Frage an Thomas Feist von Holger S. bezüglich Wirtschaft
Lieber Herr Feist,
nun antworten Sie ja nicht besonders gern auf Fragen, ich versuche es dennoch:
Ich nehme Frau Merkels "Verhandlungsergebnis" zum ausgeweiteten Rettungsschirm an diesem Wochenende zum Anlass, einmal ganz explizit zu fragen, ob Sie glauben, daß Schweden, Tschechen, Dänen, Norweger und Briten tatsächlich schlechtere Europäer sind. Diese haben ihre nationalen Währungen behalten und fahren sehr gut damit. Wenn Sie demnächst im Bundestag wieder zustimmen sollen zur neuen alternativlosen EURO-Rettung, dann möchte ich doch bitten, daß Sie alle endlich aufwachen in Ihrem bequemen Berliner Raumschiff. Ohne Gegenleistung der Schuldnerländer werden diese "gerettet" mit Milliarden Steuergeldern und niemand im Bundestag scheint endlich auf die Barrikaden zu gehen gegen das Alternativlos-Argument. Auch Ihre Partei nicht. Wissen Sie denn eigentlich, wie das Geldsystem funktioniert? Ist die Entscheidungsvorlage für die Abstimmung denn wirklich fundiert?
Sie leisten sich im Bundestag monatelange Debatten um 3,- Euro-HartzIV mehr oder weniger und winken dann Milliarden an Bürgschaften und Hilfen ohne echte Gegenleistungen/Sicherheiten an einem Nachmittag durch. So wird das ganze Parlament eine Farce und damit ist weder Europa noch dem sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft gedient.... (fassungslos).
Achso - zurück zu meiner Frage: Sind Schweden, Tschechen, Dänen, Norweger und Briten tatsächlich schlechtere Europäer, weil sie Euro und Europa auseinanderzuhalten wissen?
Viele Grüße
Holger Schack
Sehr geehrter Herr Schack,
selbstverständlich halte ich unsere europäischen Partner, die sich nicht an unserer Gemeinschaftswährung beteiligen, nicht für schlechte Europäer. Diese Länder haben eine souveräne Entscheidung getroffen, genauso wie die Länder, die dem Euro beigetreten sind.
Ich kann Ihnen auch versichern, dass meine Kollegen und ich im Deutschen Bundestag uns nicht in irgendeinem Berliner Raumschiff, abgehoben vom Rest der Bevölkerung, bewegen. Als direkt gewählter Leipziger Abgeordneter stehe ich in ständigem Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern in meinem Wahlkreis, sei es in meinen Bürgersprechstunden oder den vielfältigen Terminen, die ich in Leipzig wahrnehme. Ich bin mir der Sorgen und Nöte der Menschen vor Ort wohl bewusst. Als gebürtiger Leipziger, Familienvater, Ehemann bin ich auch ein ganz normaler Bürger, nur das ich eben auch Bundestagsabgeordneter bin. Ich kann nur betonen, dass ich mir keine der Entscheidungen zur Euro-Rettung leicht gemacht habe. Als Steuerzahler und Wähler trage ich genauso ein Risiko wie jeder andere erwerbstätige Bürger in dieser Bundesrepublik.
Wie Sie ja selbst schreiben, handelt es sich dabei um eine höchst komplexe Materie. Ich kann dabei nur immer nach besten Wissen und Gewissen und aktuellem Kenntnisstand entscheiden. Leider wird es erst die mittelfristige Zukunft zeigen, ob wir mit diesen Entscheidungen richtig liegen. Ich jedenfalls bin von der Richtigkeit der Entscheidungen überzeugt. Ich bin mir absolut sicher, dass es sich für den Erhalt des Euro und der Europäischen Union zu kämpfen lohnt. Deutschland profitiert vom Euro, weil er für Wachstum und Arbeitsplätze sorgt: Die stark exportorientierte deutsche Wirtschaft hat große Vorteile davon, dass es innerhalb des Euroraums keine Wechselkursschwankungen mehr gibt. Und die Verbraucher können sich über einen stärkeren Wettbewerb freuen, der zu größerer Vielfalt und geringeren Preisen führt. Der Euro hat zu einer Vertiefung des europäischen Binnenmarkts mit inzwischen mehr als 500 Millionen Verbrauchern geführt. Circa zwei Drittel der deutschen Exporte gehen in Länder der Europäischen Union. Millionen von Arbeitsplätzen hängen in Deutschland vom europäischen Binnenmarkt ab. Unabhängig vom ökonomischen Nutzen ist die einheitliche Währung politisch unverzichtbar. Sie ist das bislang weitreichendste Ergebnis und Bekenntnis der europäischen Integration und versetzt Deutschland als Teil des größten Binnenmarktes der Welt in die Lage, die Globalisierung mitzugestalten. Als einflussreicher Akteur in Europa hat die Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit, ihr Gesellschaftsmodell zu bewahren. Alleine wäre sie chancenlos.
Mit mir ist auch die Mehrheit der Deutschen dieser Meinung. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im April diesen Jahres sind 69 Prozent der Deutschen dafür, den Euro zu behalten, während 27 Prozent die D-Mark zurück wollen. „Die für viele nicht durchschaubare Euro-Krise ängstigt die Deutschen zwar. Die Einstellung zum Euro als Währungseinheit wird davon aber heute nicht mehr berührt“, sagte Forsa-Chef Manfred Güllner damals .
Diese Einschätzung bestätigt eine aktuelle Umfrage des Deutschlandtrends der ARD von Anfang August. Demnach erklären 76 Prozent der Bevölkerung, dass sie ihre eigene wirtschaftliche Situation als gut oder sehr gut einschätzen. Dieser hohe Wert wurde in der Geschichte der Bundesrepublik nur einmal gemessen, nämlich 1998.
Eine Studie der Bertelsmann Stiftung ( http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-3D70310B-5D6B3D30/bst/hs.xsl/nachrichten_116155.htm ) hat darüber hinaus detailliert dargestellt, in welchen großem Ausmaß Deutschland vom Euro profitiert.
„Die Studie belegt: Ohne den Euro würde das Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Deutschland jedes Jahr um rund 0,5 Prozentpunkte niedriger ausfallen. Werden die Wachstumsvorteile der Euro-Mitgliedschaft zwischen 2013 und 2025 aufaddiert, ergibt sich ein Gewinn in Höhe von fast 1,2 Billionen Euro. Dieser Wert entspricht in etwa der Hälfte der gesamten deutschen Wirtschaftsleistung des Jahres 2012.
Auch für den Bürger rechnet sich der Euro: Im Durchschnitt beträgt das Einkommensplus je Einwohner zwischen 2013 und 2025 etwa 1.100 Euro pro Jahr. Schließlich würde sich im D-Mark-Szenario die Lage auf dem Arbeitsmarkt eintrüben. Eine Dämpfung des Wachstums des Bruttoinlandsprodukts um 0,5 Prozentpunkte hätte einen Verlust von etwa 200.000 Arbeitsplätzen zur Folge.
Die Vorteile, die Deutschland aus der Mitgliedschaft im Euro erwachsen, sind auch dann noch gegeben, wenn es in den kommenden Jahren zu erheblichen Abschreibungen von Forderungen gegenüber den vier südeuropäischen Krisenländern Griechenland, Portugal, Spanien und Italien kommen sollte. In zusätzlichen Berechnungen wurden Abschreibungen für jedes Land von 60 Prozent der Forderungen zugrunde gelegt. Die in diesem Fall höhere Staatsverschuldung bzw. der dadurch erhöhte fiskalische Konsolidierungsbedarf wirkten sich zwar dämpfend auf die wirtschaftliche Dynamik aus. Die Auswirkungen hielten sich jedoch in engen Grenzen.“
Es ist ja auch keineswegs so wie Sie schreiben, dass die Rettungspakete ohne Gegenleistungen bereit gestellt werden. Es gilt der Grundsatz: Keine Hilfe ohne Gegenleistung (das unterscheidet auch unsere Position von denen der Opposition!). Das Empfängerland erhält durch die temporären Hilfskredite die Chance, über das Nachholen verpasster Strukturreformen und Konsolidierungsmaßnahmen wieder auf die eigenen Beine zu kommen. Gerade Griechenland und Zypern müssen zum Teil schmerzhafte Reformen umsetzen. An dieser Stelle möchte ich Ihnen einige Beispiele aus den griechischen Sparpakten nennen:
• Anhebung der Mehrwertsteuer auf 23 %
• höhere Steuern auf Benzin, Tabak, Alkohol, Spielautomaten und Grundeigentum
• Einführung einer Luxussteuer auf Güter wie Kraftfahrzeuge und Boote
• ab 2009 rückwirkende Sondersteuer von 1 % auf Einkommen ab 100.000 €
• ab 100.000 € Spitzensteuersatz von 45 %
• Anhebung des Renteneintrittsalters auf 65 Jahre
• volle Rente ab 40 (statt 37) Jahren Lebensarbeitszeit
• keine Rentenerhöhungen in den nächsten Jahren
• Streichung des 13. und 14. Jahresgehalts im öffentlichen Dienst (Verringerung bei Bruttoeinkommen bis 3.000 €)
• Personalabbau im öffentlichen Dienst
• Erhöhung der Steuereinnahmen durch verschärfte Kontrolle
• Privatisierungserlöse von 50 Mrd. € bis 2015
• Einsparungen von 78 Mrd. € bis 2015
• Beginn der Privatisierungen von 50 Mrd. €
• Gehaltskürzungen und Kürzungen von Sozialleistungen bei Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst
Auf Vorschlag der zyprischen Regierung leistet etwa der zyprische Bankensektor durch umfassende Beteiligung der Eigentümer und Anleihegläubiger sowie durch die teilweise Heranziehung der Einlagen über 100.000 Euro bei den beiden größten Banken seinen Beitrag.
Die innenpolitischen Proteste in den jeweiligen Ländern zeigen, dass den Menschen vor Ort viel abverlangt wird. Aber die Reformen zeigen langsam Wirkung. Die öffentlichen Haushaltsdefizite der Euro-Staaten sind 2012 deutlich gesunken, im Schnitt auf 3,7 Prozent des BIP, gegenüber 6,2 Prozent im Jahr 2010. Zum Vergleich: In Japan und auch den USA beträgt das Haushaltsdefizit mehr als 8 Prozent des BIP. Die für die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft wichtigen Lohnstückkosten konnten in den Krisenländern mittlerweile deutlich reduziert werden: in Griechenland und Irland um je 10 Prozent, in Spanien und Portugal um je 6 Prozent seit 2009. Auch die Unterschiede in den nationalen Leistungsbilanzen haben sich in den vergangenen Jahren abgebaut. So konnte selbst Griechenland sein Leistungsbilanzdefizit seit 2008 mehr als halbieren, in anderen Programmländern sieht die Entwicklung sogar noch besser aus. Spanien, Portugal, Irland und Griechenland haben ihre Exporte spürbar gesteigert. Die Finanzierungssituation in den Krisenländern hat sich gebessert: Die Zinsen, die Länder wie Spanien, Portugal, Irland oder Italien für ihre Staatsanleihen bezahlen müssen, sind in Anerkennung der erreichten Fortschritte inzwischen spürbar zurückgegangen. Die Abstände zu den Zinsen deutscher Staatsanleihen sind heute deutlich geringer als in der Hochphase der Krise.
Ausführliche Informationen auf fast alle Fragen zu diesem Thema finden Sie auf der Internetseite des Bundesfinanzministeriums unter http://www.bundesfinanzministerium.de/Web/DE/Themen/Europa/Stabilisierung_des_Euroraums/stabilisierung_des_euroraums.html .
Ich hoffe, ich habe Ihnen mit diesen Informationen weitergeholfen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Thomas Feist