Frage an Terry Reintke von Jan W. bezüglich Europapolitik und Europäische Union
Hallo!
Habe soeben mit Schrecken diesen Artikel über die aktuellen Zustände in Polen gelesen:
http://www.sueddeutsche.de/politik/rechtsextremismus-jagdszenen-in-der-polnischen-provinz-1.3851235
Wie kann es sein, dass 2018 in einem europäischen Mitgliedsstaat die Menschenrechte mit Füßen getreten werden - und offenbar nichts dagegen unternommen wird? Wenn es aktuell keine Hebel gibt, um solche Verhältnisse in einem EU-Staat zu beenden bzw. zu sanktionieren, müssen sie schleunigst geschaffen werden, oder nicht? Wenn die EU nur über die Wattleistung von Staubsaugern entscheidet, ist sie moralisch bankrott.
Nun also meine konkrete Frage: Was genau gedenken Sie in diesem Fall (und ähnlichen in anderen Ländern) zu unternehmen?
Beste Grüße
J. W.
Sehr geehrter Herr W.,
herzlichen Dank für Ihre Anfrage auf Abgeordnetenwatch.de.
Der von Ihnen zugesandte Artikel führt auf erschreckende und traurige Art vor Augen, wie nationalistische und rassistische Bewegungen immer mehr an Boden gewinnen. Leider ist das eine Entwicklung, die wir nicht nur in Polen beobachten müssen.
Grundsätzlich hat die Europäische Union unterschiedliche Möglichkeiten, gegen Mitgliedstaaten vorzugehen, wenn diese gegen EU-Gesetzgebung oder gegen EU-Grundrechte verstoßen.
Im Fall von Polen hat die Europäische Kommission im Dezember 2017 ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der Europäischen Verträge gegen die polnische Regierung eingeleitet. (Die Pressemitteilung der Europäischen Kommission ist hier - leider nur auf Englisch und Französisch - nachzulesen: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-17-5367_en.htm.)
Als Grüne Fraktion im Europäischen Parlament haben wir bereits Ende des Jahres 2016 ein solches Verfahren gegen Polen gefordert: https://www.greens-efa.eu/de/artikel/press/poland/
In den vergangenen Jahren habe ich das Thema "Schutz von Grundrechten in der EU" intensiv bearbeitet. Wie eingangs beschrieben, erleben wir einen Angriff auf Grundrechte in vielen Mitgliedstaaten - Prinzipien unsere Demokratien werden in Frage gestellt, Errungenschaften unserer freiheitlichen Gesellschaften zurückgedreht. Um diesen Tendenzen ganz konkret etwas entgegenzusetzen, fordere ich die Einführung eines Grundrechte-Fonds für den kommenden Mehrjährigen Finanzrahmen der Europäischen Union nach 2020. Ziel eines solchen Fonds soll es sein, zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure in den Mitgliedstaaten zu stärken. Wir erleben, dass anti-demokratische Bewegungen und autoritäre Regierungen oftmals zivilgesellschaftliche Organisationen kaltstellen, indem ihnen Mittel radikal gekürzt werden. Genau hier würde ein Grundrechte-Fonds Abhilfe schaffen.
Vergangene Woche habe ich dazu einen Meinungsbeitrag bei EurActiv veröffentlicht. Vielleicht ist dieser für Sie auch interessant: https://www.euractiv.com/section/future-eu/opinion/its-time-for-an-eu-fund-for-fundamental-rights/.
Herzliche Grüße
Terry Reintke