundlichen Grüßen

Frank Bauermeister

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Bauermeister,

auch wenn Ihre Wortwahl mich zweifeln lässt, ob Sie meine Ansicht wirklich hören wollen, teile ich sie Ihnen dennoch gerne mit. Immerhin gibt mir Ihre Frage die Gelegenheit, darzustellen, wie es zu S 21 gekommen ist. Der mehr als 15-jährige Prozess, von dem ich sprach, ist keine Fama, sondern Realität. Tatsächlich wurde bisher kaum ein Großprojekt in Deutschland so lange verhandelt und so sorgfältig vorbereitet wie Stuttgart 21. Von einer Hau-Ruck-Entscheidung, die von Gegnern heute immer wieder behauptet wird, kann also keine Rede sein.

Hier die Chronik des Projekts (konzentriert auf die wichtigsten Etappen):

Die Planungsgeschichte von Stuttgart 21 reicht bis ins Jahr 1985 zurück: Die Bahn begann damals mit dem Ausbau von Hochgeschwindigkeitsstrecken. In diesem Rahmen sollte auch die Trasse von Stuttgart nach Ulm ausgebaut werden. Die Bahn wollte für den Fernverkehr einen Bahnhof außerhalb der Innenstadt bauen. Der Bahnverkehr wäre damit an der Innenstadt vorbeigefahren. Der Gemeinderat von Stuttgart hat dies seinerzeit heftig kritisiert. Als Sprachrohr und alleiniges demokratisch legitimiertes Organ der Stuttgarter Bevölkerung wandte sich der Rat 1992 eigens mit einer Resolution an die Bahn, in der diese dazu aufgefordert wurde, dem Volkswillen zu entsprechen und einen Tunnelbahnhof zu bauen (also gerade das, was die Protestierer von heute als dem Volkswillen entgegengesetzt bezeichnen).

Diese Resolution wurde einstimmig verabschiedet, stieß also selbst bei Bündnis 90 / Die Grünen auf keinen Widerspruch, die sich heute als Opponenten der ersten Stunde gerieren. Dass sie dies nachweislich nicht waren, wirft kein gutes Licht auf ihr Erinnerungsvermögen (von bewusster Unehrlichkeit aus wahltaktischen Gründen will ich an dieser Stelle gar nicht reden). In dieser Resolution heißt es wörtlich (und ich bitte, auf den ultimativen Ton der Formulierung zu achten, der typisch für den Duktus der Grünen sein könnte):

„Der Gemeinderat der Landeshauptstadt Stuttgart fordert daher den Vorstand der Deutschen Bundesbahn auf, sich unverzüglich und unmißverständlich auf eine Unterfahrung des Stuttgarter Hauptbahnhofs für den Personenschnellverkehr festzulegen und damit dem wichtigsten Unternehmensziel der Deutschen Bundesbahn gerecht zu werden, die Attraktivität des schienengebundenen Personenverkehrs zu steigern.“ (25.06.1992)

Es war also gerade „Vox Populi“, die damals die Planer der Bundesbahn zu einer Tunnellösung drängte, von der die Grünen heute behaupten, sie sei der Arroganz der Bahn-Gewaltigen selbst entsprungen. So kann man Ursache und Wirkung natürlich auch verdrehen, wenn die eigene Ideologie oder parteipolitische Machtinteressen es erfordern.

Doch zurück zur Chronik der Ereignisse: Auch nach 1992 wurden die demokratischen Organe in die Entscheidungsfindungen fest eingebunden. Über 200 Mal stand Stuttgart 21 auf der Tagesordnung des Gemeinderats. Rund 10.000 Bürger haben sich im Rahmen der Planfeststellungsverfahren mit ihren Positionen eingebracht. Am 7.11.1995 stimmte der Gemeinderat deshalb in der Gewissheit reiflicher Überlegung und mehrjährigen Vorlaufs der Rahmenvereinbarung S 21 zu. Die Regionalversammlung, die zuvor schon (am 01.03.1995) ohne Gegenstimme (bei einer Enthaltung) das Projekt ebenfalls befürwortet hatte, erklärte am 16.02.2000 ihre finanzielle Beteiligung. Am 24.07.2001 stimmte der Stuttgarter Gemeinderat der Realisierungsvereinbarung zu. Der Landtag fasste seinen entsprechenden Grundsatzbeschluss am 12.10.2006. Und der Bundestag schließlich votierte am 28.11.2008 mit großer Mehrheit (unter Einschluss der Stimmen der SPD) für S 21. So lief also alles in geregelten Bahnen, die ein auf Volkssouveränität gründender Rechtsstaat mit transparentem Instanzenweg vorsieht. Kein Grund also, den demokratischen Grundcharakter des gesamten Vorgangs auch nur im Ansatz in Zweifel zu ziehen.

Ihre zweite Behauptung, auch langwierige Entscheidungen könnten sich als falsch erweisen, ist natürlich richtig. Der Punkt ist nur der, dass sich im Falle von S 21 die Sachlage trotz Überlänge der Planungsdauer (die gerade eine Folge der demokratischen Verfahrensregeln und damit ein Beweis für die Bürgerbeteiligung am Projekt ist) nicht wesentlich geändert hat.

Die von Ihnen zu Recht angemahnte menschliche Größe, einen Fehler einzugestehen, setzt voraus, einen Fehler gemacht zu haben. Wir sind aber von der Notwendigkeit des Projekts nach wie vor ganz überzeugt. Dabei respektiere ich andere Auffassungen. Nicht respektieren kann ich, wenn eine Seite sich für moralisch überlegen hält und glaubt, in pseudo-religiöser Pose angemaßter Rechtschaffenheit der Notwendigkeit überhoben zu sein, auf Irrtümer anders als mit der frommen Entgegnung zu reagieren, es doch gut gemeint zu haben.

Und so wird es wohl auch im aktuellen Fall S 21 dazu kommen, dass in einigen Jahren Grünen-Anhänger wie selbstverständlich jenen Tunnel-Bahnhof in Stuttgart als bequemen Ausgangspunkt für Reisen nutzen werden. Daran freilich möchten dann weder die Grünen noch andere heutige Gegner mehr erinnert werden, hatten sie es doch - wieder mal - nur gut gemeint!

Mit freundlichen Grüßen

Thomas Strobl MdB