Frage an Thekla Walker von Stephan K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag Frau Walker,
Diese Woche wurde im Landtag darüber abgestimmt, ob Geflüchtete mit Arbeit und „vorbildlichem“ Integrationsstatus vor Abschiebung geschützt werden sollen.
Sie haben, genau wie nahezu die komplette Fraktion der Grünen, gegen diesen Antrag gestimmt.
Das ist ein für mich schockierendes Verhalten. Können Sie sich bitte dazu äußern, was um Himmels willen Sie da geritten hat?
Ich halte die Praxis, integrierte Geflüchtete aus Job, Schule oder zu nachtschlafender Zeit aus dem Bett zu holen für unsäglich und unserem Land unwürdig.
Es werden große psychische und materielle Schäden auf allen Seiten in Kauf genommen um die Abschiebungsstatistiken mit solchen leicht habhaft zu werdenden Personen gut aussehen zu lassen, während bekannte Gefährder unbehelligt im Lande bleiben.
Das menschenverachtende Abstimmungsverhalten ist auf ganzer Linie für mich unverständlich und nicht akzeptabel.
Schöne Grüße
S. K.
Sehr geehrter Herr K.,
ich danke Ihnen für Ihre Rückmeldung zu meinem Abstimmungsverhalten in der Plenarsitzung am 29. Januar, bezüglich des Antrags der SPD-Fraktion zur Ausübung des Ermessens hinsichtlich einer Duldung für gut integrierte Asylsuchende. Da der Inhalt der derzeitigen Diskussion zum Thema sehr unübersichtlich ist, kann ich Ihr Entsetzen sehr gut nachvollziehen. Im Folgenden möchte ich Ihnen zum aktuellen Sachstand einen kurzen Überblick geben.
Wir GRÜNEN im Landtag von Baden-Württemberg setzen uns seit Jahren für die Rechte von Geduldeten und Geflüchteten in Arbeit und Ausbildung ein. So gilt etwa die sogenannte 3+2-Regelung für geflüchtete Auszubildende ohne Schutzstatus aufgrund der Initiative der Landesregierung auch für einjährige Helferberufe. Damit stellen wir sicher, dass Geflüchtete während ihrer Ausbildung eine Duldung und anschließend ein zweijähriges Aufenthaltsrecht für eine Beschäftigung im erlernten Beruf erhalten.
Die Große Koalition in Berlin hat, mit Zustimmung der SPD, im Sommer 2019 das härteste Abschiebegesetz in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beschlossen. Seitdem fällt es den Ländern zunehmend schwer, insbesondere für Geflüchtete in Arbeit, ein Bleiberecht zu ermöglichen. Die im Bundesgesetz angelegte zweijährige Beschäftigungsduldung ist etwa an zwölf Monate Voraufenthalt und an eine sechsmonatige Sperrfrist, ab Beginn der Duldung gekoppelt.
Die Bleiberechtsmöglichkeiten werden verbaut und unbegehbar gemacht, sodass sie für kaum jemanden erreichbar sind. Das Beschäftigungsduldungsgesetz ist eine typische Minimallösung der großen Koalition und geht unserer Meinung nach an der Realität vorbei. Die berechtigten Forderungen der Wirtschaft nach Fachkräften bleiben von den Koalitionspartnern der Bundesregierung weitgehend ungehört.
Aufgrund dieser Situation sind wir zurzeit dabei eine Lösung zu erarbeiten, wie wir im Land eine pragmatische Bleiberechtsregelung, im Sinne der Betroffenen und der Unternehmen, ausgestalten können. Wir haben als Landesregierung eine Verantwortung für die Unternehmen, die wir 2015/16 darum gebeten haben, Menschen auszubilden und einzustellen. Deshalb werden wir, gemeinsam mit anderen Bundesländern, im Bundesrat einen Vorstoß zur Verbesserung der Bleiberechtsperspektive von Geflüchteten in Ausbildung und Beschäftigung unternehmen. Außerdem suchen wir nach Möglichkeiten, wie wir im Land die vorhandenen Ermessensspielräume in Einzelfällen besser und rechtssicher nutzen können. Dazu sind wir mit unserem Koalitionspartner seit einiger Zeit in intensiven Gesprächen.
In dieser Situation hat die SPD, kurz vor Schluss einer laufenden Debatte, einen Antrag vorgelegt, der eben diese Bemühungen öffentlichkeitswirksam in Frage stellen sollte. Es ging darin um die Forderungen: a. eine Bundesratsinitiative zu starten und b. ein Bleiberecht unter bestimmten Bedingungen zu ermöglichen. Doch die Bundesratsinitiative ist in der Koalition bereits vereinbart und auch unsere Bleiberechtvorschläge gehen bereits deutlich über diese Forderung hinaus. In der Summe geht es in dem Antrag der SPD um ein durchsichtiges Manöver, mit dem sie versucht die laufenden Verhandlungen mit der CDU zu stören.
Mit den derzeitigen, zugespitzten Darstellungen in den Sozialen Medien suggeriert die SPD, dass es sich in ihrem Antrag um eine einfache Ja/Nein- Abstimmung gehandelt hat. Für uns GRÜNE hinterlässt diese Form der politischen Auseinandersetzung den Eindruck, dass es der SPD hier mehr um einen öffentlichen Effekt, als um eine Lösung für ein verbessertes Bleiberecht geht. Wir GRÜNE werden weiter dafür arbeiten, dass wir Menschen, die eine Arbeit haben und die sich integrieren, in Baden-Württemberg eine dauerhafte Perspektive ermöglichen können. Wir brauchen pragmatische und humanitäre Lösungen. Daher kämpfen wir auf Bundesebene für ein modernes Einwanderungsgesetz mit einem transparenten Punktesystem sowie für eine Talentkarte für Arbeitssuchende und eine praktikable Bleiberechtsregelung für gut integrierte Geduldete.
Ich hoffe Sie können mein Schritt, gegen den Antrag der SPD zu stimmen, nun nachvollziehen
und verbleibe mit freundlichen Grüßen nach Gärtringen
Ihre Thekla Walker