Frage an Thomas Feist von Rene U. bezüglich Kultur
Sehr geehrter Herr Dr. Feist,
Sie sind Abgeordneter meines Wahlreises und ich würde Ihnen gerne über abgeordnetenwatch eine Frage stellen.
Da ich aber sehe, dass Sie bisher keine der Fragen beantwortet haben, würde ich diese umformulieren:
Können Sie mir einen Grund nennen, warum Sie die Fragen besorgter Bürger, die sie teilweise bestimmt auch gewählt haben, nicht beantworten?
(Ich habe die Frage daher bewusst unter die Rubrik Gesprächs-"Kultur" gestellt.)
Vielen Dank!
Mit freundlichen Grüßen
Rene Urbanski
Sehr geehrter Herr Urbanski,
vielen Dank für Ihre Frage. Ich habe mich entschlossen, die hier an mich gestellten Fragen zu beantworten. Ich möchte Ihnen gerne darlegen, warum ich das bisher nicht getan habe und warum ich meine Meinung in diesem Punkt geändert habe.
Gestatten Sie mir bitte vorher eine grundsätzliche Bemerkung: Ich habe mein Mandat im Deutschen Bundestag immer als das verstanden, was es ist: der Auftrag der Wählerinnen und Wähler, für meine Stadt Leipzig und speziell für meinen Wahlkreis Leipzig-Süd tätig zu sein. Diese Erwartung zu erfüllen, habe ich ernst genommen. Ich habe daher stets den intensiven Dialog und den Austausch mit den Wählerinnen und Wählern meines Wahlkreises gesucht. Sei es persönlich im Gespräch auf der Straße, in Bürgersprechstunden und anderen Terminen, am Telefon oder per Mail. Dabei habe ich in allen Fällen, wo ich helfen oder Auskunft geben konnte, dies auch getan. Ich bin der Auffassung, dass der direkte Kontakt zwischen Politkern und Bürgern das wichtigste ist und dass es eigentlich einer Plattform, die eine Mittlerfunktion übernimmt, nicht bedarf (zudem, weil die „Watch“-Funktion durch die zeitnahe und transparent bereitgestellten Auskünfte der Fraktionen zu persönlichem Abstimmungsverhalten und ähnlichem eigentlich obsolet ist).
Eine interessante Studie des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag ( http://www.tab-beim-bundestag.de/de/pdf/publikationen/berichte/TAB-Diskussionspapier-dp012.pdf ) fasst meine Gründe dafür recht gut zusammen. Die Verfasser kommen beispielsweise auf Basis von Benutzerdaten der Betreiber von abgeordnetenwatch.de aus dem Jahr 2007 zu folgenden Schlüssen (vgl. Seite 41 ff):
• Männer beteiligen sich mit 81 % deutlich stärker als Frauen.
• Jugendliche sind deutlich unterrepräsentiert, junge Erwachsene (20 bis 29 Jahre) deutlich überrepräsentiert.
• In Bezug auf den Bildungsstand dominieren Nutzer mit dem höchsten Bildungsabschluss (Abitur und Hochschulabschluss), wohingegen Hauptschulabsolventen und Absolventen anderer weiterführender Schulen deutlich unterrepräsentiert sind.
Die Studie zieht daher das Fazit (Seite 63 ff):
„Ob auf diese Weise vormals eher politikabstinente Gruppen der Bevölkerung an Politik herangeführt werden konnten, ist angesichts der soziodemografischen Zusammensetzung des Teilnehmerkreises allerdings zu bezweifeln“.
Unter weiter heißt es bezüglich der adressierten Abgeordneten und der Fragenverteilung:
„Zwar mag abgeordnetenwatch.de das Interesse der Bürger an den durch sie direkt gewählten Abgeordneten steigern, doch ist man hier noch von einer primären Orientierung am eigenen Wahlkreisabgeordneten entfernt: Obwohl durch den Aufbau der Plattform die Kontaktaufnahme mit dem eigenen Abgeordneten stark unterstützt wird […] verteilen die Teilnehmer ihre Fragen oft auf Abgeordnete mehrerer Bundesländer und sprechen nur in geringem Umfang Themen aus ihrem Wahlkreis an.
Ähnlich verhält es sich mit dem Ziel von abgeordnetenwatch.de, entgegen dem Trend zur medialen Inszenierung charismatischer Politikerpersönlichkeiten die Aufmerksamkeit der Bürger besser auf alle Abgeordneten zu verteilen. Zwar dürften durch abgeordnetenwatch.de bislang eher unbekannte Politiker ein neues Forum zur Darstellung ihrer Positionen gefunden haben, doch zeigt bereits die stark ungleiche Verteilung der Fragen an die Abgeordneten, dass man hier noch weit von einer Gleichverteilung entfernt ist. Auch sind unter den besonders häufig angefragten Abgeordneten vornehmlich viele prominente Abgeordnete vertreten.“
Darüber hinaus formulieren die Verfasser die Frage:
„Weiterer Klärungsbedarf besteht auch bei der Frage, ob durch die Fokussierung auf die Person der Abgeordneten nicht ein unangemessenes Verständnis von den Politikprozessen im Deutschen Bundestag vermittelt wird, das die Ebene der Fraktionen und der Ausschüsse ausblendet“ (Seite 16).
All diese Punkte haben mich zu veranlasst, bisher auf die Verwendung von Mittlerportalen zu verzichten. Ich stehe nach wie vor zu dieser Entscheidung.
Allerdings habe ich zur Kenntnis genommen, dass offensichtlich insbesondere in Wahlkampfzeiten besonderer Fragebedarf zu den politischen Zielen der Bewerber vorliegt, wobei die Fragen von einigen Bürgerinnen und Bürgern eben nicht direkt per Email an die jeweiligen Abgeordneten oder Kandidaten gesendet, sondern auf dieser Plattform gestellt werden. Um der Diskussionskultur im Allgemeinen und im Wahlkampf das nötige „Futter“ zu geben, werde ich also auch hier - im Sinne eines umfassenden Kommunikationsangebotes und als Ergänzung der bisherigen Möglichkeiten mit mir Kontakt aufzunehmen - schnell und umfassend antworten. Ich denke, dass ist in Ihrem Sinne.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Thomas Feist