Weshalb will die Ampel den EU Direktwahlakt 2018 ratifizieren?
Sehr geehrter Frau G.,
das Bundesverfassungsgericht hat erst 2011 die 5%-Sperrklausel gekippt und 2014 kurz vor der EU-Wahl die 3%-Sperrklausel. Der Direktwahlakt 2018 fordert nun Mitgliedsstaaten dazu auf, eine Sperrklausel zwischen 2% und 5% zur EU Wahl einzuführen. Auch Deutschland wäre dazu verpflichtet. Im Ampel Koalitionsvertrag steht dazu: "Wenn bis zum Sommer 2022 kein neuer Direktwahlakt vorliegt, wird
Deutschland dem Direktwahlakt aus 2018 auf Grundlage eines Regierungsentwurfes zustimmen". Warum will die Ampel einem Wahlakt zustimmen, der eine mit dem deutschen Grundgesetz nicht vereinbare Regelung enthält? Soll hier die Kompetenz des BVerfG umgangen werden, nur um die Sperrklausel einzuführen? Und warum wird einem möglichen neuem Wahlakt nur Zeit bis Sommer 2022 gegeben? Haben die letzten sieben Jahre nicht bewiesen, dass wir keine Sperrklausel auf EU-Ebene brauchen?
Vielen Dank schonmal für Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen,
Lukas Küffner
Hallo Lukas K.,
wir setzen uns zusammen mit den anderen Ampelfraktionen im Bundestag dafür ein, das Europäische Wahlrecht zu reformieren und unterstützen daher mit einer vom Bundestag am 25. Mai 2023 verabschiedeten Stellungnahme grundsätzlich den Vorschlag des Europäischen Parlaments vom Mai 2022 zur Reform des Europäischen Wahlrechts. Wir sprechen uns damit für die Einführung transnationaler Listen und die Festschreibung des Spitzenkandidat*innenprinzips aus, um Europawahlen europäischer, demokratischer und transparenter zu machen.
Als Zwischenschritt hin zu dieser umfassenderen Reform des Europäischen Wahlrechts haben wir als Deutscher Bundestag am 15. Juni 2023 den Direktwahlakt von 2018 ratifiziert und entsprechen damit der von der vorherigen Bundesregierung im Rat gemachten Zusage zu der vom Rat und Europäischen Parlament ausgehandelten Reform. Der Direktwahlakt 2018 sieht eine Mindestschwelle zwischen zwei und fünf Prozent vor und wurde vom Europäischen Parlament als der zentral betroffenen Institution mit beschlossen. Ebenso wurde der Reformvorschlag von 2022, der sogar eine Mindestschwelle von 3,5 bis fünf Prozent vorsieht, vom Europäischen Parlament angenommen und dem Rat für die weiteren Verhandlungen vorgelegt. Als Ampelfraktionen im Bundestag haben wir uns auch für diesen neuen Vorschlag ausgesprochen, allerdings mit einer deutlich niedrigeren Mindestschwelle von lediglich zwei Prozent.
Der Direktwahlakt 2018 wird erst wirksam, wenn dieser von allen 27 Mitgliedstaaten ratifiziert wurde, was in Spanien und Zypern noch nicht der Fall ist. Zudem wäre dann noch ein weiteres Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des deutschen Europawahlgesetzes zur nationalen Umsetzung des Direktwahlaktes 2018 erforderlich.
Maßgeblich ist für uns die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, dass eine unionsrechtliche Verpflichtung gegeben sein muss, damit die Anwendung einer Mindestschwelle in Deutschland bei Europawahlen verfassungskonform ist.
Die Mindestschwelle, welche der Direktwahlakt 2018 vorsieht, würde demnach bei der erforderlichen verfassungsschonenden Anwendung frühestens bei der übernächsten Wahl nach dem Inkrafttreten des Beschlusses, also frühestens 2029, und mit einer Mindestschwelle von zwei Prozent Anwendung finden. Im Übrigen liegt die im Direktwahlakt 2018 vorgesehene Mindestschwelle von zwei Prozent nur einen Prozentpunkt über der sich aus der begrenzten Sitzanzahl für Deutschland ergebenden, rein rechnerischen Mindestschwelle von ca. einem Prozent.
Wir setzen uns auf europäischer Ebene auch weiterhin dafür ein, die Verhandlungen für eine umfassende Reform des Wahlrechts voranzubringen, sodass für die Wahlen nach der kommenden Europawahl 2024 ein neues, progressives europäisches Wahlrecht Anwendung findet.
Viele Grüße,
Tessa Ganserer