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Sylvia Kotting-Uhl
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Wolfdietrich B. •

Frage an Sylvia Kotting-Uhl von Wolfdietrich B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Weil der Bundestag den Lärmschutz an bestehenden Straßen nicht geregelt hat, habe ich Deutschland als Bananenrepublik bezeichnet. Darauf meinten Sie: Der Interessenausgleich, den Politik in einer Demokratie zu leisten hat, ist mühsam, langwierig und nie in der Lage alle Betroffenen vollständig zu befrieden. In einer Bananenrepublik, in der sich nur Einzelinteressen durchsetzen, sind zumindest deren Vertreter dann zufrieden.

Wie verträgt sich Ihre Bemerkung damit,
dass die grünen früher versucht haben, ein Lärmschutzgesetz zu erlassen?
Wie verträgt sich Ihre Bemerkung mit der Feststellung eines Richters am Bundesverwaltungsgericht ( Dr. Storost ):" .... sind die Regelungen ... ein bemerkenswertes Beispiel für ein kaum noch erträgliches Maß an gesetzgeberischer Entscheidungsabstinenz, d. h. für ein verfassungsrechtlich bedenkliches Defizit an Funktionswilligkeit des Parlaments.

Sind Sie mit mir der Meinung, dass dies reiner Lobbyismus zu Gunsten der Lärmverursacher ( insbesondere LKW ) und damit Korruption ist? Ist der Begriff "Bananenrepublik" wirklich falsch?
Sind Sie mit mir der Meinung, dass man das Unrecht anprangern muss, auch wenn selbst nicht die Macht hat, es zu ändern?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Burde,

Wenn ich mit Ihnen einer Meinung wäre, dass Deutschland eine Bananenrepublik ist, würde ich keine 14-Stunden-Tage ins politische Geschäft investieren.

Natürlich wollen wir Grünen ein ambitioniertes Lärmschutzgesetz, so wie wir und speziell ich in meiner Funktion als umweltpolitische Sprecherin mich an vielen Stellen für schärfere oder überhaupt erstmalige Regelungen zum Schutz der Menschen vor unseren Einträgen in die Umwelt einsetze - chemische Einträge, Pestizide (auf EU-Ebene gerade einen Erfolg erzielt!), Elektrosmog, ionisierende Strahlung, Feinstaub, usw. Und natürlich stehen auf der Gegenseite an jeder Stelle starke wirtschaftliche Interessen, gegen die anzukommen manchmal unmöglich scheint und einen langen Atem braucht. Die Realität nur als Sieg des Lobbyismus zu sehen ist zu einfach. Kein Argument ist gesellschaftlich so schlagkräftig wie der drohende Verlust von Arbeitsplätzen (weswegen es relativ oft auch instrumentalisiert wird), weil daran die ökonomische Existenz der Menschen als Grundlage der gesellschaftlichen Teilhabe hängt. Insofern ist der "Interessenausgleich, den Politik in einer Demokratie zu leisten hat" eben mehr als nur durchzusetzen was man selbst für richtig hält.

Die Aussage des Richters Dr. Storost, der "ein verfassungsrechtlich bedenkliches Defizit an Funktionswilligkeit des Parlaments" sieht, finde ich in der von Ihnen zitierten Allgemeinheit meinerseits bedenklich. Es ist Mode geworden, Politikverdrossenheit zu schüren, indem man Politiker/innen als unfähig und/oder unwillig hinstellt. Man kann sich über das Funktionieren der Demokratie an vielen Stellen streiten, man kann über den Sinn eines Parteien-Parlamentarismus, die 5%-Hürde und auf der anderen Seite unser 2-Stimmen-Wahlrecht streiten. (All das lässt die Demokratie Göttin sei Dank zu) - aber worüber ich mich weder mit Ihnen noch mit sonst jemandem ernsthaft streite, ist die Behauptung, Deutschland sei eine Bananenrepublik. (Auch zwischen Lobbyismus und Korruption gibt es übrigens mindestens einen entscheidenden Unterschied: Lobbyismus ist legal, Korruption nicht.)

Bei Ihrer Forderung zum Lärmschutz bin ich ganz auf Ihrer Seite. Bei Ihren Einschätzungen unserer Demokratie würde ich mir wünschen, Sie würden etwas differenzierter hinschauen.

Mit freundlichen Grüßen
Sylvia Kotting-Uhl