Frage an Sylvia Löhrmann von Engelbert Manfred M. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrte Frau Löhrmann,
im Koalitionsvertrag wird der Förderung der sog. Gemeinschaftsschule ein wichtiger Platz eingeräumt. Bei der Beschreibung dieses angeblich neuen Schultyps wird der inhaltliche Unterschied zur bestehenden Gesamtschule nicht deutlich. Lediglich die Ankündigung einer erneuten Entscheidungsmöglichkeit nach Klasse 7 unterscheidet sich von den Gegebenheiten an der Gesamtschule, geht aber damit gleichzeitig hinter die Möglichkeiten der Gesamtschule zurück. Außerdem wird die Förderung der Gemeinschaftsschule mit der Entwicklung der Gesamtschule konkurrieren, diese also letztlich schwächen. Das kann doch nicht Ihre Absicht sein. Was mich vor allem irritiert, ist die Tatsache, dass ich bisher kein ausführliches und sachliches Papier zu dieser sog. Gemeinschaftsschule gefunden habe. Können Sie mir ein solches nennen oder zukommen lassen? Ich habe leider, wie schon im Wahlkampf, den Eindruck, dass es sich bei diesem Projekt um ein unausgegorenes Wahlkampfthema der SPD handelt, das man besser fallen ließe. Als ehemaliger Lehrer mit langjähriger Gesamtschulerfahrung brauche ich nicht besonders zu betonen, dass ich von der Bedeutung längeren gemeinsamen Lernens überzeugt bin.
Mit freundlichen Grüßen
Manfred Müller
Sehr geehrter Herr Müller,
vielen Dank für Ihr Interesse an unserer Schulpolitik, für die kritische Solidarität und für die Nachfrage.
Gerne verweise ich Sie zum einen auf das GRÜNE Programm zur Landtagswahl, in unserem Zukunftsplan für NRW ist in Kapitel 3 (Kluges NRW) Einiges an Vorstellungen zur Gemeinschaftsschule ausformuliert ( http://www.gruene-nrw.de/themen/programm/kluges-nrw.html ). Einen Passus dazu zitiere ich hier wörtlich:
"Gute Schule wird vor Ort gemacht
Wir Grünen wollen Schluss machen mit der Gängelung durch die Schulbürokratie. Wir vertrauen auf die engagierten Expertinnen und Experten in den Schulen und wollen sie in ihrer pädagogischen Kompetenz ermutigen und stärken. Für eine gelingende Schulentwicklung müssen Schulleitung, pädagogisches und nichtpädagogisches Personal, Schülerinnen und Schüler sowie die Eltern partnerschaftlich kooperieren.
Die gemeinsame Schule für alle Kinder
Das vielgliedrige Schulsystem ist längst an seine Grenzen gestoßen. Es fördert weder die starken noch die schwachen Schülerinnen und Schüler so, wie es nötig und möglich wäre. Bessere Förderung und damit bessere Leistungen sind nicht durch das Sortieren neunjähriger Kinder zu erreichen. Es kommt darauf an, die neue Lernkultur mit einer förderlichen neuen Schulstruktur zu verbinden. Jede Schule fördert jedes einmal aufgenommene Kind bis zu einem qualifizierten Schulabschluss. Nicht mehr das Aussortieren und Abschulen, sondern eine individuelle Förderung muss die Schule prägen. Wir wollen Lernbarrieren abbauen und eine gemeinsame Schule für alle Kinder bis zum Ende der Pflichtschulzeit schaffen. Eine Schule der Sekundarstufe II, die zur Fachhochschul- oder allgemeinen Hochschulreife führt bzw. ein berufsbildendes Profil anbietet, schließt sich an.
Ein integratives Schulsystem wird zwar mit klaren landespolitischen Zielen und Vorgaben entwickelt und gesteuert, aber es kann nur von unten wachsen, denn wir müssen alle Beteiligten einbinden. Deshalb gestalten wir Grünen einen Prozess, der bei den Kommunen ansetzt. Wir werden die bestehenden zentral vorgegebenen Schranken der Schulformen öffnen, damit sich das verkrustete Schulsystem in NRW mit dem demografischen Wandel, dem Schulwahlverhalten der Eltern und der zunehmenden kommunalpolitischen Bedeutung von Schulen am Ort zu einem System mit längerem gemeinsamem Lernen verändert. Wir werden die verbindlichen Grundschulgutachten und den Prognoseunterricht umgehend abschaffen. Unser Ziel ist ein Schulsystem, das nicht aussondert. Wir wollen Gemeinschaftsschulmodelle ermöglichen. Wir wollen jedes Jahr mindestens zehn Prozent der Schulen dafür gewinnen, sich auf den Weg zur Schule der Zukunft zu machen. Den Prozess hin zu einem integrativen Schulsystem wollen wir aktiv unterstützen und mit Anreizen versehen. Zentral sind dafür folgende Maßnahmen:
Wir lassen die Schule im Dorf
In den Städten und Gemeinden Nordrhein-Westfalens entwickelt sich das Schulsystem längst weiter: Viele wollen die Bildungsgänge zusammenführen, durchlässige Verbundschulen oder Gemeinschaftsschulen gründen. Für die Kommunen ist es ein handfester Standortfaktor, ob Schülerinnen und Schüler vor Ort alle Bildungsabschlüsse erreichen können. Wir wollen den Kommunen die Möglichkeit geben, in Absprache mit den örtlichen Schulen selbst darüber zu entscheiden, alle weiterführenden Bildungsgänge organisatorisch und pädagogisch zusammenzuführen. Nur so bleibt in NRW die Schule im Dorf, nur so ist gewährleistet, dass vor Ort ein vollständiges, wohnortnahes Schulangebot mit allen Bildungsabschlüssen erhalten bleibt. Wer das Gymnasium von Verbünden ausschließt, behindert gymnasiale Bildung gerade im ländlichen Raum, verhindert die erforderliche qualitative Schulentwicklung und raubt den Kommunen einen Standortfaktor."
Wir sehen die Gemeinschaftsschule nicht als Konkurrenz zur Gesamtschule, es ist eine andere Form hin zu längerem gemeinsamen Lernen und führt in der Regel bereits bestehende Schulen zusammen. Die gesamtschulen bleiben bestehen.
Literatur zu Gemeinschaftsschulen finden Sie bei Herrn Dr. Ernst Rösner (IfS Dortmund).
Ich hoffe, ich konnte Ihnen ein wenig weiterhelfen und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Sylvia Löhrmann