Frage an Sylvia Löhrmann von Horst S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Werte Frau Löhrmann,
Ihre Schlagzeile " Basisdemokratie haben wir erfunden " hat mich beeindruckt. Ich erinnere mich noch an die Zeiten der Parteigründung und frage mich heute, wo sind sie gebleiben, die mit Jeans und Turnschuhen in die Parlamente Einzug hielten. Die das System der Basisdemokratie für sich beanspruchten, die Fahrradständer vor dem Bundeshaus reklamierten und eigentlich alles viel bürgernäher und -freundlicher gestalten wollten?
Sie sind dort angekommen, wo die älteren (Volks-) Parteien schon länger sind. Sie haben sich als Politiker etabliert, die ebensowenig wie die Anderen auf gebotene bzw. geforderte Privilegien und Vergünstigungen verzichten - so die strittige Diätenerhöhung zur Altersversorgung, die Sie einem Arbeitnehmer erklären müssen, der noch privat Vorsorge von seinen ( nicht mit Ihren vergleichbaren) Einkünften schaffen soll.
Das Verhalten Ihres Ministerkollegen Remmel in Sachen " Dichtheitsprüfung privater Hausanschlüsse" spricht nicht unbedingt von Bürgernähe und -freundlichkeit, und schon gar nicht von Basisdemokratie. Sein fast schon fanatisch anmutender Einsatz und seine Einlassung während eines Interview im Plus Minus-Beitrag vom November 2011 lassen Zweifel an seine Einstellung zu dem ideologisch geprägten Vorhaben aufkommen.
Sind Sie nach all der aufgezeigten Verhaltensweisen noch immer der Meinung, dass sie - die Grünen - die wirklichen Basisdemokraten sind?
In Erwartung Ihrer Antwort verbleibt mit freundlichen Grüßen
Horst Sellge
Sehr geehrter Herr Sellge,
Danke für die Nachfrage, gern antworte ich Ihnen.
Zunächst habe ich mich natürlich darüber gefreut, dass die Schlagzeile Sie beeindruckt hat - ich hoffe, Sie haben auch das ganze Interview gerne gelesen.
Sicherlich ist es so, dass sich auch bei den Grünen im Laufe der Jahre einiges verändert hat: Das Rotationsprinzip wurde (aus gutem Grund - es ist nämlich, wie die Praxis zeigt, hilfreich, wenn erfahrene und inhaltlich firme Menschen die Politik gestalten, und sich nicht immer wieder neu einarbeiten und einfinden müssen) verworfen, auch Turnschuhe sieht man seltener. Aber die Fahrradständer sind inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden, und in vielen Städten gibt es Fahrrad-Stationen mit Leihrädern und flexible Nutzungen und Kombinationen von öffentlichem Personennahverkehr und Fahrrädern. Das ist auch ein Verdienst der Grünen.
Dass Politik sich durch die Grünen hin zu mehr Transparenz und Bürgernähe entwickelt hat, lässt sich mit Fug und Recht behaupten. Es hat sich Stück für Stück eine andere Kultur entwickelt. Nach wie vor stehen Grüne für den offenen Dialog und für Gestaltung der Politik von unten. Bestes Beispiel aus meinem Bereich ist der Schulkonsens. Hier hat es einen Diskussionsprozess mit allen Beteiligten gegeben, der schließlich in den Gesetzesänderungen mündete. (Mehr Informationen zur Bildungskonferenz unter http://www.schulministerium.nrw.de/BP/Bildungskonferenz/index.html sowie zum resultierenden Schulkonsens in der Broschüre dazu http://www.schulministerium.nrw.de/BP/Publikationen/Schule_NRW/Sonderausgabe.pdf ).
Auch mein Kollege Remmel suchte und sucht in der Frage der von Ihnen angesprochenen Dichtheitsprüfung den Austausch mit allen Betroffenen und will eine Lösung finden, die den Ausgleich zwischen allen Interessen darstellt. Und die Grünen NRW haben unlängst mit einer großen Online-Umfrage zum Thema Ladenöffnungszeiten von sich reden gemacht. Die Ergebnisse und Rückmeldungen sind in die innerparteiliche Entscheidungsfindung eingeflossen. (vgl. http://www.gruene-nrw.de mit weiteren Partizipationsmöglichkeiten, aktuell z.B. twitter-Sprechstunden verschiedener Kandidatinnen und Kandidaten.)
Die rot-grüne Minderheitsregierung in NRW hat hier - und das wird von vielen Seiten bestätigt - einen anderen Stil gepflegt als er in den Jahren der schwarz-gelben Landesregierung verbreitet war, nämlich einen Stil des Dialogs, der Transparenz und des Ausgleichs. Vielleicht nehmen Sie das nicht als "revolutionären" Prozess wahr, weil es nur Schritt für Schritt vor sich geht. Aber genau darum geht es ja, bei den einzelnen Schritten die Menschen mitzunehmen.
Gerade Grüne sind dafür bekannt, in ständigem Austausch mit Vereinen, Verbänden, Kommunen zu stehen, um eine Politik gestalten zu können, die nah an den Betroffenen bleibt. Ja, insofern nehme ich sehr wohl in Anspruch, sowohl basisdemokratisch als auch nah an den Bürgerinnen und Bürgern zu sein.
Mit freundlichen Grüßen
Sylvia Löhrmann (MdL bis 14. März 2012)