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Thomas Kleineidam
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Frage von Frank P. •

Frage an Thomas Kleineidam von Frank P. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Kleineidam,

als "Neu-Spandauer" (seit 1999 hier wohnhaft), habe ich in den letzten Jahren eine schleichende Veränderung des allgemeines Strassenbildes erlebt und tolleriert. Eine stendig wachsende Zahl weiblicher Mitbürgerinnen verlässt offensichtlich ihren Platz in unserer Gesellschaft und unterstreicht dieses auch offensiv durch entsprechende Kleidung.
Am letzten Wochenende waren meine Eltern (beide Berliner aus dem 30´er Jahrgang) wieder mal bei mir zu Besuch, der allerdings sehr kurz ausfiel, da sie sich, noch im Laufe eines Spaziergangs an der Havel, zur sofortigen Heimfahrt (Berlin-Zehlendorf) mit Tränen in den Augen und den Worten: "na dann bleib du mal hier in Teheran wohnen ..." entschlossen.
Ich möchte unterstreichen, dass sowohl meine Mutter wie auch mein Vater (von beiden wurden in den 40´er Jahen, Familienangehörige wg. Mitgliedschaft in der KP im KZ ermordet), nicht rechtsorientiert sind und auch in den letzten Jahren ihres Lebens nicht zu extremen Positionen neigen werden.
Aber dieser Moment hat in mir die Frage ausgelöst, welche Rolle Gesellschaftspolitik in unserem Zusammenleben spielen kann und soll.

In der Hoffnung und Erwartung Ihrer Antwort verbleibe ich
MfG Frank Pergande

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Pergande,

in Ihrer Frage beschreiben Sie zutreffend, dass auch in Berlin eine steigende Anzahl muslimischer Frauen traditionelle, religiös motivierte Bekleidung trägt. Offensichtlich wenden sich auch in Europa wieder mehr Muslime einem konservativen Islam zu, als das noch vor einigen Jahren der Fall war. Und zwar auch Männer, nicht nur Frauen.
Die Ursachen dafür sind sicherlich vielfältig. Die weltpolitische Lage im Nahen Osten, Iran und Irak, islamistisch motivierte Terroranschläge, aber auch die ausländerfeindlich motivierte Ausgrenzung von Muslimen in unserem Land verunsichern viele Menschen und lassen sie nach Orientierung und Perspektiven suchen. Ich glaube, gerade sehr verunsicherte Menschen sind für konservative, teils auch fundamentalistische Ideen anfällig, weil diese in der Regel einfache Lösungen anbieten.
Der Islam begegnet uns in Deutschland in sehr unterschiedlichen Ausprägungen. Wie übrigens auch andere Religionen. Ich habe allerdings erhebliche Zweifel an Ihrer Interpretation nach der eine verhüllende Kleidung stets gleichbedeutend mit einem Verlassen der Gesellschaft sei. Dazu kenne ich zu viele Muslima, die ein Kopftuch tragen, aber sehr wohl ihren Platz in unser Gesellschaft z.B. am Arbeitsplatz, in einer Ausbildung oder einen Studium einnehmen bzw. einnehmen wollen. Mir ist auch bewußt, dass eine verhüllende Kleidung auf viele Menschen westlicher Prägung bedrohlich wirkt. Das von Ihnen geschilderte Beispiel scheint das zu bestätigen.
Aber wie sollen Menschen unterschiedlicher religiöser Überzeugung zusammenleben und zueinander finden, wenn das "Andere" als Bedrohung empfunden wird, wenn Ängste entstehen. Meiner Überzeugung nach ist das eine der wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen der nächsten Jahre. In Berlin leben Menschen mit unterschiedlichsten religiösen Überzeugungen und viele Menschen ohne jeden religiösen Bezug. 200.000 Muslime stellen die drittgrößte Glaubensgemeinschaft nach der evangelischen und der katholischen Kirche. In wenigen Jahren wird es in Berlin voraussichtlich mehr Muslime als Katholiken geben. 40 % der unter 18-Jährigen haben einen Migrationshintergrund.
Diese Beschreibung mag einem gefallen oder auch nicht. Das ist die Berliner Realität! Und daraus müssen wir im Interesse aller das Beste machen. Wichtig ist der Dialog, das Gespräch miteinander. Nur so können Ängste ab- und ein Miteinander aufgebaut werden. Ich begrüße deshalb z.B. ausdrücklich die Einladung der muslimischen Gemeinden an alle Berlinerinnen und Berliner zur Teilnahme am Freitagsgebet dieser Woche, das dem Gedenken an die Opfer des Anschlages auf das World-Trade-Center am 11. September 2001 gewidmet ist.

Mit freundlichen Grüßen
Thomas Kleineidam