Das Foto zeigt eine Portraitaufnahme von Tabea Rößner vom Juni 2021.
Tabea Rößner
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Dirk H. •

Frage an Tabea Rößner von Dirk H. bezüglich Politisches Leben, Parteien

Sehr geehrte Frau Rößner,

Sie haben an der 4.Sitzung der Enquete Kommision "Internet und digitale Gesellschaft" am 5. Juli 2010 teilgenommen und die Ausführungen von Prof. Dr. Peter Kruse gehört. Auszug: https://www.youtube.com/watch?v=HldaHeAQy1A
Nun sind eine Reihe von Jahren vergangen und die Welt hat sich weiter entwickelt. Die Band BTS aus der K-Popszene ist nicht die einzigste Erscheinung, die die Thesen von Prof. Kruse unterstreichen. Lassen Sie mich in Vorbereitung der Wahlen im September diesen Jahres fragen, wie Sie zu den Aussagen von Herrn Kruse damals stehen und wie Sie es heute wahrnehmen.

Vielen herzlichen Dank und bleiben Sie gesund.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr D. H.,

vielen Dank für Ihre Frage. Die damalige öffentliche Anhörung der Enquete "Internet und Digitale Gesellschaft" u.a. mit Herrn Prof. Kruse behandelte in der Tat äußerst interessante Aspekte rund um die Frage der Auswirkungen der digitalen Kommunikation auf unsere Gesellschaft, die heute weiterhin aktuell sind. Prof. Kruse betonte insbesondere die Eigendynamik der sozialen Netzwerke und mahnte eine Haltungsänderung der politischen Vertreterinnen und Vertretern wie auch der klassischen Medien bezüglich dieser Eigendynamik an. Darüber hinaus plädierte er in der Anhörung dafür, dass die Politik die Bereitschaft der Menschen, sich zu beteiligen, nutzen müsse, und sah die Gefahr, dass Frust entstehen könne, wenn es keine echte Beteiligung gebe. Ein weiteres Problem zeigte er mit einer "Selbstaufschaukelung" der Systeme auf. Er sah zudem bei den klassischen Medien eine Kernaufgabe, dicht dran zu sein an den Themen im Netz und sich dieses Systems zu bedienen. Schließlich plädierte er dafür, verstärkt in Forschung zu investieren, um Mittel und Wege der Einbeziehung von Menschen über das Netz zu eruieren und die kollektive Intelligenz der Netze zu nutzen.

Inzwischen sind die Netzwerke machtvolle Akteure in der politischen Meinungsbildung. Gleichzeitig ist die Dynamik immer noch groß, und die Politik hinkt den Entwicklungen weiter hinterher. Einige regulatorische Maßnahmen wurden unternommen wie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, der neue Medienstaatsvertrag oder auch aktuell die Urheberrechtsreform. Messengerdienste, auf die sich die Kommunikation zum Teil verlagert, sind bei der Regulierung bisher nicht berücksichtigt. Aufgrund der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern ist die Regulierung nach wie vor schwierig. Zudem fehlen Forschungsergebnisse, die fundierte Aussagen über die Auswirkungen der Netzwerkkultur auf demokratische Prozesse machen.

Die Fragen, wie Politik "bürgernah" interagieren kann und wie diese Systeme sinnvoll genutzt werden können, sind essentiell im gesellschaftlichen Prozess politischer Meinungsbildung. Wir haben stets betont, wie immens wichtig Forschung in diesem Bereich ist - leider hat die Bundesregierung hier keine wesentlichen Schritte eingeleitet. Nichtsdestotrotz ist die Forschung selbst nicht untätig geblieben. Es gibt vielfältige Studien, die sich mit der Frage von politischer Meinungsbildung im Netz, möglichen Beteiligungsformen, Manipulations- und Desinformationsgefahren, der Gefahr der sich selbst bestätigenden "Blase" u.ä. auseinandergesetzt haben. Die Schlussfolgerungen daraus sind divers, leider haben sie auch noch nicht zu einem koordinierten Vorgehen geführt. Das Netz bietet meines Erachtens einerseits immense Vorteile für eine Beteiligung der Menschen am demokratischen Willensbildungsprozess - andererseits ist die Gefahr der "Selbstaufschaukelung" der Netze, wie Prof. Kruse es auch beschreibt, in den letzten Jahren immer wieder eklatant zum Vorschein getreten. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage berechtigt, inwieweit das Internet bzw. die verschiedenen Social-Media-Plattformen die Meinungen und Debatten der gesamten Gesellschaft angemessen widerspiegeln - oder ob dort lediglich nur ein Teil der Gesellschaft stattfindet. Zu unterschätzen ist auch nicht, dass wir immer noch viel zu wenig über die Sortierung von Inhalten durch die Plattformen und deren Algorithmen wissen. Ein weiterer Forschungsbereich, der dringend angegangen werden muss. Dafür braucht es dringend den Zugang zu Daten der Plattformen für die Wissenschaft, das wir immer wieder fordern, zuletzt hier in unserem Antrag zum NetzDG: https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/177/1917750.pdf.

Den Moblisierungsgrad durch die Netzwerke haben viele Akteure erkannt. Auch viele NGOs, Parteien, die klassischen Medien wie auch Unternehmen nutzen die Möglichkeit, Menschen über die Netzwerke anzusprechen. Einigen gelingt dies besser, anderen weniger. Auf der anderen Seite haben Skandale wie der um die (versuchte) Einflussnahme auf das Wahlverhalten durch Cambridge Analytica oder Datenlecks insbesondere bei Facebook viele Menschen verunsichert und wurden bisher kaum aufgeklärt. Es ist zu befürchten, dass durch die Verbreitung von Deep Fakes und personalisierter Werbung Manipulationsversuche noch zunehmen werden. Auf all diese Gefahren und den Handlungsbedarf haben wir als grüne Bundestagsfraktion in unserem Sondervotum zur Enquetekommission „Künstliche Intelligenz“ hingewiesen (ab Seite 558ff.: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/237/1923700.pdf) Ich kann Ihnen also bedauerlicherweise keine großen Fortschritte seit dem Abschluss der Enquete „Internet und digitale Gesellschaft“ vermelden. Als Fraktion haben wir regelmäßig die Umsetzung der Handlungsempfehlungen - ohne Erfolg - eingefordert.

Wir haben bis dato zudem keine kollektive Einbindung der Menschen in politische Meinungsbildungsprozesse. Um zu verhindern, dass lediglich eine (netzaffine) gesellschaftliche Gruppierung im Netz die politische Meinungsbildung dominiert, muss auf mehreren Ebenen Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern stattfinden. Dazu haben wir jüngst einen Antrag eingebracht, um Beteiligung und Engagement durch die Einführung von Bürgerräten zu fördern. Den Antrag finden Sie hier: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/278/1927879.pdf
Weitergehende Erläuterungen auch hier: https://www.gruene-bundestag.de/themen/demokratie/demokratie-staerken-buergerraete-wahlalter-16-und-mehr

Eine wichtige Aufgabe haben, wie Prof. Kruse betonte, die traditionellen Medien. Sie dürfen das Agendasetting nicht allein den Netzen überlassen, sondern müssen den Dialog mit den Menschen auf vielfältigen Ebenen suchen, Debatten und Meinungen dann spiegeln und in die neuen Systeme einleiten. Diese Aufgabe kommt vor allem den öffentlich-rechtlichen Medien zu, zu deren Reformprozess und -bedarf ich mich jüngst auch noch einmal öffentlich geäußert habe: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/tabea-roessner-zur-reform-der-oeffentlich-rechtlichen-17313079.html?premium

Wir befassen uns als Grüne Bundestagsfraktion seit Jahren mit allen Aspekten politischer Meinungsbildung und Beteiligung im und außerhalb des Netzes. Aktuell haben wir uns in Fachgesprächen u.a. auch mit dem Digital Services Act befasst, der auf europäischer Ebene viele der angesprochenen Fragen betrifft, falls Sie hier noch einmal reinhören mögen:
https://www.tabea-roessner.de/2021/02/04/online-fachgespraech-der-digital-services-act-und-die-regulierung-gegen-hass-im-netz/
https://www.tabea-roessner.de/2020/12/12/online-fachgespraech-am-11-12-digital-services-act-gelingt-es-damit-die-plattformen-und-das-mikrotargeting-zu-regulieren/

Schließlich möchte ich Ihnen auch einen Hinweis auf eine kommende Veranstaltung mit mir zum Thema Medienkonvergenz am 29. Juni geben: "Darf ich das noch sagen? Wie die digitale Kommunikation politische Meinungsbildung lenkt", da dieses auch in diesen Themenbereich passt: https://www.tabea-roessner.de/events/event/lorem-ipsumdolor-sitamet-2/

Hinsichtlich der Bundestagswahl verweise ich gerne auf die Wahlprogramme der Parteien. Das Wahlprogramm von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird Mitte Juni verabschiedet.

Ich hoffe, dass ich Ihre Frage damit beantworten konnte.

Herzliche Grüße und bleiben auch Sie gesund!
Tabea Rößner

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