Frage an Sylvia Löhrmann von Rainer L. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Löhrmann,
wie ist Ihre Meinung zum bedingungslosen Grundeinkommen?
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Locke
Sehr geehrter Herr Locke,
Sie fragen nach meiner persönlichen Meinung zum bedingungslosen Grundeinkommen (BGE).
Ich kenne die Diskussionen - sie wird auch nach wie vor in meiner Partei intensiv geführt -, aber das Konzept hat mich bislang noch nicht überzeugt.
Für mich ist die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens angesichts der sich dramatisch ändernden Arbeitswelt ein wichtiger Impuls für die grundsätzliche Diskussion über soziale Sicherheit im 21. Jahrhundert. Ich finde aber, dass die bislang vorliegenden Konzepte, die innerhalb der Grundeinkommensdiskussion entwickelt wurden, längst nicht so weit sind, kurzfristig realistisch umgesetzt werden zu können. Wichtige Aspekte, die aus meiner Sicht nicht geklärt sind, wären zum Beispiel:
Innerhalb eines zusammenwachsenden und freizügigen Europas kann ein solcher Schritt im Grunde nur gesamteuropäisch gegangen werden.
Ich glaube nicht, dass unsere Gesellschaft schon dazu bereit ist, den Grundsatz eines bedingungslosen Einkommens zu akzeptieren, weil die übergroße Mehrheit nicht akzeptiert, dass ein solches Grundeinkommen auch bei vollständiger Verweigerung, für sich selbst sorgen zu wollen, bezahlt wird. Das heißt nicht, dass wir die Diskussion über die Sinnhaftigkeit nicht weiter führen sollten. Es heißt aber in jedem Fall, dass die Grünen jetzt und in den kommenden Jahren sozialpolitische Konzepte jenseits der Grundeinkommensdebatte brauchen, um heute realistische Politik machen zu können.
Außerdem gibt es offene Fragen der Art: Wie gelingt es zu verhindern, dass gesellschaftlich aus einem bedingungslosen Grundeinkommen der Schluss gezogen wird, dass sich der Staat aus der Verantwortung für eine Politik der Befähigung auch von Erwachsenen verabschiedet? Wir müssten aber viel mehr darüber sprechen, wie Menschen, die größte Schwierigkeiten haben, den Weg ins Arbeitsleben zu schaffen, dazu befähigt werden, dieses Ziel dennoch erreichen zu können. Denn auch ich glaube, dass für die allermeisten Menschen Arbeit im sozialen Zusammenhang sehr wesentlich ist für ein selbstbestimmtes Leben.
Ebenso unklar scheint mir in diesem Zusammenhang zu sein, wie das System des BGE damit umgeht, dass junge Menschen - sagen wir unter 25 Jahren - mit gescheiterten Bildungsverläufen bei einem BGE möglicherweise noch schneller bereit wären, jeden Ansporn auf Weiterentwicklung aufzugeben und sich mit dem BGE zufrieden zu geben.
Sie sehen also: Ich halte die Idee des BGE durchaus für einen interessanten Impuls, sehe aber, dass die Zeit für eine Umsetzung derzeit noch nicht reif ist. Bis dahin arbeite ich aktiv an anderen Wegen, um die Grundlage für die aufgeklärte Gesellschaft zu schaffen, die ich mir wünsche, und die in meinen Augen die Grundlage für ein sinnvolles und akzeptiertes BGE wäre.
"Wir wollen eine Gesellschaft gestalten, in der niemand ausgegrenzt wird, in der alle ihre Chancen zur Entfaltung ihrer Fähigkeiten bekommen." – so steht es im Grundsatzprogramm von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, mit diesem Zitat wird auch der Nürnberger Beschluss „Aufbruch zu neuer Gerechtigkeit“ (2007) eingeleitet. Diese Worte bilden einen zentralen Kern GRÜNER Identität, der ich mich verpflichtet fühle, und sind Aufforderung zu einer Politik der Teilhabe und Chancengerechtigkeit.
Mit freundlichen Grüßen
Sylvia Löhrmann MdL