Frage an Sylvia Kotting-Uhl von Georg S. bezüglich Umwelt
Sehr geehrte Frau Kotting-Uhl,
Nach einem Entwurf des Umweltministeriums darf künftig jeder 1000. Anwohner eines Endlagers Krebs bekommen. Erst wenn es mehr sind, werden Sicherheitsanforderungen nicht erfüllt. Das Bundesumweltministerium hat einen neuen Entwurf für die Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung radioaktiver Abfälle vorgelegt. Demnach soll ein Endlager für hochradioaktiven Müll genehmigungsfähig sein, wenn in späteren Generationen jeder tausendste Anwohner einen schwerwiegenden Gesundheitsschaden durch freigesetzte Radionuklide erleidet. Als solcher kommt nur Strahlenkrebs in Frage.
Quelle: taz
Ist dies Pressemeldung in der Sache richtig ?
Wie wird sich Ihre Partei in dieser Angelegenheit verhalten ?
Mit freundlichen Grüßen
G. Stankewitz
Sehr geehrter Herr Stankewitz,
ich muss mich bei Ihnen massiv entschuldigen, wobei ich weiß, dass eine solche Frist bis zur Antwort eigentlich gar nicht mehr entschuldbar ist. Der Grund ist, dass wir wochenlang selbst versucht hatten Klarheit über die sog. Revision1 der Sicherheitsanforderungen für die Endlagerung hochaktiven Atommülls zu erreichen und uns das bis heute nicht völlig zufriedenstellend gelungen ist.
Der Wortlaut des Taz-Artikels ist etwas irreführend, besonders die Überschrift. Dass die Anforderungen in Wirklichkeit nicht so lax sind, wie die Überschrift befürchten lässt, kommt im vorletzten Absatz des Artikels zum Ausdruck, in dem es heißt "... allerdings nur dann, wenn das Risiko einer solchen Entwicklung nicht hoher als zehn Prozent betragt".
Für ein künftiges Endlager wird der Nachweis auf dem Stand von Wissenschaft und Technik verlangt, dass das Risiko eines Individuums, einen schweren gesundheitlichen Schaden wie Krebs zu erleiden, auf eins zu zehntausend pro Lebenszeit begrenzt wird. Zum Vergleich: Das Robert-Koch-Institut schätzt die Zahl jährlichen Krebs-Neuerkrankungen in Deutschland auf rund 436.000. Das Krebsrisiko liegt in Deutschland demnach heute bei etwa eins zu zweihundert pro Jahr.
In der Tat stellen die neuen Sicherheitsanforderungen eine deutliche Verbesserungen gegenüber den aktuell geltenden dar. Zu den wesentlichen Neuerungen gehören unter anderem ein gestuftes Verfahren mit einem schrittweisen Optimierungsprozess auf Basis von Sicherheitsanalysen; ein Nachweiszeitraum für den Langzeitsicherheitsnachweis für 1 Million Jahre; ein Nachweis der Robustheit des Endlagersystems; die Rückholbarkeit der Abfälle/Abfallbehälter bis 500 Jahre nach Verschluss des Endlagers; die Einführung risikobasierter Schutzziele (Begrenzung des Risikos eines schwerwiegenden Gesundheitsschadens für einen Menschen) für den Langzeitsicherheitsnachweis; alle 10 Jahre eine Überprüfung sicherheitsrelevanter Veränderungen des Standes von Wissenschaft und Technik bei der Beurteilung der Sicherheit von Endlagern und eine Überprüfung und Bestätigung der Sicherheitsnachweise.
Was ich an der oben erwähnten Revision 1 allerdings vermisse, sind jene Anforderungen, die nicht rein sicherheitstechnischer Natur sind, sondern Verfahrensaspekte des Endlagerungsprozesses betreffen. Im ursprünglichen Entwurf der Sicherheitsanforderungen [2] waren diese Anforderungen noch enthalten. Auf den ersten Blick lässt sich ihr Wegfall aus einem sicherheitstechnischen Anforderungskatalog zwar damit begründen, dass sie eben nicht sicherheitstechnischer Natur sind. Sie waren aber wertvoll, weil sie die Rechte betroffener Bürgerinnen und Bürger stärkten. Gerade die ursprünglich vorgesehenen sogenannten Teilplanfeststellungsbeschlüsse halte ich für ein wichtiges Instrument. Die Regierung teilte mir am 26. Mai mit, die Verfahrensanforderungen sollten noch eigenständig veröffentlicht werden, nannte aber kein konkretes Datum und auch keine konkrete Form. Ob und wie sie tatsächlich verbindlich werden, wird im Wesentlichen davon abhängen, wie sehr wir alle uns dafür einsetzen. Mit dem Engagement der Grünen, dessen Sie sich sicher sein können, ist es nicht getan. Fordern auch Sie die Verfahrensanforderungen aus dem ursprünglichen Entwurf!
Und schließlich wird die tatsächliche Sicherheit eines zukünftigen Endlagers auch ganz entscheidend davon abhängen, welchen Stellenwert ihr zukünftige Bundesregierungen beimessen. Gute Sicherheitsanforderungen helfen wenig, wenn sie von den politisch Verantwortlichen aus parteipolitischen Motiven unterminiert werden. Große Sorge bereitet mir da gerade die Haltung der Bundeskanzlerin, die im letzten Winter meinte, sie habe schlicht "keine Lust", andere Standorte als Gorleben zu erkunden. Wer so redet, hat kein Interesse an größtmöglicher Sicherheit. Tatsache ist, dass eine vergleichende Untersuchung mehrerer Standorte dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik entspricht. Nur so lässt sich die größtmögliche Sicherheit gewährleisten und das bestmögliche und risikoärmste Endlager finden. Um das von einem Endlager ausgehende Krebsrisiko möglichst gering zu halten, brauchen wir also vor allem einen ergebnisoffenen Vergleich mehrerer Standorte und eine Regierung, die sich dafür einsetzt anstatt zu blockieren und zu bremsen.
Mit freundlichen Grüßen
Sylvia Kotting-Uhl