Frage an Sylvia Löhrmann von Karl Josef S. bezüglich Umwelt
Sehr geehrte Frau Löhrmann
Ihre Partei strebt eine rot-grüne Landesregierung in NRW an. Eine solche hatten wir in der vorletzten Legislaturperiode schon einmal unter Wolfgang Clement und Bärbel Höhn.
Die Bewohner rings um den Köln-Bonner Airport, die endlich nachts ohne Nachtfluglärm ruhig und ungestört schlafen wollen, fordern dieses Recht seit vielen Jahren erfolglos. Erfolglos auch damals, als Ihre Fraktion sich in Fluglärmfragen von Clement hat „unterbuttern“ lassen. Müssen wir weiterhin erfolglos warten, auch wenn es tatsächlich zu einer erneuten rot-grünen Landesregierung kommen sollte? Oder gibt es bei dann eventuell möglichen Koalitionsverhandlungen in Ihrer Fraktion zum Themenbereich „Nachtfluglärm“ Minimalforderungen, die keineswegs einer Regierungsbeteiligung zu opfern sind?
Schneider
Sehr geehrter Herr Schneider,
haben Sie Dank für Ihre Frage bezüglich meiner Haltung zum Nachtflugverbot im Bereich des Köln-Bonner Flughafens.
Für ein solches Nachtflugverbot setzen Grüne sich seit sehr vielen Jahren ein. Erlauben Sie mir, dass ich ein wenig aushole, denn das von Ihnen angesprochene Thema enthält verschiedene Probleme.
Im Grundsatzprogramm von Bündnis 90/DIE GRÜNEN steht folgender Passus, der Ihnen zeigt, wie sehr GRÜNEN die gesundheitlichen Gefahren, die von Lärmbelastungen ausgehen, bewusst sind:
"Verkehrslärm wollen wir deutlich spürbar vermindern, weil er sich in Städten und Siedlungen, im Umkreis von Flughäfen und entlang hoch belasteter Verkehrsachsen immer mehr zur Volkskrankheit Nummer eins entwickelt. Insbesondere die Störung der Nachtruhe führt zu Gesundheitsschäden. Gesetzlicher Schutz vor Verkehrslärm muss nach dem Vorsorgeprinzip wirksam werden. In der Umgebung von Flughäfen muss die Nachtruhe der Bevölkerung Priorität haben, weshalb wir uns für Nachtflugverbote einsetzen."
In unserem Zukunftsplan für NRW (also dem Programm zu den bevorstehenden Landtagswahlen - mehr unter http://www.grune-nrw.de - sagen wir:
"Beim Fluglärm haben für uns die Lärmschutzinteressen der Anwohnerinnen und Anwohner Vorrang vor den rein betriebswirtschaftlichen Interessen der Luftverkehrswirtschaft. Die Anstrengungen zum Schutz vor Fluglärm müssen sich insbesondere auf Betriebsbeschränkungen wie Nachtflugverbote, Lärmobergrenzen oder den Ausschluss von besonders lauten Flugzeugen konzentrieren. Unser Ziel ist dabei ein generelles Nachtflugverbot an allen Flughäfen in NRW."
Zum Flughafen Köln/Bonn heißt es weiter konkret:
"Das Verbot von nächtlichen Passagierflügen zwischen null und fünf Uhr, das der Landtag auf Initiative der Grünen im August 2007 einstimmig beschlossen hat, muss endlich umgesetzt werden. Zusätzlich wollen wir kurzfristig Lärmobergrenzen in der Zeit von 22 bis sechs Uhr mittels Lärm- und Bewegungskontingentierungen durchsetzen. Langfristig treten wir für ein generelles Nachtflugverbot zwischen 23 und sechs Uhr ein. Außerdem darf es zu keiner Privatisierung des Flughafens kommen, solange es nicht zu wirkungsvollen Beschränkungen des Nachtfluges gekommen ist, weil sich sonst mögliche Privatinvestoren eine Ewigkeitsgarantie auf Weiterbetrieb des Nachtflugs geben ließen."
Wie ernsthaft wir dieses Anliegen verfolgen, zeigt Ihnen auch, dass wir in den vergangenen fünf Jahren aus der Opposition heraus zahlreiche Anträge zur Bekämpfung des Fluglärms am Flughafen Köln/Bonn eingebracht haben.
Sie können diese Anträge auf der Webseite des Landtages im Dokumentenarchiv des Landtags NRW heraussuchen und herunterladen ( http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/Webmaster/GB_II/II.2/Dokumentenarchiv/Parlamentspapiere/suche_nrw.jsp , wenn Sie nach den Drucksachennummern 14/3031, 14/4924, 14/5027, 14/5084, 14/5226 und 14/10743 suchen.
Diese Anträge wurden zwar leider alle mit den Stimmen von CDU und FDP - zum Teil auch von SPD - abgelehnt. Interessant war allerdings, dass ein Teilaspekt unserer Forderungen, nämlich das Verbot nächtlicher Passagierflüge im Köln/Bonner Flughafen zwischen 0.00 und 5.00 Uhr, von den Regierungsfraktionen in einem eigenen Antrag im August 2007 aufgegriffen und ein einstimmiger Beschluss dazu herbeigeführt wurde.
Noch im gleichen Monat äußerte aber der damalige Verkehrsminister Wittke im Aufsichtsrat des Flughafens Köln/Bonn, dass er nicht beabsichtige, dem Köln Bonn Airport eine Kernruhezeit für Passagierflugzeuge aufzubürden und er auch nicht beabsichtige, das Landesparlament an dieser Entscheidung zu beteiligen. Der Fraktionsvorsitzende der FDP-Landtagfraktion, Gerhard Papke, gab gleichzeitig Interviews, in denen er verkündete, dass das nächtliche Passagierflugverbot spätestens in 2010 umgesetzt würde.
Seit dem genannten Beschluss vom August 2007 sind zweieinhalb Jahre vergangen, ohne dass die Landesregierung etwas zur seiner Umsetzung unternommen hätte. Im Gegenteil: Anfang 2008 wurde durch die schwarz-gelbe Landesregierung die Nachtflugregelung bis 2030 ohne jegliche substanziellen Veränderungen verlängert.
Die GRÜNE Landtagsfraktion hat die Tatenlosigkeit der Landesregierung bei der Umsetzung des Beschlusses für ein nächtliches Passagierflugverbot vor kurzem zum Anlass genommen, erneut einen Antrag (Drucksache 14/10743) zu stellen mit der Aufforderung an die Landesregierung, endlich zu handeln und den gefassten Beschluss umzusetzen. Dieser Antrag wurde am 11.3.2010 namentlich abgestimmt, wobei bis auf den Abgeordneten Michael Solf alle Abgeordneten von CDU und FDP (aus dem Rhein-Sieg-Kreis übrigens auch Gerhard Papke, FDP, Ilka Freifrau von Boeselager, CDU, Andreas Krautscheid, CDU) dagegen stimmten.
Sollte es am 9. Mai zu dem von uns erhofften Regierungswechsel unter GRÜNER Regierungsbeteiligung kommen, dann wird sich ein generelles Nachtflugverbot in NRW leider nicht von einem Tag auf den anderen umsetzen lassen.
Am Flughafen Köln/Bonn hat die CDU-FDP-Landesregierung mit ihrer im Jahr 2008 durchgeboxten Verlängerung der alten Nachtflugregelung bis zum Jahr 2030 Fakten geschaffen, an der auch eine neue Landesregierung nicht so leicht vorbeikommen kann.
Allerdings stünden mit dem im GRÜNEN Landtagswahlprogramm genannten Verbot nächtlicher Passagierflugzeuge und der Festlegung von Lärm- und Bewegungskontingenten durchaus Instrumente zur Verfügung, bereits direkt nach der Wahl aktive Schritte für mehr Lärmschutz am Flughafen zu unternehmen.
Das nächtliche Passagierflugverbot ist bis heute ausdrücklich vom Vertrauensschutz in der alten wie auch der von der Landesregierung bis 2030 verlängerten neuen Nachtflugregelung ausgenommen. Das heißt konkret, ein solches Passagiernachtflugverbot wäre jeweils zum Wechsel auf den neuesten Flugplan umsetzbar, mithin also spätestens zum Winterflugplan 2010/2011. - Das würden Grüne natürlich versuchen umzusetzen.
Zu bedenken ist noch, dass CDU, CSU und FDP im Bund in ihrem Koalitionsvertrag folgendes festgelegt haben:
"Wir werden uns für einen koordinierten, Ausbau der Flughafeninfrastruktur einsetzen. Neben einer Kapazitätsentwicklung der Flughäfen werden wir insbesondere international wettbewerbsfähige Betriebszeiten sicherstellen. Die dazu erforderliche Präzisierung im Luftverkehrsgesetz soll eine gleichberechtigte und konsequente Nachhaltigkeitsabwägung von wirtschaftlichen, betrieblichen und dem Lärmschutz geschuldeten Erfordernissen auch bei Nachtflügen sicherstellen. Die Wahrung des öffentlichen Erschließungsinteresses der Bundesrepublik Deutschland ist dabei zu gewährleisten."
Nach Auffassung von Experten zielt diese "Präzisierung" auf den § 29b Luftverkehrsgesetz. So drängen die Koalitionsfraktionen im Bund wohl insbesondere auf eine Klarstellung dessen, was unter "Nachtruhe" zu verstehen ist. Nachtruhe soll demnach mit "ungestörtem Schlaf" gleichgesetzt werden, nicht mit absoluter Nachtruhe im Außenbereich. Sollte in diesem Sinne tatsächlich eine Änderung der gesetzlichen Vorgaben erfolgen, dann würde dies nach Einschätzung zahlreicher Fluglärmexperten bedeuten, dass eine Begrenzung bzw. Reduzierung von Nachtflugbewegungen überhaupt nicht mehr erreicht werden kann, weil ein Schutz der Bevölkerung nicht durch aktiven sondern lediglich durch passiven Schallschutz bewirkt werden soll. Alternativ zum Herunterfahren des Flugbetriebs in der Kernzeit der Nacht zwischen 23.00 und 05.00 Uhr würden allein verstärktes Fensterglas und eigengeräuschintensive Lüfter angeboten. Mit einer derartig geänderten Schutzregelung im § 29b des Luftverkehrsgesetzes würde den Genehmigungsbehörden und Gerichten kein Entscheidungsspielraum für nächtliche Betriebsbeschränkungen und somit eine aktive Reduktion der nächtlichen Verlärmung der Umgebung der Wohngebiete mehr bleiben. Dies würde einen dramatischen Rückschritt beim Aufbau wirksamen Gesundheitsschutzes für über eine Million erheblich Fluglärm belasteter Menschen in Deutschland bedeuten.
An diesem Beispiel können Sie ersehen, dass es mit der Landtagswahl nicht nur darum geht, GRÜNE stark zu machen, um der oben ausgeführten Position Gewicht zu geben (in welcher Konstellation auch immer), sondern dass es auch darum geht, die Verhältnisse im Bundesrat zu ändern. Denn einer derartigen Änderung des Luftverkehrsgesetzes müsste auch der Bundesrat zustimmen. Dieser verliert jedoch bei einem Regierungswechsel in NRW seine schwarz-gelbe Mehrheit. - Eine Landesregierung unter GRÜNER Beteiligung würde jedenfalls einer solchen Änderung des Luftverkehrsgesetzes mit Sicherheit nicht zustimmen.
Ich hoffe, diese Ausführungen konnten unsere Position deutlich machen. Und zu der Frage des "Unterbutterns": Ich denke, dass GRÜNE sich auch der SPD gegenüber zu einem stärkeren Partner entwickelt haben - zumal auch dort ein Generationswechsel stattgefunden hat. Und, wie gesagt, je stärker GRÜNE werden, desto mehr Gewicht werden sie auch haben. In diesem Sinne: Für eine gute Wahl am 9. Mai!
Mit freundlichen Grüßen
Sylvia Löhrmann MdL