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Frage von Georg Z. •

Frage an Thomas Blechschmidt von Georg Z. bezüglich Verbraucherschutz

Sehr geehrter Herr Blechschmidt,

gibt es Untersuchungen mit Vergleichen von Ländern mit und ohne Volksentscheiden?

Gibt es signifikante Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen von Ländern?

Welche Länder praktizieren am meisten Volksentscheide?

Mit freundlichen Grüßen

Georg Zenker

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Sehr geehrter Herr Zenker,

Sie stellen überaus interessante Fragen. Fairerweise muss ich zugeben, dass ich mich bisher kaum in wissenschaftlicher Tiefe mit Volksentscheide auseinandergesetzt habe. Aus der Zeit meines politikwissenschaftlichen Studiums sind mir spezifische vergleichende Untersuchungen nicht bekannt. Zu einer wissenschaftlichen Aufarbeitung hat sich bisher niemand bereit erklärt. Da komme ich glatt ins Überlegen, noch mal an die Universität zu gehen. :)

1. gibt es Untersuchungen mit Vergleichen von Ländern mit und ohne Volksentscheiden?

Bekannt ist mir eine Reihe von Ländern, die das Mittel der Volksentscheide haben und mit Erfolg anwenden. Negative Erfahrungen sind die absolute Ausnahme. Zu nennen wäre eine mittlerweile eingetretene Müdigkeit der Bevölkerung in Kalifornien und in Ungarn. Dort wurden Volksentscheide allerdings missbraucht, da die jeweilige Regierung mangels parlamentarischer Mehrheit zu diesem Mittel gegriffen hat, um Vorhaben durchzusetzen. Ähnliches kennen wir aus Honduras, wo der Präsident mittels Volksentscheid eine Verfassungsänderung durchgesetzt hat, um eine dritte Amtszeit zu bekommen, ebenso Venezuela, wo Chavez sich in ähnlicher Weise über die Vorgabe der Verfassung hinaus legitimiert hat, sowie in diesen Tagen in einem afrikanischen Land. Allerdings stellt ein von der Regierung inszenierter Volksentscheid meines Erachtens nach einen Widerspruch in sich dar. Das erinnert vom Vorgehen her an die "Volksabstimmungen" der Nazis, die dem Volk bereits getroffene Beschlüsse nachträglich zur Sanktion vorlegten. Aus Propagandagründen. Für eine wissenschaftliche Aufarbeitung wären hier an erster Stelle klare begriffliche Abgrenzungen zu treffen.

Wir stehen für Volksentscheide, die natürlich auch von einer genau definierten Mindestanzahl von Wahlberechtigten eingefordert werden müssen, um überhaupt erst mal statt zu finden. Das ist ein bedeutender Unterschied zu einer von einer Regierung in Gang gesetzten Kampagne, die ja in der Regel auch auf den kompletten Medienapparat zugreifen kann. Und genau an dieser Stelle liegt das deutlichste Argument dafür, dass Volksentscheide eben nicht der Gefahr des Missbrauchs durch Populisten unterliegen, wie von vielen Gegnern kolportiert. Wer - außer einer bürgerlichen Initiative - würde sich den mühevollen Weg machen, genug Anhänger zu gewinnen, ohne die Medienmacht hinter sich zu haben?

2. Gibt es signifikante Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen von Ländern?

Deshalb kann ich Ihnen nur schwer wisenschaftlich fundierte Angaben zu Unterschieden zwischen Ländern mit und ohne Volksentscheide machen. Um Unterschiede herauszuarbeiten müsste man erst mal vergleichbare Ausgangssituationen herstellen und eine gemeinsame Basis erarbeiten. Deshalb ist ein Vergleich derzeit lediglich subjektiv und individuell möglich, jeweils in Abhängigkeit von der Fragestellung: Jeder kann sich z. B. fragen:

Sind Länder mit Volksentscheiden stabiler als Länder ohne?

Betrachtet man nun Schweden, Norwegen, Irland, die Schweiz und Bayern, so würde man diese ohne weiteres als äußerst stabile Länder mit Volksentscheiden betrachten. Bei Frankreich und Italien würde man ausreichend Stabilität unterstellen, aber nicht im gleichen Maß wie bei den vorher genannten. Trotzdem haben auch diese beiden Länder Volksentscheide. Allerdings lohnt ein Blick auf die Verfassung: In Italien und Frankreich sind die Referenden streng limitiert und auf die Verfassung selbst beschränkt.

Wie Sie selbst erahnen, kann ich Ihnen die Frage hier nicht umfassend beantworten. Eine sehr gute Übersicht an Informationen bietet allerdings der Verein Mehr Demokratie e. V., der zu diesem Thema wohl bundesweit am besten dokumentiert sein dürfte.

3: Welche Länder praktizieren am meisten Volksentscheide?

Bei den Volksentscheiden dürfte die Schweiz eines der Länder mit den meisten Vorlagen und Entscheidungen direkt durch die Bürger sein. Desgleichen sind die Schweden und die Isländer sehr rege. Auch in Kalifornien und anderen US-Bundesstaaten ist das Verfahren fester Bestandteil der politischen Kultur, auch wenn bei uns darüber nicht berichtet wird. In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass Volksentscheide überall dort zunehmen, wo sie möglich sind. Denken wir nur an Frankreich und die Niederlande, die "Nein" zur europäischen Verfassung sagten und damit die Inszenierung des Vertrags von Lissabon verursachten, der nun diese Verfassung ersetzt und sogar darüber hinausgreift. In meinen Augen eine Blamage für die Politk, denn die logische Konsequenz wäre gewesen, den Dialog mit den Bürgern zu verstärken um herauszuarbeiten, wo der Schuh drückt und entsprechend zu handeln. Die Bevölkerung beider Länder ist ja nicht gegen die EU, sondern gegen die Art und Weise, wie die Verfassung in Kraft treten soll. Der Umweg über den Vertrag verhindert eine neue Notwendigkeit der Abstimmung, da es sich nicht mehr um Verfasungsrecht handelt,sondern um zwischenstaatliches Vertragsrecht. Eigentlich Betrug am Geist der Verfassung beider Staaten. Irland hat daraus die Konsequenzen gezogen und dann dagegen gestimmt.

Der Punkt ist, dass in der Mehrheit der europäischen Staaten die Bevölkerung abstimmen kann, in anderen nicht. Das ist eine Ungerechtigkeit, die beseitigt werden muss, auch wenn es für die eingespielten Machtapparate unbequem sein mag.

Deshalb sehen wir unumgänglichen Bedarf FÜR VOLKSENTSCHEIDE in Deutschland ebenso wie auf europäischer Ebene.

Schließlich sind wir die Bürger und es geht an erster Stelle um uns alle.

Mit demokratischen Grüßen
Thomas Blechschmidt