Frage an Tabea Rößner von Sigrid S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Rößner,
der Innenminister ist für eine Beschränkung des Zuzuges von Armutsasylanten. Wie stehen Sie dazu? Falls es im Bundestag zu einer Entscheidung kommt, wie werden Sie sich entscheiden?
Wie aus Berichten in der Presse z.B. Die Welt, taz oder Spiegel online sowie aus dem Fernsehen bei Panorama zu entnehmen ist, werden diese "Flüchtlinge" zu einem massiven Problem in unseren Großstädten. Was werden Sie dagegen tun?
Warum gibt es in Deutschland nicht die Möglichkeit Probleme per Volksentscheid zu lösen, wie z.B. in der Schweiz? Dort haben Bürger entschieden und zwar deutlich. Hat unsere Regierung Angst vor der Volksmeinung? Mit Spannung warte ich auf Ihre Antwort. Ihren Kollegen der anderen Parteien habe ich diesbezüglich auch geschrieben. Auch deren Meinung interessiert mich brennend.
Mit freundlichen Grüßen Sigrid Schmitt
Sehr geehrte Frau Schmitt,
in den vergangenen Monaten wurde in manchen Medien ein Schreckszenario eines Asylmissbrauchs aufgebauscht. Es wurde von "massenhaftem Asymissbrauch" oder der "Asylfront" gesprochen. Diese Übertreibungen diskreditieren das gesamt Asylsystem, das zentral für unseren Rechtsstaat ist und vielen Menschen das Leben rettet.
Im Jahre 2012 haben von Januar bis Oktober etwa 7.000 Menschen aus Serbien und Mazedonien Asyl in Deutschland beantragt. Die Zahl der Asylanträge ist zwar in den vergangenen Jahren kontinuierlich angestiegen, hat aber noch nicht annähernd die Größenordnung erreicht, die bis zur Jahrtausendwende üblich war. Wen mag das verwundern, angesichts der kriegerischen Auseinandersetzungen, der Bürgerkriege, der Verfolgung ethnischer Minderheiten und der Armut vieler Menschen? Zu den größten Gruppen der AntragstellerInnen zählen Flüchtlinge aus Afghanistan, dem Irak und Syrien. Ich bin froh, dass wir manchen von ihnen eine sichere Bleibe bieten können.
Was Flüchtlinge aus Europa betrifft, sollte, statt über eine Wiedereinführung der Visumspflicht zu diskutieren, die Situation der Roma und Albaner vor Ort nachhaltig verbessert werden. Diese Bevölkerungsgruppen, die die Mehrzahl der armen Flüchtlinge aus Südosteuropa stellen, werden in ihren Herkunftsländern massiv diskriminiert. Ein Zugang zu Bildung, Ausbildung, Gesundheitsversorgung und Arbeitsmarkt ist ihnen in der Regel verwehrt.
Mit aller Vehemenz stelle ich mich gegen Verschärfungen im Asylrecht. Die im Grundgesetz garantierte Menschenwürde ist nicht zu relativieren. Sondergesetze für Flüchtlinge wie das Arbeitsverbot und die Einschränkung der Bewegungsfreiheit mit dem Ziel der Abschreckung und sozialen Ausgrenzung sind ethisch nicht zu rechtfertigen. Die Freizügigkeit ist eine zentrale Errungenschaft der europäischen Integration. Eine Wiedereinreise-Sperre für Bürgerinnen und Bürger aus EU-Staaten wie Bulgarien oder Rumänien lehne ich ab, denn dies würde dieses grundsätzliche Recht beschränken.
Zu Ihrer Frage zur direkten Demokratie: In der laufenden Legislaturperiode habe ich mich dafür eingesetzt, dass direkte Demokratie auch im Bund Realität wird. Sie kann die repräsentative Demokratie gut ergänzen. Die Bevölkerung muss die Möglichkeit bekommen, wichtige Sachfragen rechtlich bindend selbst zu entscheiden. Es gibt sehr gute Erfahrungen mit direkter Demokratie in den Bundesländern. Aus diesem Grund haben wir zahlreiche Gesetzesentwürfe eingebracht. Jedoch haben wir GRÜNE nicht die erforderliche 2/3-Mehrheit für eine Grundgesetzänderung erreicht. Aber wir lassen nicht locker, bis eine dreistufige Volksgesetzgebung mit Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid Wirklichkeit wird. Durch die Einführung der Volksgesetzgebung auf Bundesebene wird unsere Demokratie lebendiger.
Wir brauchen eine demokratischere EU. Transnationale Debatten über die Europapolitik und die weiter Demokratisierung der Entscheidungsprozesse müssen gefördert werden. Es geht darum, allen Bürgerinnen und Bürgern auf europäischer Ebene stärkere Mitsprache- und Mitentscheidungsmöglichkeiten bei der grundsätzlichen Ausrichtung der Europäischen Union zu geben. Dafür greift die nationale Ebene zu kurz. Der rechtliche Rahmen muss so gesetzt werden, dass eine europäische Angelegenheit auch europäisch entschieden wird. Statt nationaler Blockadepolitik ist es ratsam, alle EU-Bürgerinnen und Bürger nach europäischem Recht über wesentliche Änderungen der EU-Gründungsverträge abstimmen zu lassen.
Herzliche Grüße
Tabea Rößner