Frage an Theresia Bauer von Rainer M. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrte Frau Bauer,
in dem Aufsatz „Freiräume für Wissenschaft schaffen und schützen“ (Ordnung der Wissenschaft (2015)) bekennen Sie sich zum Prinzip der „Wissenschaftsfreiheit“. Das ist verständlich, weil das Prinzip der Freiheit von Lehre & Forschung durch Artikel 5(3) des GG vorbehaltlos garantiert wird. Erstaunlich ist aber, dass Sie betonen „dass in der Zeit der Gründung der ersten Universitäten, die Freiheit der Wissenschaft weniger auf einen freien, ergebnisoffenen Forschungsprozess bezogen war, als auf die Freiheit der Lehrenden und Lernenden, sich als Gemeinschaft eigene Regeln geben zu können.“ Dieses Kollektivverständnis der Wissenschaftsfreiheit, das Sie hier formulieren, unterscheidet sich von dem Prinzip der Freiheit von Lehre & Forschung des GG, welches dort als individuelles Grundrecht aufgeführt ist. Deshalb folgende Fragen:
(1) Ist für Sie das Recht auf Freiheit von Lehre und Forschung nach Artikel 5(3) GG ein individuelles Grundrecht, das von Lehrenden/Forschenden an staatlichen Hochschulen individuell ausgeübt werden darf, oder ist es ein kollektives Grundrecht, das von Lehrenden/Forschenden an staatlichen Hochschulen im Kollektiv, d.h. durch Beschluss eines Hochschulgremiums ausgeübt wird?
(2) Wie weit darf Ihrer Meinung nach die Verankerung von „Leitbildern“ der Hochschulen gehen? Dürfen sich solche Leitbilder auch explizit zu bestimmten ethischen Weltanschauungen oder bestimmten wissenschaftlichen Lehrmeinungen bekennen, oder dürfen Leitbilder lediglich Forschungsthemen bzw. Forschungsschwerpunkte in ergebnisoffener Form definieren?
(3) Wenn eine Hochschule sich in ihrem Leitbild zu einer bestimmten ethischen Weltanschauung öffentlich bekennt, darf sie dann auch diese Weltanschauung in auch ihren Curricula verankern?
(4) Sind ethische Weltanschauungen, die in den Curricula verankert sind, für die Lehrenden der Hochschule dann bindend, weil das Recht der Freiheit der Lehre als kollektives Grundrecht ausgeübt wird?
MfG, Rainer Maurer
Sehr geehrter Herr Mauer,
zu Ihren Fragen im Einzelnen:
1) Bei der vom Grundgesetz garantierten Freiheit von Forschung und Lehre handelt es sich um ein individuelles Freiheits- und Abwehrrecht von einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Damit darf nicht das Verständnis von Wissenschaftsfreiheit verwechselt werden, das bei der Entstehung der ersten Universitäten des Mittelalters vorherrschte, auf den sich der von Ihnen zitierte Abschnitt bezieht.
2) Es ist üblich geworden, dass sich die Mitglieder von Hochschulen ein gemeinsames Leitbild geben. Diese hochschulinterne Verständigung auf gemeinsame Orientierungen begrüße ich. Leitbilder dürfen das individuelle Freiheit von Forschung und Lehre jedoch nicht einschränken.
3+4) Bei der Gestaltung von Lehrveranstaltungen gilt die Freiheit der Lehre, die, wie oben ausgeführt, kein kollektives, sondern ein individuelles Grundrecht ist. Diese individuelle Freiheit bedeutet jedoch nicht, dass Hochschulen keine Gestaltungsmöglichkeiten bezüglich Curricula hätten. Ohne diese Gestaltungsmöglichkeiten könnten keine Studiengänge gestaltet werden.
Mit freundlichen Grüßen
Theresia Bauer