Wie stehen sie zum aktuellen Steuersystem? Befürworten Sie den Entwurf eines Bundes- steuergesetzbuches (vgl. Prof. Kirchhof 2011) oder finden Sie das aktuelle System gerecht?
Lieber Herr Ali,
es gibt einige Entwürfe hinsichtlich eines neuen Steuerrechts, so u.a. vom RiBVerfG Kirchhof. Wie stehen Sie hierzu? Und denken Sie dass es gerecht ist, dass ein verbeamteter Angestellter im höheren Dienst (Steuerklasse 1) als vom Spitzensteuersatz Betroffener gleich besteuert wird wie Milliardäre? Das Lohnsteuersystem macht ja keinen Unterschied mehr. Viele Grüße aus Lörrach
Sehr geehrter Herr B.,
die Frage nach der Gerechtigkeit und Effizienz des aktuellen Steuersystems in Deutschland ist komplex und vielschichtig. Das derzeitige Steuersystem basiert auf einem progressiven Einkommensteuertarif, der unterschiedliche Einkommensgruppen unterschiedlich stark belastet. Ein Defizit ist offensichtlich die enorme Komplexität, die zu hohen Verwaltungskosten und Schwierigkeiten bei der Steuererklärung führt. Zudem gibt es zahlreiche legale Möglichkeiten für wohlhabende Personen und Unternehmen, ihre Steuerlast zu minimieren. Auch wenn das System progressiv gestaltet ist nicht zu übersehen, dass Superreiche im Verhältnis zu ihrem tatsächlichen Einkommen weniger Steuern zahlen als der obere Mittelstand.
Wie Sie anmerken, schlug vor diesem Hintergrund Paul Kirchhof, ein ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht, im Jahr 2011 die Einführung eines Bundessteuergesetzbuches vor. Sein Ziel war es, das Steuersystem zu vereinfachen und gerechter zu gestalten. Kirchhofs Vorschlag beinhaltete die Reduzierung der Steuerarten und -tarife sowie klare und verständliche Regelungen. Besonders kontrovers war sein Vorschlag eines einheitlichen proportionalen Steuersatzes, der die Progression der Steuersätze ersetzen sollte.
Ein vereinfachtes Steuersystem, wie von Kirchhof vorgeschlagen, könnte die Verwaltungskosten senken und die Steuererklärung für die Bürger:innen erleichtern. Durch die Einführung eines proportionalen Steuersatzes könnte die Gleichbehandlung von Einkommen gewährleistet und das Vertrauen in das Steuersystem gestärkt werden. Allerdings gibt es auch gewichtige Gegenargumente: Ein proportionaler Steuersatz könnte die Umverteilungsfunktion des Steuersystems schwächen und die Einkommensungleichheit verschärfen. Ohne progressive Elemente wäre das Steuersystem möglicherweise weniger sozial gerecht, da höhere Einkommen weniger stark belastet würden. Das DIW ermittelte in einer Mikrosimulation, dass selbst bei moderaten Auswirkungen auf das Arbeitsangebot das Kirchhof-Konzept zu Einnahmeausfällen im Umfang von rund 20 Milliarden Euro führt. Auch hier wird vor einem nicht unerheblichen Effekt auf die Einkommensungleichheit gewarnt. Trotz Verbreiterung der Bemessungsgrundlage würden von einem niedrigen, einheitlichen Grenzsteuersatz ausschließlich die obersten zehn Prozent der Einkommensverteilung profitieren.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Steuerdebatte ist z.B. die Besteuerung von Angestellten im Vergleich zu Milliardär:innen. Der Spitzensteuersatz in Deutschland greift ab einem bestimmten Einkommen, was bedeutet, dass sehr wohlhabende Personen und Gutverdiener:innen ähnlich besteuert werden. Allerdings erzielen Milliardär:innen oft einen großen Teil ihres Einkommens aus Kapitalerträgen, die häufig niedriger besteuert werden als Lohneinkommen. Dies führt zu einer de facto geringeren Steuerlast für sehr reiche Personen im Vergleich zu hohen Lohneinkommen. Superreiche und ihre Konzerne genießen großzügige Steuerprivilegien. Das ist inakzeptabel.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das aktuelle Steuersystem in vielerlei Hinsicht gerecht ist, jedoch eindeutig Verbesserungspotenzial besteht. Der Vorschlag von Paul Kirchhof bietet eine interessante Grundlage für Diskussionen über eine mögliche Vereinfachung und Reform des Steuersystems. Ein ausgewogenes Steuersystem müsste sicherstellen, dass es weiterhin progressiv ist und die soziale Gerechtigkeit wahrt, während es gleichzeitig transparent und verständlich bleibt.
Mit solidarischen Grüßen
Takis Mehmet Ali